Köln – Christina Langfus, die Kölner Microsoft-Leiterin, die mit ihrem Konzern vorexerziert, wie digital gesteuert wir künftig leben, und Karl-Heinz Zündorf, der Hafenmeister, der die Boote nicht wie früher elektronisch erfasst, sondern wieder Handzettel abheftet, gucken gern aufs Wasser.
„Wasser beruhigt mich, egal ob Flüsse, Meere oder Seen“, sagt Langfus, als sie mit ihrem weißen Smartphone in der Hand auf der Dachterrasse des toasterförmigen Microsoft-Gebäudes steht und in den Hafen guckt. „Ich musste schon immer in der Nähe des Wassers sein“, sagt Zündorf, im Bauch seines blauen Bürocontainers am Hafensteg sitzend. „Ohne würde ich eingehen wie eine Pflanze. Als wir mal im Urlaub im Westerwald waren, bin ich jeden Tag die 50 Kilometer an den Rhein gefahren.“
Die gemeinsame Liebe zum Wasser, vielleicht ist das bedeutender als das, was die beiden beruflich tun. Der Fluss als kleinster und doch großer gemeinsamer Nenner: Das gilt nicht nur für Langfus, Vertreterin der digitalen Sphäre, die ständig unterwegs ist und mit ihrem Konzern die ganze Arbeitswelt im Blick hat, und Zündorf, einem Fossil der analogen Arbeit, der seit 35 Jahren aufs Wasser guckt und jedes Detail über den Rheinauhafen weiß; auch die Wirtschaftsanwälte aus den Kranhäusern und die kapitalismuskritischen Künstler aus dem Rhenania, Fußballmillionär Lukas Podolski mit seinem Penthouse und die Obdachlosen, die hier nach Flaschen suchen, gucken aufs Wasser und werden ruhig.
Am Eingang zur Microsoft-Zentrale im dritten Stock empfängt Besucher ein Schild mit dem Hinweis, dass hier alle Räume videoüberwacht sind. „Weil hier viele sensible Daten gelagert sind“, heißt es. Christina Langfus (48), eine aparte Frau mit dezentem Make-up und cremeweißem Anzug, trägt einen Ausweis mit ihrem Vornamen am Kostüm.
Mit ihrem Arbeitsvertrag unterschreiben die Microsoft-Mitarbeiter auch, dass sie sich duzen. Langfus steht mit ihrem Konzern für das so genannte Arbeiten 4.0: Digital, Du, Daten sammeln, um Geld zu verdienen, flache Hierarchien, Arbeiten im so genannten Coworking space, in dem jeder einfach seinen Laptop anschließt, Clean desk policy (nichts bleibt nach der Arbeit auf dem Schreibtisch liegen, weil ihn am nächsten Tag ein anderer nutzt), mehr Selbstorganisation, mehr Effizienz, jedes Land, jeder Mensch nur einen Klick entfernt.
Die digitale Welt verspricht unbegrenzte Möglichkeiten, vordergründig heißt das natürlich auch: mehr Freiheit. Langfus kommt gerade aus der Unternehmenszentrale in den USA, morgen fliegt sie nach München. Sie arbeitet jeden Tag woanders und ist fast immer erreichbar.
Freiheit, das waren für den jungen Karl-Heinz Zündorf ferne Länder. „Mit 15 habe ich ein Praktikum im Büro gemacht, am Schreibtisch habe ich mich von der ersten Minute an total unglücklich gefühlt“, erinnert sich der 61-Jährige. Sein Vater war zur See gefahren, der Sohn wollte es auch.
Er verließ Köln-Mülheim mit 15 in Richtung Hamburg, ging zur Seemannsschule, wurde Matrose. Südamerika, Karibik, Australien, Neuseeland, Neu-Guinea, sechs Jahre fuhr Zündorf in Frachtschiffen, Kühlschiffen, Containerschiffen um die Welt. „Davon zehre ich bis heute“, sagt er, „auch wenn ich irgendwann Heimweh bekam, weiß ich seitdem, dass ich immer am Wasser sein muss.“
Karl-Heinz Zündorf trägt Jeans, schwarz-blaue Funktionsjacke und einen offenen Blick. Er stellt keine Fragen zu den Hintergründen der Serie und antwortet frei Schnauze. In den Regalen lagern alte Sigma-Ordner, vor ihm steht ein Drucker, auf dem Schreibtisch liegen ein Taschenrechner und zwei Handys, die er „nur zum Telefonieren und zum Stromzählerstände fotografieren“ nutze.
„Dafür sind die Dinger praktisch.“ Zündorfs Arbeitstag beginnt mit einem Kontrollgang um 8 Uhr. Er guckt, ob die Boote richtig vertäut sind, ob Öl auf dem Wasser schimmert, liest Post und Mails, heftet Abrechnungen und Anmeldungen ab. „Ich mache hier auch die Toiletten sauber“, sagt er, „und ich spreche mit Menschen; viele, die hier anlegen, erwarten das vom Hafenmeister“.
Er kann auch Holländisch, seine Frau, die er in seiner Zeit als Steuermann eines KD-Schiffs kennenlernte, ist Niederländerin. „Englisch“, sagt er, „geht auch ein bisschen.“ Im Rheinauhafen befindet sich die einzige Bootstankstelle zwischen Koblenz und Holland, es ist nicht schlecht, ein paar Sprachen zu verstehen.
Bei Microsoft wird fließendes Englisch vorausgesetzt. Bevor ein Treffen zustande kommt, fragt eine Assistentin von Christina Langfus, um was es gehen soll, bittet um Text-Beispiele und fragt, wie wie viel Zeit benötigt werde. Auf den Schreibtischen im Coworking Space, die auch Niederlassungsleiterin Langfus nutzt, liegt nichts rum.
Softwareproduktionen, Marketing, Vertrieb vs. Seefahrer
Die Serie
In der Serie 50 Meter Köln ergründet die Redaktion die Vielfalt der Stadt. Nachbarn, die dem ersten Anschein nach Welten trennen, sprechen über ihren Alltag – regelmäßig im Lokalteil. (uk)
Es gibt so genannte Think Spaces, in die man sich zum Nachdenken oder Telefonieren zurückziehen kann, Conversation Spaces und Discuss Places, alles edel und schick, vielleicht ein bisschen steril. Einen einzigen Drucker gibt es in der ganzen Niederlassung – „aber der wird kaum noch genutzt“, sagt Christina Langfus. Es gibt keine festen Arbeitszeiten und keine Anwesenheitspflicht – offiziell arbeiten in Köln 450 Mitarbeiter, die meisten sitzen aber irgend- und egal wo.
Christina Langfus hat BWL studiert, in die IT-Branche kam sie eher zufällig. Ihre Karrierestationen hießen Reuters, Oracle und EMC, sie war Account- und Sales-Managerin. Ihre Aufgabe ist es nicht, neue Produkte zu entwickeln.
In Köln geht es vor allem um Vertrieb und Marketing von Ideen und von Softwareprodukten, die in den USA entwickelt werden. Langfus’ Team betreut knapp 40 Großkunden. Jedes Quartal muss sie über die Umsätze berichten. „Wir müssen vielfältige Ziele erreichen.“ Heißt: Wie gut sie ihren Job macht, wird auch am Geld gemessen.
Karl-Heinz Zündorf hat ein stoisches Verhältnis zum Geld. „Ich verdiene hier genug, keine Frage“, sagt er, „aber ich mache es nicht fürs Geld. Bei der Feuerwehr im Chemiepark Dormagen, wo ich vorher als Löschbootfahrer war, habe ich mehr bekommen. Das war mir aber zu langweilig.“ Zündorf erzählt dann von der großen Zeit der Seefahrerei in seiner Jugend, als in Deutschland 40000 Seeleute fehlten.
„Heute sitzen 4000 auf der Straße.“ Der 61-Jährige kennt den Rheinauhafen, als hier noch Zellulose verladen wurde. Er hat den Wandel des Hafenviertels miterlebt, die ewige Baustelle, den Lärm, die Anwohner und Geschäftsleute, von denen sich einige beschwerten, als in den vergangenen Jahren ein neuer Hafensteg gebaut wurde. Er ist nach wie vor gern im Hafen, bloß habe man hier nicht mehr seine Ruhe.
„Hier kann keiner mehr ungesehen vom Steg pinkeln“, sagt er lachend. Die Fenster seines kleinen Bürocontainers hat er mit Goldfolie beklebt – so können die Menschen in den Büros und auf den Wegen ihn nicht beim Handzettel abheften sehen.
Im Moment brummt der Hafen wieder, es gibt mehr Anfragen als Liegeplätze. Zündorf sagt, er wähle schon ein bisschen aus, wer hier liegt und wer nicht. Einige Millionäre haben ihre Boote im Rheinauhafen liegen, „von denen gibt es ein paar, für die ihre Yacht ihr teures Spielzeug ist. Sobald sie am Hafen sind, werden Manager und irgendwelche Führungsleute zu Kindern.
Das ist gut und schön – so lange sie sich hier an die Regeln halten“. Nicht jeder nehme es damit so genau. Der Hafenmeister sorgt dafür, dass nicht nur reiche Leute ihre Boote hier liegen haben. Es soll keinen gentrifizierten Hafen geben.
Einmal Kreuzfahrt und nie wieder
Die „Microsofties“, wie Christina Langfus ihre Kollegen nennt, gucken bei ihrer Arbeit aus dem dritten und vierten Stock in den Hafen. „Lustig ist es, wenn bei einer der Bootsfahrschulen geübt wird, was zu tun ist, wenn ein Mann über Bord geht“, sagt die gebürtige Frankfurterin.
Langfus fährt gern mit Booten, sie war mal mit einer kleinen Yacht auf den Galapagos-Inseln, „aber Kreuzfahrten sind gar nicht meins, einmal und nie wieder“. Im Gegensatz zu Zündorf, der sehr viele Menschen kennt, die hier arbeiten und leben, kennt Langfus vor allem Kellner und Restaurantbesitzer, weil oft Geschäftsessen anstehen.
Christina Langfus fehlt wie Karl-Heinz Zündorf ein Supermarkt im Rheinauhafen, in dem sich schnell ein paar Kleinigkeiten einkaufen ließen; beide mögen den Blick aufs Wasser. Wer länger am Hafen bleibt, die neue oder die alte Arbeitswelt? Wahrscheinlich Zündorf und die alte. Einen Hafen, den echte Boote ansteuern, wird es der Digitalisierung der Welt zum Trotz noch lange geben. Bei Microsoft kann schon heute jeder von irgendwo arbeiten.