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Wildor HollmannMit 92 Jahren ist er Kölns ältester Professor

Lesezeit 6 Minuten

Wildor Hollmann ist mit 92 Jahren noch topfit.

Köln – Wer Kölns ältesten aktiven Professor außerhalb des Semesters treffen will, muss tief in die niederrheinische Provinz fahren. Brüggen liegt kurz vor der niederländischen Grenze, hat gut 15000 Einwohner, viele Backsteinhäuser und eine hübsche Wasserburg, die im 15. Jahrhundert einmal von Burgunderkönig Karl dem Kühnen belagert wurde. Das beschauliche Städtchen, in das Wildor Hollmann seiner Frau zuliebe gezogen ist, passt so gar nicht zu dem umtriebigen Mann, in dessen Leben ein Ereignis das andere jagt – und die zum großen Teil in Köln stattfinden.

Aus Hollmann, 1925 im sauerländischen Menden geboren, wird ein Arzt und Erfinder, ein Forscher und Rektor, medizinischer Berater des Deutschen Fußballnationalteams und schließlich Präsident eines Weltverbandes. Mit 92 Jahren gibt er noch Vorlesungen an der Deutschen Sporthochschule in Müngersdorf. „Ich bin wohl der älteste aktive Professor Deutschlands“, sagt der eloquente Mann. Mit einiger Wahrscheinlichkeit könnte das stimmen.

Hollmann 1961 bei der Habilitation in der Uniklinik

Aber der Reihe nach: Schon als Junge interessiert sich Hollmann für Chemie und Physik. Man kann sich ihn vorstellen, wie er mit Reagenzgläsern und einem Mikroskop aus dem Baukasten in seinem Zimmer hantiert und Flüssigkeiten mischt. Der Großvater, bei dem Hollmann aufwächst, ist selbst Landarzt und begeistert ihn für die Medizin. Als 14-Jähriger liest er zudem das Buch „Metall“ von Karl Aloys Schenzinger, das in kurzen Geschichten das Leben verschiedener Wissenschaftler während der Industriellen Revolution beschreibt – eine Initialzündung. Hollmann beschließt, selbst Forscher zu werden.

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Nach der Arbeit tüftelt er im Labor weiter

1947 schreibt er sich an der Kölner Universität für das Fach Medizin ein, macht 1953 sein Staatsexamen, promoviert ein Jahr später, arbeitet als Assistenzarzt in der Uniklinik. Tagsüber macht er Visite auf der Station, abends tüftelt er an Experimenten im Labor. Lässt spezielle Blutdruckmessgeräte und einen Fahrrad-Ergometer konstruieren, mit dem man bei körperlicher Belastung Messungen durchführen kann. Fragen der Sportmedizin, die es zu diesem Zeitpunkt offiziell noch gar nicht gibt, und der Kardiologie treiben ihn um. Er beobachtet „schreckliche negative Effekte“ bei Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen viele Wochen im Bett liegen müssen und fragt sich, warum Infarktpatienten Bettruhe verordnet wird, anstatt sie zu sanftem Bewegungstraining zu animieren. 1966 wird er mit anderen Ärzten einen Appell an die Weltgesundheitsorganisation richten, Kritik an der traditionellen Behandlungsmethode von Infarktpatienten üben – und sich durchsetzen.

Aber so weit ist es noch nicht. 1958 träumt Hollmann erst einmal von einem eigenen Institut. Sein vorgesetzter Professor in der Uniklinik lacht und sagt, dafür gebe es kein Geld. Also baldowert er mit 16 Gastärzten aus aller Welt, die in Köln gerade ein Praktikum absolvieren, die kühne Idee aus, eine Forschungseinrichtung aus dem Boden zu stampfen. Mit der Straßenbahn fahren sie nach Müngersdorf, buchen einen Raum in der Sporthochschule und hängen ein Schild an die Tür, auf dem das Zimmer zum Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin erklärt wird. „Das waren vielleicht die schönsten Stunden in meinen Leben“, sagt Hollmann heute. Die Gastärzte fahren nach ein paar Monaten wieder in ihre Heimat. Hollmann bleibt, führt das Institut zunächst als „Ein-Mann-Unternehmen ohne jeden staatlichen Rückhalt“ weiter.

Ein Telefonat bringt die Wende. 1961 ruft Franz Meyers an, der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, um sich in Hollmanns Praxis behandeln zu lassen. Aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis entwickelt sich eine Freundschaft. „Von da an konnte ich immer in Düsseldorf anrufen“, sagt Hollmann. Das mag geholfen haben. Jedenfalls übernimmt das Land NRW 1962 die Spoho und damit auch das Institut Hollmanns, das nach und nach auf 40 Mitarbeiter anwächst, richtet wenig später auch einen Lehrstuhl für Kardiologie und Sportmedizin ein.

Hollmanns Aufstieg an die Spitze

Hollmann macht nun Karriere, wird 1965 Prodekan, 1969 Rektor der Spoho, erlebt 1970, dass die Hochschule zur selbstständigen Universität ernannt und ausgebaut wird. Er widmet sich Studien zum sogenannten Hypoxie-Training, unterzieht untrainierte Menschen Ausdauerübungen und misst nach wenigen Wochen eine deutlich höhere Leistungsfähigkeit. Hollmann wird bekannt mit dem Satz, dass man durch richtiges Training 20 Jahre lang gefühlt 40 Jahre alt bleiben kann. Heute sagt er: „Ich habe untertrieben: Man kann 30 oder 40 Jahre lang 40 bleiben.“

Zu diesem Zeitpunkt ist er längst Internist bei den Nationalteams der Golfer und der Hockeyspieler sowie – von 1958 bis 1978 – bei der Deutschen Fußballnationalmannschaft. Bundestrainer Sepp Herberger kennt er, weil der selbst Dozent an der Sporthochschule ist. Hollmann fährt nicht zu den Spielen, auch nicht zu den Weltmeisterschaften, sondern lässt Beckenbauer, Overath und Co in seine Praxis kommen. Trainer Tschik Cajkovski will von ihm wissen, wie man die FC-Spieler so fit wie die des Bayern München machen könne. Und Fritz Walter ruft 1958 verzweifelt von der WM aus Schweden an, weil Herberger die Kicker vor dem Spiel um den dritten Platz auf Trinkdiät setzen lässt. Hollmann redet Herberger ins Gewissen. Es nützt nichts: Deutschland verliert das Spiel gegen Frankreich mit 3:6.

In den 70er Jahren verschärft sich die Konkurrenz zwischen der DDR und der Bundesrepublik auf sportpolitischer Ebene. Bei den Olympischen Spielen in München treten erstmals zwei deutsche Nationalmannschaften an und kämpfen um Medaillen. Westdeutsche Minister sollen Treppchenplätze von ihren Athleten gefordert haben – ohne Rücksicht auf die Mittel. „Der Druck war so groß, dass kann man sich nicht vorstellen“, sagt Hollmann. „Der Spiegel“ schreibt später über Sportmediziner, die über Anabolika als Dopingmittel für westdeutsche Sportler forschen. Über Sportler, die vor Wettkämpfen Spritzen erhalten. Auch Hollmanns Name fällt. Er erklärt die Vorwürfe gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ für „absoluten Unsinn“. Er „habe nie einem Sportler eine Spritze verabreicht“.

Ehrenorden aus der ganzen Welt

In den 1980er Jahren wendet sich Hollmann der Hirnforschung zu, weist in Studien nach, dass das Gehirn mit zunehmenden Training besser durchblutet wird. Dass sich neue Synapsen, Nervenstränge und Nervenzellen bilden, wenn Menschen sich viel bewegen. Hollmann hält sich zeitlebens an die eigenen Erkenntnisse. Als er wegen Arbeitsstress Herzrhythmusstörungen entwickelt, setzt er sich in den Schwarzwald ab und beginnt mit einem Lauftraining bis die Störungen abgeklungen sind. Bis ins hohe Alter spielt er Tennis und Tischtennis, steigt bis zu 450 Treppenstufen in seinem Haus zwischen seinen beiden Arbeitszimmern. Er raucht nicht, trinkt nicht, ist stolz darauf, sein Gewicht zu halten.

1990 wird Hollmann emeritiert, da ist er noch Präsident des Deutschen Sportärztebundes (1984 bis 1998) und des Weltverbandes für Sportmedizin (1986 bis 1994). Heute blickt er auf 800 Veröffentlichungen, 200 Promotionsarbeiten und 1000 Diplomarbeiten, die er betreut hat, zurück. Drei Dutzend Auszeichnungen hat er erhalten, darunter eine Ehrenplakette aus dem kommunistischen China, die Präsidentenmedaille aus Ghana und das Große Verdienstkreuz zum Verdienstorden der Bundesrepublik.

Müde wird Hollmann auch mit 92 nicht. Wenn er nicht gerade Vorlesungen an der Sporthochschule gibt, arbeitet er bis zu zwölf Stunden am Tag an Publikationen und forscht zum Thema Gehirn und Geist. Es scheint, als könne Wildor Hollmann nicht aufhören.