Winrich und Michael Granitzka„Wir haben das Blaulicht-Gen in der Familie“

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Fotos: Stefan Worring, Privat

Köln – „Gehen Sie in den Aufzug, machen Sie sonst nichts“, sagt Winrich Granitzka durch den Summer. Der Lift hält direkt in der Wohnung des ehemaligen Polizeichefs. Dort hat Granitzka (70) auch das Büro seines privaten Sicherheitsunternehmens. Sohn Dr. Michael Granitzka (48), Chefarzt für Anästhesie und Intensivmedizin des St. Franziskus-Hospitals, kommt ein paar Minuten später. Der Vater serviert Kaffee und Gebäck. Dann geht es ans Eingemachte.

Ihr Arbeitsalltag ist oder war geprägt von Menschen in Ausnahmesituationen. Der Vater trug als Polizeichef in Köln die Verantwortung bei Geiselnahmen, der Sohn hat auf der Intensivstation jeden Tag mit Leben und Tod zu tun. Haben Sie sich bewusst für Ihre Berufe entschieden?

Winrich Granitzka: Ich gar nicht. Auf dem Gymnasium bekamen wir eine holzschnittartige Broschüre, in der die Polizei vorgestellt wurde. Ich wohnte in Treis an der Mosel, da gab es zwei Schutzleute, die unglaublich geachtet waren. Mein Vorbild war also der klassische Dorfsheriff. Der ich dann nie wurde. (lacht)

Michael Granitzka: Ich wollte eigentlich Jura studieren …

Winrich Granizka: … aber das war ein bisschen trocken …

Michael Granitzka: … das war eigentlich ganz ok, es war nicht schlecht.

Winrich Granitzka: Du fuhrst zu der Zeit Rettungswagen mit einer netten jungen Ärztin. Die hat dich so begeistert, mit ihrer Haltung, ihrem Können, dass du irgendwann gesagt hast: Papa, jetzt weiß ich, was ich werden will.

Michael Granitzka: Das Blaulicht-Gen haben wir in der Familie, wir sind alle im Kölner Rettungsdienst großgeworden. Auch mein Bruder Ulrich ist Rettungswagen gefahren und macht es wie ich bis heute ehrenamtlich.

Winrich Granitzka: Mit der netten Ärztin bekam ich später übrigens noch beruflich zu tun. Sie war nämlich gar keine Ärztin, sondern Krankenschwester im Medizinstudium. Weil sie zu nervös war, hat sie die Prüfung nicht bestanden und sich die Approbation dann selbst geschrieben (lacht).

Haben sich Ihre beruflichen Wege mal gekreuzt?

Michael Granitzka: Eine Schnittstelle war der G-8-Gipfel in Köln 1999. Mein Vater war Einsatzleiter, ich bin damals Notarzt gefahren.

Winrich Granitzka: Beim Weltjugendtag 2005 auf dem Marienfeld in Frechen habe ich bei dir in Golzheim geschlafen (Michael Granitzka wohnte lange in der Nähe von Kerpen, die Red.).

Michael Granitzka: Ich habe damals im Fernsehen gesehen, wie der Papst übers Marienfeld fuhr.

Winrich Granitzka: Da waren 20 000 Italiener, und die machten alles, was Gott verboten hatte: So bauten sie ihre Brotstände und Zelte auf. Der Papst kam, die Italiener liefen hinterher, und der Papst saß fest. Benedikt musste also den Fußweg hochgehen. Doch es kam die Ansage: Der Papst macht das nicht. Also mussten wir über die Luftplatten für die Bauarbeiter den Hügel hochfahren – und durch den Matsch. Der Papstwagen fuhr vor uns, sackte runter, kam auf die nächste Platte. Als der Papst, der Staatssekretär vom Vatikan und unser Kardinal ausstiegen, war ich leichenblass, doch der Kardinal sagte nur trocken zum Papst: Das ist Herr Granitzka, und wo Granitzka ist, ist Sicherheit. (lacht)

Was sind Papas Stärken?

Michael Granitzka: Seine Menschlichkeit. Und er hat ein außergewöhnliches Führungscharisma.

Und die Stärken vom Sohn?

Winrich Granitzka: Wie er den Menschen zuhört, wie viel Vertrauen sie in ihn haben. Sich ganz einer anderen Sache widmen, Absprachen einhalten. Nicht reden, machen.

Michael Granitzka: Ich glaube, mein Vater realisiert erst nach und nach, was ich im Krankenhaus eigentlich mache. Meine Abteilung hat 22 Ärzte, wir betreuen 7600 Patienten pro Jahr in Narkose und 2200 auf der Intensivstation.

Winrich Granitzka: Man hat halt so eine Vorstellung vom Chefarzt.

Michael Granitzka: Ich bin natürlich erstmal der Sohn. Der Kleine. Ein Beispiel: Wir wollen Vaters Bilder aus Guatemala im Krankenhaus zeigen. Der Uli und du, ihr müsst mir beim Aufhängen helfen, sagt Papa. Ich habe zwei Sekretärinnen, wir haben eine Haustechnikabteilung, sage ich. Er sieht nicht, dass mein Bruder als Rechtsanwalt und ich als Chefarzt nicht mal schnell für ein paar Stunden mit ihm Bilder aufhängen können.

Winrich Granitzka: Na gut, wir machen es dann ja jetzt im Frühjahr.

Wer hatte denn zu Hause die Hosen an?

Michael Granitzka: Mama natürlich.

Winrich Granitzka: Bei häuslichen Katastrophen wie Kellerüberschwemmungen war ich weg: bei einem Hochwassereinsatz, bei Entführungen, Geisellagen oder bei der Wahl von Nelson Mandela, wo ich eine europäische Polizei-Delegation geleitet habe. Man braucht in dem Job eine Frau, die die Sachen in die Hand nimmt. Bei einem Elternabend in der Schule hieß es mal: Ach, der Herr ist auch mal da? Da kam ich gerade von einem Mordfall, eine junge Türkin war von ihrer Familie aus dem Fenster geschmissen worden.

Fanden Sie es als Kind nervig, wenn Ihr Vater länger weg war?

Michael Granitzka: Ich fand das eher spannend. Zu allem, was in der Zeitung stand, kannten wir schließlich die Hintergründe. Mein Vater hatte auch ein Dienstalbum, wo er Einsätze dokumentiert hat, vom ersten tödlichen Unfall bis zu den Geiselnahmen.

Ihre schwierigste Entscheidung als Arzt?

Michael Granitzka: (überlegt lange) Ich kann es akzeptieren, dass ein Patient in Würde verstirbt, wenn wir alles versucht haben. Die Fälle, bei denen wir nur soweit helfen können, dass der Patient durchkommt, aber nicht mehr selbstbestimmt leben kann, sind oft schicksalhafter.

Erinnern Sie sich an Ihre schwersten Tag als Polizeichef?

Michael Granitzka: Vielleicht war das, als du Fritz Schramma sagen musstest, dass sein Sohn überfahren wurde.

Winrich Granitzka: Das war schlimm, ja. Beruflich waren es die Gladbecker Geiselnahme 1988 und die Geiselnahme bei der Landeszentralbank in Aachen 1999. Die ging über 55 Stunden. Man kann auch töten durch Unterlassen – indem man Angst hat oder keine Entscheidung trifft.

Michael Granitzka: Ja, keine Entscheidung zu treffen ist das Schlimmste. Das ist bei uns im Krankenhaus auch so.

Winrich Granitzka: Der Geiselnehmer war im Bunker der Bank. Irgendwann ist er rausgekommen. Er hatte einer Geisel eine Handgranate unters Hemd gehalten, der Stift war gezogen. Bei einer Handgranate kann man einen Bügel zusammendrücken. Wenn Sie auf so einen Menschen schießen, kann seine Hand krampfen oder aufgehen. Wenn die Hand aufgeht, haben sie sieben Sekunden Zeit, den Bügel wieder umzuklappen.

Sie haben entschieden, auf ihn schießen zu lassen.

Winrich Granitzka: Ja. Zwei Beamte einer Spezialeinheit, 28 Jahre alt, haben es danach geschafft, den Bügel umzuklappen. Das waren verdammt bange Minuten. Der Geiselnehmer wurde getötet, die Geisel kam nicht zu Schaden.

Tauschen Sie sich über solch belastende Momente aus?

Winrich Granitzka: Wir haben ein sehr enges Vertrauensverhältnis. Das war auch so, als meine erste Frau krank wurde.

Michael Granitzka: Als Mama die Metastasen in der Lunge hatte, waren wir zusammen in der Radiologie.

Sie haben später ein zweites Mal geheiratet.

Winrich Granitzka: Ich hatte Zweifel: Ist es Verrat, wenn ich mich wieder binde? Es war grandios, dass meine Kinder an meinem 60. Geburtstag meine spätere Frau sehr herzlich willkommen geheißen haben.

Sie sind nach dem Tod Ihrer ersten Frau in die Politik gegangen und bald CDU-Fraktionschef geworden. Zur Ablenkung, oder wollten Sie weiter im Mittelpunkt stehen?

Winrich Granitzka: Ich wollte mich schon ablenken. Fraktionschef bin ich geworden, weil man mich gefragt hat.

Michael Granitzka: Die aktivere Rolle ist immer: Ich mach’s. Das hat in unserer Familie Tradition. Das gibt einem meistens auch was zurück. Wobei ich nicht so recht weiß, was dir die Politik zurückgegeben hat.

Winrich Granitzka: Ich habe mich oft verdammt unwohl gefühlt und bin froh, dass ich das nicht mehr machen muss. Weil es oft nicht um die Sache ging. Beispiel Rhein-Ufer-Tunnel. Staus bis zur Bastei und zum Verteiler, sagt ein Gutachten der Uni. Unser CDU-Antrag, einen Tunnel zu bauen, wird ablehnt. Wir beantragen, einen Stresstest zu machen. Der Antrag wird mit der Stimme des Oberbürgermeisters abgelehnt. Ein paar Monate später verspricht Roters, mit dem ich mich sehr gut verstehe, auf einer Bürgerversammlung den Stresstest. Super, denke ich. Ich stelle erneut einen Antrag im Rat – und der wird erneut abgelehnt mit einer Stimme. Raten Sie mal, mit welcher?

Michael Granitzka: Mir hat mein Vater ein bisschen leid getan. Ich bin froh, dass er da raus ist. Politik ist ein Knochengeschäft ohne Freundschaften. Da geht es nur um Machterhalt, das finde ich schlimm. Ich finde es auch schlimm, dass man in der Politik bestimmte Sachen nicht mehr sagen darf. Wenn man anzweifelt, ob Köln noch einen Oper-Schauspielhaus-Komplex braucht für 280 Millionen, oder sagt, die Leute können doch in Düsseldorf in die Oper gehen und in die Kölnarena zum Phil-Collins-Konzert, wird man geächtet.

Winrich Granitzka: Der Kollege Börschel hat mal laut überlegt, dass man die Oper ja mit Bonn teilen könnte … der Arme ist öffentlich geteert und gefedert worden. Bei der Polizei und im Krankenhaus geht es oft um Menschenleben. Der Umgang miteinander ist viel ethischer als in der Politik.

Leid und Tod sind im Alltag als Arzt und Polizist sehr präsent. Wie gehen Sie damit um?

Michael Granitzka: Der finale Rettungsschuss bei einer Geiselnahme und die Entscheidung, eine Intensivtherapie zu beenden, sind ähnlich gelagerte ethische Fragen. Ich glaube, dass wir beide ein ethisches Grundgerüst haben, das uns hilft. Ich bin christlich erzogen worden.

Welche Einstellung zum Tod haben Sie?

Michael Granitzka: Ich glaube an ein Leben nach dem Tod, das unabhängig ist vom Körper. Wenn hier jemand sein Bein verliert, wird das im Jenseits kein Thema sein. Dieser christliche Glaube an eine Form von Wiedergeburt gibt mir Halt. Weil ich denke, ja, der hat gelitten, aber wenn er nicht mehr unter uns ist, wird er woanders sein, ohne zu leiden. Es wäre ja schrecklich, wenn wir mit den gleichen Gebrechen oder Pickeln im Himmelreich sitzen.

Winrich Granitzka: Das war jetzt sehr religionsphilosophisch. Mich hat getröstet, ans Jenseits glauben zu können, als meine Frau gestorben ist, die dank ärztlicher Hilfe friedlich eingeschlafen ist. Ich empfand große Dankbarkeit, dass sie sich nicht quälen musste. Ich glaube, dass wir uns wiedersehen werden. Nicht in der gleichen Körperlichkeit – man trifft sich nicht im Himmel und denkt: Der schon wieder, oder: Du hast mich damals nicht gewählt. Wie es wird, ist nicht vorstellbar. Ich sage zu Gott: Nimm uns alle mit in dein Reich. Aber bitte nicht sofort.

Das Gespräch führten Uli Kreikebaum und Tim Stinauer

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