ZwangsprostitutionVon ihrem Freund verkauft und vergewaltigt – Jetzt spricht Amira
- Für unsere Serie „Köln im Rotlicht“ sind unsere Reporter in die Rotlicht-Szene eingetaucht, haben mit Prostituierten, Freiern, Zuhältern und Bordellchefs gesprochen.
- Folge 3: Aus Liebe lässt sich Amira (Name geändert) von ihrem Freund zur Prostitution überreden, doch schon bald gibt es für sie keine Möglichkeit mehr, wieder aus dem Rotlichtmilieu herauszukommen.
- Unseren Reportern schildert sie in einem ausführlichen Interview ihre unglaubliche Geschichte voller Schmerzen, Leid und Ekel.
Es ist sieben Jahre her, dass Ihr damaliger Freund Sie zur Prostitution gezwungen hat. Er hat sie monatelang misshandelt, vergewaltigt, eingesperrt, Ihnen alle Einnahmen abgenommen. Er wurde zu drei Jahren und sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Wie geht es Ihnen heute? -> Hier: Alle 20 Folgen der Serie „Köln im Rotlicht“ im Überblick!
Mir geht es ganz gut. Klar, ich habe immer noch Panik und Angst, ich fasse kein Vertrauen zu Menschen. Aber diese Freiheit zu spüren, wenn ich rausgehe und keiner mehr neben mir steht… das Bewusstsein, dass meine ganzen Daten bei mir in der Tasche sind und nicht bei einem anderen… das Wissen, dass keiner mich permanent kontrolliert und sagt „Ich bin dein Herr, ich habe das Sagen, du bist nichts wert“ – all das ist einfach ein tolles Gefühl.
An einem Abend im Februar 2012 hatte ihr Ex-Freund Sie schwer misshandelt, sie waren verletzt. Dann sollten Sie ihm in einer Tankstelle eine Cola kaufen. Sie sind reingegangen und haben die Kassiererin angefleht, die Polizei zu rufen. Die kam und hat ihn festgenommen. Wie viel Mut hat Sie dieser Schritt gekostet?
Ich war am Ende. Total fertig. Es war mein einziger Ausweg. Ich glaube, viele Frauen könnten aus so einer Lage, in der ich damals war, herauskommen, mit Hilfe der Polizei, aber sie wissen es nicht, oder sie trauen sich nicht. Ich möchte diesen Frauen mit meiner Geschichte Mut machen.
Aus diesem Grund haben Sie sich dazu entschieden, das alles in der Zeitung zu erzählen?
Ja. Ich will anderen Frauen helfen, aus einer ähnlichen Situation rauszukommen. In dem Moment, wo wir gerade hier sitzen, gibt es Frauen draußen in Köln, die das machen müssen. Dass wir leiden, ist den Männern, für die sie arbeiten müssen, egal. Die sehen nur noch Scheine. Für die sind wir Automaten, in die man Geld reinwirft.
Wie leben Sie heute?
Ich wohne als Untermieterin in einer Eigentumswohnung, ich habe da ein möbliertes Zimmer. Der Vermieter kennt meine Geschichte nicht. Niemand in meinem privaten Umfeld kennt die.
Haben Sie denn Menschen um sich, denen Sie vertrauen? Freunde?
Nach diesen Erfahrungen konnte ich niemandem mehr vertrauen, bis heute. Richtige Freunde habe ich nicht.
Machen Sie eine Therapie?
Ja, seit sieben Jahren. Es sind Einzelgespräche. Wir reden über alles. Ich erinnere mich immer wieder an neue Einzelheiten von damals. Ich bekomme immer noch Schlaftabletten. Ich träume ab und zu immer noch davon. Dann kommt meine eigene Vergangenheit vor Augen.
Welche Bilder sind das?
Wie ich da reingegangen bin in diesen Saunaclub und ich nichts mehr machen konnte. Ich konnte nicht raus. Ich hatte kein eigenes Geld. Meinen Ausweis hatte er auch. Ich hatte nur ein Handy, in dem nur sein Name gespeichert war. Ich musste ihm jede freie Minute schreiben, wo ich gerade bin, was ich mache.
Irgendwann wollte ich dann selber nur noch in den Saunaclub, um Ruhe vor ihm zu haben. Ich habe mich dort freier gefühlt als woanders. Weil er da nicht bei mir war. Ich war sehr naiv. Ich fühlte mich schwach. Seine Sprüche wirkten: Du bist nichts wert, du bist schwach, du kannst nichts. Ich dachte: Vielleicht hat er ja Recht. Es war wie Gehirnwäsche.
Leben Sie heute in einer Beziehung oder haben Sie seitdem eine geführt?
Oh Gott, nein. Ich habe Angst, eine Beziehung einzugehen. Nicht, dass der Mann mich wieder auf falsche Wege bringt oder sogar noch schlimmer ist als mein Ex-Freund. Ich habe einfach Angst.
Haben Sie einen Job?
Meine Ausbildung als Erzieherin habe ich damals auf Drängen meines Ex-Freundes abgebrochen. Nach der ganzen Sache wollte ich dann Apothekenhelferin werden. Aber das hat leider nicht geklappt. Ich bin wie eine Irre noch auf der Suche.
Ich versuche alles. Eigentlich möchte ich etwas arbeiten, wo ich Menschen helfen kann. Aber ich weiß selber noch nicht, was – und wie ich das anfangen soll. Ich möchte Menschen helfen, die in meiner Situation waren oder sind.
Wie verbringen Sie Ihre Tage?
Es ist für mich so sinnlos, nutzlos. Ich habe eine Zeitlang in einer Tankstelle gearbeitet. Aber dann hatte ich Panik, wenn ich nachts da alleine war. Damit konnte ich nicht leben. Was, wenn mein Ex-Freund plötzlich auftauchte? Daraufhin habe ich mir Pfefferspray gekauft. Vielleicht will der Rache, vielleicht bringt er mich um.
Wie war es für Sie, ihn im Gerichtssaal wiederzutreffen?
Ich hatte Panik. Ich sah, dass der Prozess öffentlich ist. Das hat meine Anwältin dann sofort geändert. Seine Mutter und seine Freundin waren als Zuschauer da. Er kam dann in den Saal. Mein Ex-Freund hat mir echt Leid getan, als ich ihn da sah. Ich guckte ihn an… einerseits hätte ich die Zeit gerne zurückgedreht und mit ihm gesprochen, gesagt: Lass uns einfach trennen, geh deinen Weg, ich meinen.
Aber dann dachte ich mir: Wenn ich das nicht durchziehe, macht er das Gleiche vielleicht noch mit anderen Frauen. Also habe ich es durchgezogen. Ich habe zwei Tage lang jeweils acht Stunden vor Gericht erzählt. Ich war danach so tot. Ich kam mit Tränen aus dem Gericht, habe geschrien und geweint. Ich wollte einfach nur weg, an einen Ort, wo ich nur schreien kann.
Welche Erfahrungen haben Sie damals mit der Polizei gemacht?
Nur gute. Als ich nach seiner Festnahme ins Präsidium gebracht wurde, war es zwei Uhr nachts. Ich wusste erstmal gar nicht, was ich erzählen soll. Ich war ja kurz zuvor geschlagen und vergewaltigt worden. Ich sah richtig kaputt aus.
Ich sagte zu dem Polizisten: Ich sterbe gerade, ich brauche eine Zigarette. Und er sagte: Komm, wir gehen erstmal zusammen auf den Balkon und rauchen eine. Ich dachte: Echt? Ist das gerade echt? Oder ist das ein Traum? Bin ich jetzt wirklich da raus? Bis neun Uhr morgens war ich im Präsidium, danach sind wir zum Krankenhaus gefahren, dann zu mir nach Hause.
Warum dachten Sie, das sei ein Traum? Wie war vorher Ihr Bild von der Polizei?
Ich stamme aus dem Iran, und der Iran ist ein Polizeistaat. Dort ist es so: Egal, was der Mann macht, er hat immer Recht. Er ist der Gott. Die Frau ist immer schuldig. Und deshalb hatte ich immer das Bild: Polizei? Niemals. Niemand kann mir helfen außer er. Das war mein Bild.
Was wussten oder wissen Ihre Eltern von der ganzen Geschichte?
Ich habe meiner Mutter nur gesagt, er hat mich geschlagen. Er hatte ja auch einmal meine Nase gebrochen, da hatte ich meiner Mutter zuerst erzählt, das sei bei einem Autounfall passiert. Ich sagte ihr, er hätte mich öfters geschlagen, weil er dachte, ich gehe ihm fremd. Und ich sagte ihr, er hätte mich vergewaltigt. Sie hat das zwar nicht geglaubt, sie glaubt das bis heute nicht. Aber sie will mit mir auch nicht mehr darüber reden. Ich auch nicht.
Mochte Ihre Mutter ihn?
Ja. Seine Zunge war Gold wert. Jeder aus meiner Familie, alle meine Freunde sagten: Wahnsinn, so einen will ich auch haben. Wo ich innerlich immer nur dachte: Bitte, hört auf, ihr wisst nicht, wie ich am weinen bin, ihr seht nur, wie ich gerade für euch lache, sagt sowas nicht. Dass er mich fast zwei Jahre zum Anschaffen gezwungen hat, wissen sie bis heute nicht.
Sie mussten in einem Saunaclub und in einem privaten Wohnungsbordell in Köln für ihn arbeiten. Wie muss man es sich da vorstellen?
Die Frauen sitzen alle zusammen im Wohnzimmer. Und wenn ein Kunde kommt, müssen wir uns einzeln vorstellen: „Ich bin die Natascha, 26 Jahre, dies das.“ Bis alle fertig sind. Dann fragte meine Chefin ihn, welches Mädchen er haben will.
Das Geld wurde durch zwei geteilt: die Hälfte für die Chefin, die andere Hälfte für uns. Und meine Hälfte musste ich komplett an meinen Ex-Freund abgeben. Wenn ich zu wenig nach Hause brachte, hat er mich verprügelt.
Aus diesem Grund hat er Ihnen auch die Nase gebrochen?
Ja, mit einem Faustschlag, ja. Ich habe das erst gar nicht gemerkt. Ich schaute ihn an, und er sagte: Deine Nase ist gebrochen. Wir sind ins Krankenhaus gefahren. Die gaben mir einen OP-Termin für die nächste Woche. Und er hat mich trotzdem bis dahin mit gebrochener Nase zum Arbeiten in das Appartement geschickt.
Haben in diesem Appartementhaus alle Frauen unter Zwang gearbeitet?
Zwei haben freiwillig gearbeitet, zwei Polinnen. Auf eigene Rechnung. Aber es gab auch vier Mädels wie ich, die gezwungen wurden. Wir durften das Haus nicht verlassen. Unsere Männer haben uns kontrolliert. Wir mussten denen unsere Standorte per Handy schicken, waren 24 Stunden unter Kontrolle.
Wir mussten auch Bescheid geben, wenn wir auf Toilette gingen. Ging man zwei Minuten nicht ans Telefon, bekam man großen Stress. Wo bist du? Was machst du? Bist du noch da? Die hatten immer Angst, dass wir abhauen könnten.
Glossar
Agisra
Die „Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung“ in Köln ist seit 1993 eine Beratungs- und Informationsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen. Agisra unterstützt zum Beispiel Frauen, die von Gewalt, Sexismus oder Rassismus betroffen sind, die Sozialarbeiterinnen reden mit Frauen auf dem Straßenstrich, am Eigelstein und in Bordellen. Der Verein sitzt in der Bolzengasse in der Altstadt, Telefon 0221/124019.
Escort
Begleit-Agenturen oder Escort-Agenturen vermitteln Frauen, seltener auch Männer, gegen Honorar für eine vereinbarte Zeit. Die Agenturen dienen als Dienstleister und kassieren eine Provision von den Frauen, die oft zwischen 25 und 35 Prozent liegt. Die Preise für die meistens auch sexuellen Dienstleistungen schwanken, liegen aber nur selten unter 200 Euro pro Stunde und 1500 Euro pro Tag. Viele ihrer Mitarbeiterinnen seien Studentinnen, berichtet eine Kölner Agentur-Chefin. Eine vom Studienkolleg zu Berlin veröffentlichte Umfrage ergab, dass 3,7 Prozent aller Berliner Studierenden als Sexarbeiter im weiteren Sinne tätig sei. Verbände und Behörden gehen davon aus, dass der Großteil der im Escort-Bereich tätigen Frauen freiwillig dort arbeitet.
Hurenpass
Im Juli 2017 ist bundesweit das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Seitdem müssen Prostituierte einen speziellen Ausweis bei sich tragen, den so genannten Hurenpass. Diese Anmeldebescheinigung, die regelmäßig verlängert werden muss, ist mit Namen, Meldeadresse und einem Foto versehen. Viele Sexarbeiterinnen weigern sich, ihre Anonymität aufzugeben und den Pass zu beantragen – sie fürchten unter anderem Repressionen in ihren Heimatstaaten, in denen Prostitution unter Strafe steht.
Laufhaus
In einem meist mehrstöckigen Laufhaus mieten Prostituierte Zimmer an. Wenn sie auf Freier warten, stehen ihre Türen offen. Der Kunde streift durch die Flure und kommt mit den Frauen ins Gespräch, die vor oder in ihren Zimmern sitzen. Welche Leistungen sie anbieten und welche Preise sie dafür verlangen, bestimmen die Frauen selbst, nicht der Laufhaus-Betreiber. Er kassiert von ihnen nur die tägliche oder monatliche Miete. Der Eintritt in ein Laufhaus ist meistens frei. Wie viele der Frauen tatsächlich selbstbestimmt arbeiten und wie viele ihre Einnahmen an einen Zuhälter abtreten müssen, ist unklar.
Loverboys
Zuhälter, die vor allem Minderjährige und junge Frauen in Clubs und im Internet ansprechen. Sie täuschen ihnen die große Liebe vor, entfremden sie aber tatsächlich von Freunden und Familie und zwingen sie in die Prostitution. Laut Polizeierkenntnissen sind Loverboys in aller Regel Einzeltäter, die oft mehrere Frauen parallel haben, ohne dass die Opfer voneinander wissen.
Menschenhandel
Eine Straftat, auf die zwischen sechs Monate und zehn Jahre Gefängnis steht. Unter Menschenhandel versteht das Gesetz jede Form des Anwerbens, Transports oder Beherbergens von Menschen, um sie auszubeuten – zum Beispiel in der Prostitution, durch Bettelei oder Zwangsarbeit.
Poppers
Slang für eine flüssige, nicht verbotene Droge, die in kleinen Ampullen vertrieben wird und beim Öffnen ploppt. Poppers sollen stark gefäßerweiternd, aphrodisierend, muskelentspannend und schmerzhemmend wirken – und damit helfen, den Geschlechtsverkehr zu verlängern. Werden in fast allen Bordellen verkauft. Können zu Herzrasen, Übelkeit, Erbrechen und Sehstörungen führen, blutdrucksenkende Potenzmittel verstärken die Wirkung.
Prostituiertenschutzgesetz
Seit 1. Juli 2017 ist ein neues Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Es beinhaltet unter anderem die Verpflichtung eines so genannten „Hurenausweises“. Betreiber von Bordellen benötigen eine Erlaubnis und dürfen sich zuvor nicht im Bereich Menschenhandel/Prostitution strafbar gemacht haben. Das Gesetz sieht auch eine Kondompflicht für Freier und eine Gesundheits- und Ausstiegsberatung für Sexarbeiter/innen vor. Sexarbeiterinnen dürfen seit Inkrafttreten des P. nicht mehr in dem Raum schlafen, in dem sie ihre Dienstleistungen anbieten – Bordellbetreiber müssen getrennte Schlaf- und Waschräume anbieten. Das Gesetz soll Sexarbeiter/innen vor Zwangsprostitution, ungeschütztem und gewalttätigem Sex schützen. Interessenverbände und Beratungsstellen kritisieren das Gesetz: Die meisten Prostituierten, die nicht freiwillig arbeiten, würden weiterhin nicht erreicht. Die Sorge, mit einem Hurenausweis identifiziert werden zu können, treibe viele Frauen in die Illegalität.
Das Gesetz hat für Prostituierte in NRW auch positive Effekte, resümiert die Prostituierten-Beratungseinrichtung Kober. So habe sich die Hygiene in vielen Häusern verbessert, auch die Rückzugsmöglichkeiten, Aufenthaltsräume und Beratungen wurden von vielen Frauen als hilfreich beschrieben. Die in vielen Sprachen abrufbare Lola-App unterstützt demnach viele Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, um sich besser über ihre Rechte, Krankenversicherung, Prävention und Beratungsangebote zu informieren.
Saunaclub/FKK-Club
Die Gäste bewegen sich im Handtuch oder Bademantel durch den Club. Im Eintrittspreis enthalten sind oft Getränke und Speisen. Neben Sauna und Dampfbad gibt es meist eine Bar und separate Bereiche, in denen männliche Besucher mit Prostituierten ins Gespräch kommen. Die Einnahmen werden zwischen der Frau und dem Clubbetreiber aufgeteilt. Die Frauen sind entweder festangestellt, oder sie arbeiten auf eigene Rechnung beziehungsweise für einen Zuhälter, der sie häufig zum Club bringt und wieder abholt. Insider gehen davon aus, dass ein Großteil der Frauen in den Clubs nicht unabhängig von Zuhältern arbeitet.
Sexarbeit/Prostitution
Sexarbeit und Prostitution sind nicht dasselbe. Sexarbeit ist der neutralere Begriff, er beinhaltet keine negative Bewertung. Eine Sexarbeiterin ist eine Dienstleisterin, die einen sexuellen Service anbietet, um damit Geld zu verdienen. Das Wort Prostitution ist negativ belegt: Im Lateinischen bedeutet es, etwas „nach vorne zu stellen“ – sich preiszugeben oder auszustellen. Prostitution wird verbunden mit einem patriarchalen System – Bordellen, Zuhältern und Freiern, die die Regeln diktieren. Bei einer Frau, die auf den Straßenstrich geht, um ihre Drogensucht zu finanzieren, würde man eher von einer Prostituierten sprechen, bei einer Frau, die sich mit Escort-Service ihren Lebensunterhalt verdient, eher von Sexarbeiterin. Bei einer jungen Frau aus Osteuropa, die im Bordell Sex anbietet, ist die Unterscheidung schwieriger – wenn sie dort arbeitet, um die Existenz ihrer Familie zu sichern, spräche man von Sexarbeit, würde sie von ihrem Vater oder Bruder unter Druck gesetzt, anschaffen zu gehen, von Prostitution.
Sozialdienst katholischer Frauen (SkF)
Anlaufstelle im Caritasverband für Frauen und Familien in Not. Seit mehr als hundert Jahren engagiert sich der SkF in Köln für Prostituierte, informiert sie über Rechte und Pflichten, unterstützt sie bei Sorgen in Familie und Partnerschaft und hilft den Frauen beim Ausstieg, wenn sie das wünschen. Die Geschäftsstelle ist am Mauritiussteinweg in der Innenstadt, Telefon 0221/12695-0.
Verrichtungsbox
Garagenähnliche Boxen auf dem Straßenstrich an der Geestemünder Straße in Niehl. Das fußballfeldgroße, eingezäunte Gelände eröffnete im Oktober 2001. Freier fahren dort zunächst durch eine Kontaktzone und dann mit den Frauen in eine der acht Boxen, die in einer alten Scheune untergebracht sind. Es gibt auch Container für Fußgänger oder Radfahrer. In jeder Verrichtungsbox ist ein Alarmknopf an der Wand. Während der Öffnungszeiten sind Sozialarbeiter auf dem Gelände anwesend, Ordnungsamt und Polizei kontrollieren das Gelände regelmäßig.
Weißer Ring
Hilfsorganisation für Menschen, die in Deutschland Opfer von Kriminalität geworden sind. Die ehrenamtlichen Betreuer beraten auch immer wieder Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution, unterstützen sie bei der Suche nach spezialisierten Rechtsanwälten, bei der Beantragung einer lebenslangen Opferrente oder mit der Zahlung einmaliger Soforthilfen bis zu 300 Euro. Zentrale Anlaufstelle auch für Menschen in Köln ist das Landesbüro in Düren, Telefon 02421/16622.
Zwangsprostitution
Eine besondere Form der Ausbeutung und seit 2016 ein eigener Straftatbestand neben dem Menschenhandel. Vor 2016 war der Begriff rechtlich nicht definiert. Bei Verurteilung drohen dem Täter zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft. Die meisten Opfer stammen aus Deutschland sowie aus Ost- und Südosteuropa. Häufig werden die Frauen angeworben, indem der Täter ihnen eine legale Arbeit etwa in der Gastronomie oder Hotellerie verspricht.
Wie war diese Arbeit für Sie?
Ich sag mal so: Es gab Tage, wo ich Geld bringen wollte, um meine Ruhe zu haben, wenn ich zwei Tage mit ihm zu Hause war. Dann habe ich mich gut bei den Kunden vorgestellt, war nett, charmant. Aber es gab auch Tage, wo ich reingegangen bin und nur gesagt habe: Hi. Mit blödem Gesichtsausdruck, damit der mich bloß nicht wählt.
Dann hatte ich allerdings Stress zu Hause, weil ich zu wenig Geld mitbrachte. Am Anfang war das schwierig, aber mit der Zeit… ich wusste ja, was auf mich zukam. Es war ja klar, dass er mich schlägt: Ob ich jetzt 400 Euro bringe oder nichts – er wird mich eh schlagen, weil er immer mehr will. Ich dachte: Gewöhn dich dran, geh nach Hause, kassier deine Schläge – und gut ist es.
Welche Männer kamen in dieses Haus?
Wir hatten sehr viele Stammkunden. Viele waren verheiratet. Es kamen viele Ausländer. Aus Frankreich zum Beispiel, dort ist Prostitution verboten. Viele Holländer, viele Fußballspieler. Die meisten Kunden waren älter, also über 40. Familienväter waren oft da. Manche fragten auch, ob mir die Arbeit Spaß macht oder warum ich das tue. Natürlich sagte ich dann, ich bin freiwillig da. Keine von uns sagte, dass wir einen dunklen Hintergrund hatten. Wir haben so getan, als zwinge uns niemand dazu.
Warum haben Sie so getan?
Weil wir Angst hatten. Weil wir nicht wussten, ob wir getestet werden. Wir hatten Angst, dass ein Kunde vielleicht ein Freund von unseren Männern ist, der denen das dann meldet.
Hatten Sie den Eindruck, dass die Männer, die zu Ihnen kamen, Ihnen glaubten, dass Sie das freiwillig machen?
Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Wir sind ja keine Schauspielerinnen, und das ist keine Sache, die man perfekt spielen kann. Das müssen die Männer gemerkt haben.
Haben Sie Frauen getroffen, denen die Arbeit Spaß gemacht hat?
Ja, klar, das gab es auch. Das war allerdings die absolute Ausnahme, vielleicht fünf Prozent der Frauen machen das freiwillig, weil… ich drücke es mal so aus… weil die auf Geld stehen. Und das ist sehr leicht verdientes Geld.
Wie viel haben Sie denn damals verdient?
An sehr guten Tagen bis zu 10.000 Euro. Aber ich musste meinem Ex-Freund alles abgeben. Er hat dazu noch Hartz 4 kassiert.
Was wissen Sie über die Biografien der anderen Frauen, mit denen Sie gearbeitet haben?
Die kamen meistens aus anderen Ländern. Ihre Männer erzählten ihnen, sie sollten arbeiten, damit man sich zusammen ein Haus kaufen kann. Aber das stimmte nicht. Das hat mein Ex-Freund mir ja auch immer erzählt. Gemeinsame Zukunft und so.
Hat der Job, in den Sie gezwungen wurden, Ihr Bild von Männern verändert? Was denken Sie heute über Männer?
Ich drücke es mal so aus: Ich verstehe nicht, warum Männer zu Prostituierten gehen. Ich verstehe nicht, warum sie dafür Geld ausgeben, wo sie doch zu Hause eine Frau haben und sehen, dass wir das nicht gerne machen. Deswegen vertraue ich noch immer keinem Mann, weil ich denke, die sind alle gleich. Obwohl ich weiß, dass das nicht stimmt. Ich hoffe, das ändert sich mal.
In manchen Ländern ist Prostitution verboten. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Naja, ich weiß nicht. Wie gesagt, ich habe ja auch Frauen kennen gelernt, die das freiwillig machen. Vor denen habe ich wirklich Respekt. Es ist zwar schnell verdientes Geld, aber ein extrem anstrengender Job. Wir hatten Fälle im Saunaclub, da war ein Kunde über 100 Jahre alt. Der Mann konnte nicht mehr alleine gehen, aber der kam da hin. Und dann nimmt der natürlich ausgerechnet noch die jüngste Dame da. Dieses Mädchen hat uns damals unglaublich Leid getan, dass sie das mitmachen musste. Die hat sich wahnsinnig geekelt.
Sie haben sich vermutlich auch oft geekelt.
Nicht oft, sondern nur. Immer.
Haben Sie auch an Selbstmord gedacht?
Ja, klar, natürlich. Jeden Tag dachte ich daran, ob ich mich umbringen soll. Aber ich dachte auch immer: Ich habe Familie. Ich habe eine kleine Schwester, auf die ich aufpassen muss.
Hatten Sie mal die Vorstellung, Ihrem Ex-Freund etwas anzutun, ihn zu töten?
Klar, die Vorstellung hatten wir Frauen alle: Zuerst ihn umbringen und dann dich selber. Aber wie sollten wir das machen? Wir waren nicht stark genug.
Wie haben Sie diese Arbeit Tag für Tag überstanden?
Im Saunaclub war es normal, jeden Tag zu saufen. Wenn wir Mädels Spaß haben wollten, haben wir jeden Tag gesoffen. Tequila oder Wodka. Dann waren wir gut drauf, der Kopf war leer. Im Laufhaus durften wir aber nicht saufen.
Wenn ich im Zimmer war… ich hatte nur eine Wahl: Augen zu und durch. Mein Gehirn war sowas von leer. Ich dachte mir: Du machst das, weil du damit dein Geld verdienst und später mit deinem Mann in Ruhe in einem Haus wohnen kannst.
Was fühlen Sie heute, wenn Sie an Ihren Ex-Freund denken?
Gefühle? Ich habe gebrochene Gefühle. Es gibt noch so viele Fragen, die ich ihm stellen möchte: Wieso hast du das gemacht? Wieso hast du mich dafür ausgewählt? Ich wünsche ihm echt nichts Schlechtes. Ich sage nur: Der große Gott ist da oben, er sieht alles. Ich wünsche mir, dass keine Frau dasselbe erleben muss wie ich.
Sie wünschen ihm nichts Schlechtes? Das finde ich wirklich bemerkenswert.
Ja, weil ich denke, dass er wirklich krank ist. Kein normaler Mensch würde so etwas tun. Man kann seine eigene Freundin nicht zu so etwas zwingen.
Sie empfinden keinen Hass?
Vielleicht, wenn ich ihn nochmal sehe. Vielleicht. Aber da ich ihn so lange nicht gesehen habe, fühle ich nichts. Ich bin kaltherzig geworden.