Zweiter Weltkrieg in KölnWie die Kölner 1945 ihre Stadt wieder aufgebaut haben

Kinder, Frauen, Männer, alle schaufelten den Schutt in Kipploren.
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Köln – Kurz nach Kriegsende geht Heinz Monheim mit seinem Großvater am Rhein spazieren. „Ich schaute zu ihm hoch und sah, dass er weinte.“ Heinz Monheim, damals neun Jahre alt, ist den Anblick der zerstörten Stadt gewohnt, er ist mehr oder weniger in Ruinen aufgewachsen.
Aber die Erwachsenen trauern um ihr geliebtes Köln. Etwa 30 Millionen Kubikmeter Schutt verteilen sich zum Kriegsende in den Straßen. Sülz, Ehrenfeld, Lindenthal, Nippes, Mülheim und die Innenstadt hat es am härtesten getroffen. Rund 45 Prozent der Kölner Gebäude sind schwer beschädigt beziehungsweise vollständig zerstört.
Die Trümmer, die es von nun an fortzuschaffen gilt, prägen die Kölner Topografie bis heute: Der Herkulesberg zwischen Innerer Kanalstraße und Mediapark, von den Kölnern „Mont Klamott“ genannt, ist die größte von elf Erhebungen beziehungsweise Flächen, die durch Kriegsschutt entstanden sind.
Schutt wird in kleinen Schritten beseitigt
Die Beseitigung des Unrats beginnt 1945 in kleinen Schritten. Zunächst werden Straßen und Plätze geräumt, nach der Währungsreform dann vor allem Grundstücke. Die amerikanischen Truppen befreien zunächst mit Räumpanzern die Hauptdurchgangsstraßen für den militärischen Verkehr, die Verwaltung lässt weitere wichtige Straßen räumen.
Im Sommer 1945 beginnen die Behörden, Männer zwischen 14 und 65 Jahren sowie Frauen zwischen 14 und 45 Jahren zu Pflichtarbeiten heranzuziehen, allerdings nicht massenweise, wie es in anderen Städten der Fall ist. Die kommunistische Stadtverordnete Maria Fensky kritisierte damals dennoch scharf, dass auch Frauen Schwerstarbeit leisten müssen: „Es ist gut und richtig, wenn die Straßen möglichst schnell gereinigt werden. Aber falsch und schlecht ist es, dass die Mädels an den Straßen stehen und Dreck schüppen müssen, während die Faschisten immer noch herumlaufen.“
Bis Ende 1945 sind 83 Kilometer Straßen geräumt und 613 000 Kubikmeter Schutt entfernt. Baufirmen, die vom Straßenamt beauftragt werden, übernehmen einen Großteil der Arbeit. In einer Sonderaktion werden 1800 einsturzgefährdete Häuser abgebrochen. An die Fortschritte anderer Städte reicht dies nicht heran.
Anfang März 1945 erobern amerikanische Soldaten das linksrheinische Köln, kurze Zeit später auch das Rechtsrheinische. Der Krieg ist beendet, die Alliierten haben ab jetzt das Sagen. Die Kölner räumen auf, sie besuchen Konzerte, sie planen ihre Stadt neu, sie gehen wieder wählen. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ beleuchtet in der Serie „Die Stunde Null“ die unmittelbaren Nachkriegsjahre. In der kommenden Woche geht es um das „Fringsen“ im Hungerwinter und den Schwarzmarkt. Heinz Monheims Buch „Bomben, Kaugummi und Swing – Köln zwischen Krieg und Frieden“ ist über den Autor beziehbar. (cht)
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Auf Druck von Militärregierung und Stadtverordneten, die schnellere Erfolge wünschen, fordert Oberbürgermeister Hermann Pünder die Kölner Anfang 1946 zum „Ehrendienst“ auf. Alle arbeitsfähigen Bewohner sollen nun jeweils einen Tag im Jahr mit anpacken. „Niemand schließt sich aus“, schreibt Pünder in einer öffentlichen Bekanntmachung: „Wer es dennoch tun sollte, beleidigt die Gemeinschaft, die ihm Nahrung, Kleidung, Wohnung und Sicherheit gewährleistet. Sie wird ihn zu strafen wissen.“
Tatsächlich muss sich auf Nachteile beim Antrag von Bezugsscheinen oder Wohnungszuteilungen einstellen, wer sich dem „freiwilligen“ Dienst entzieht. Deshalb ist die Beteiligung groß. 1946 nehmen mehr als 100 000 Männer und rund 72 000 Frauen am „Ehrendienst“ teil. Als Reaktion auf Forderungen aus der Bevölkerung, wonach auch die eigentlich Schuldigen ihren Teil beitragen sollen, müssen zudem 26 245 ehemalige Parteigenossen der NSDAP und deren Sympathisanten einen sechstägigen „Sühnedienst“ ableisten. Ähnliche Schuttaktionen werden 1947 und 1948 wiederholt.
Nach dem Krieg lebt der heute 79-jährige Heinz Monheim bei seinen Großeltern an der Vorsterstraße in Kalk. Der Vater befindet sich in französischer Gefangenschaft, die Mutter ist in Porz untergekommen. Denn die elterliche Wohnung in Gremberg ist zerstört. Heinz Monheim, der fünf Bücher über seine Erlebnisse nach dem Krieg geschrieben hat, spielt in den Trümmern, er findet wertvolle Konserven in Kellern und klettert mutig auf Treppen, die jederzeit zusammenstürzen können. Er ist immer hungrig, seine Kleidung ist zerschlissen.
Die Trümmerlandschaften, die Monheim mit einer Kinder-Clique durchkämmt, sind gefährlich, aber aufregend. Das gilt auch für die Kipploren, die eines Tages auf Schienen in die Vorsterstraße gerollt werden: „Das war das tollste Abenteuer, damit als blinder Passagier mitzufahren“, erinnert sich der gebürtige Mülheimer. Durch die ganze Stadt ziehen sich die Gleise der Schuttbahnen, die sich nach und nach durch die Trümmerberge fressen. Per Hand oder mit der Schaufel befördern die Kölner den Unrat in die Transportwägelchen. Sind sie voll, werden sie aus den Nebenstraßen an die Knotenpunkte geschoben. Von dort aus ziehen kleine Diesel- oder Dampfloks sie zu den zentralen Schuttplätzen. Das sind vor allem die Grünanlagen, in denen Kiesgruben zugeschüttet werden und Hügel entstehen. Hier ist genug Platz für die Massen an Material.
Dass der Schutt anfangs kaum aufbereitet wird, liegt laut Joachim Bauer vom Grünflächenamt an den großen Kiesvorkommen des Rheinlands. Den Kies zu Baumaterial zu verarbeiten sei leichter gewesen als die Trümmer in großem Stil wieder nutzbar zu machen.
Also entschied die Verwaltung, die Schuttberge liegen zu lassen und in die Parkanlagen zu integrieren. Neben dem Herkulesberg sind auch der Vingster Berg, der erhöhte Teil des Rheinparks oder die Erhebung zwischen Aachener Weiher und Universität aus Trümmern erwachsen. Manche Hügel wurden mit schwerem Gerät modelliert, die meisten aber sich selbst überlassen und bewaldet. Wer dort gräbt, stößt auf die Überreste des untergegangenen Kölns. „Für Archäologen ist das eine ganz fantastische Sache“, sagt Bauer.
Heinz Monheim muss keine Trümmer auf Loren schaufeln. Aber er durchsucht den Schutt nach Ziegelsteinen, die er an Bauherren verkauft, um das Geld auf dem Schwarzmarkt in Lebensmittel einzutauschen. Seine Mutter, seine Tante und seine Großeltern aber packen mit an, als die Schuttloren kommen. „Es war für sie eine moralische Pflicht“, sagt Monheim. Immerhin eine, für die es mittags von der Stadtverwaltung einen guten Eintopf gibt.