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10 Jahre Charlie HebdoWarum ein deutsches Gesetz Islamisten schützt

Lesezeit 4 Minuten
Karikatur von Daniel Jokesch

Anlässlich des 10. Jahrestags von Charlie Hebdo eingesandte Karikatur von Daniel Jokesch

Eine Ausstellung in Oberhausen erinnert an das Attentat auf das Satiremagazin Charlie Hebdo – und an ein Gesetz, das Religionskritik bestraft.

„Humor“, so steht es unter einer Karikatur der Kölner Cartoonistin Ruth Hebler, „ist mitunter eine ernste Sache“. Die Zeichnung zeigt eine Frau mit Stift und Papier am Schreibtisch, umgeben von vielen Gedankenblasen mit Fragen wie „Ist es das wert?“ und „Lass es sein!“.

Hebler scheint nicht die einzige Künstlerin zu sein, die genau überlegt, was sie zeichnet. Zehn Jahre nach dem Attentat auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo wegen dessen islamkritischer Mohammed-Karikaturen ist Heblers Zeichnung zusammen mit anderen Cartoons zum Thema Meinungsfreiheit in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen zu sehen. „Man merkt an den Zeichnungen, dass Charlie Hebdo viele Künstler noch immer beschäftigt und ihre Arbeit beeinflusst“, sagt Leonie Neidert, die Kuratorin der Oberhausener Ausstellung.

Anlässlich des zehnten Jahrestages des Attentats, bei dem zwölf Menschen ermordet worden, hatte die Ludwiggalerie zusammen mit vier anderen Museen aus verschiedenen Bundesländern Künstler dazu aufgerufen, ihre Gedanken zum Attentat zu Papier zu bringen und die Ergebnisse einzusenden. Auch die anderen Museen zeigen nun bis Mitte oder Ende Januar eine Auswahl der Einsendungen.

In Deutschland wären die Überlebenden verurteilt worden

Die Ausstellung in Oberhausen, die bis zum 02. Februar kostenlos besucht werden kann, soll auch auf die Gesetzeslage in Deutschland aufmerksam machen, nach der die Überlebenden der Charlie-Hebdo-Redaktion hätten verurteilt werden müssen. Denn Paragraf 166, ein Gesetz aus der Kaiserzeit, stellt es unter Strafe, sich über religiöse oder weltanschauliche Bekenntnisse auf eine Art und Weise lustig zu machen, „die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“.

Michael Schmidt-Salomon von der Giordano-Bruno-Stiftung für Humanismus und Aufklärung sieht darin eine Täter-Opfer-Umkehr, die religiöse Fundamentalisten schütze. Denn schließlich seien es diese, die den öffentlichen Frieden störten, weil sie im Gegensatz zu nicht-religiösen Menschen nicht gelernt hätten, andere Ansichten zu tolerieren.

Schmidt-Salomon: „Gesetz wird von Islamisten genutzt“

Vor zwei Jahren, erzählt Schmidt-Salomon, habe die Giordano-Bruno-Stiftung einen Exiliraner unterstützt, der nach einer kritischen Bemerkung über Mohammed von einem gläubigen Muslim auf der Straße attackiert worden sei. „Die Schläge des Täters führten zur Verurteilung des Opfers“, sagt Schmidt-Salomon.

Zwar wurde der Paragraf 166 Ende der 1960er Jahre durch den Zusatz „weltanschauliche Bekenntnisse“ auf dem Papier zu einem weltlichen, neutralen Paragrafen. Doch in der Praxis hat das Gesetz laut Schmidt-Salomon noch nie zu einer Verurteilung geführt, weil nicht-religiöse Menschen verletzt wurden. Stattdessen werde der Paragraf seit dem internationalen Karikaturenstreit aus dem Jahr 2006, der ebenfalls nach der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen entstand, hauptsächlich von Islamisten genutzt, um jegliche Kritik am politischen Islam abzuwehren.

Kampagne "Free Charlie" bringt Buch und Film heraus

Schmidt-Salomon setzt sich deshalb mit der Kampagne „Free Charlie“ für die Abschaffung des Paragrafen 166 ein. Zum 10. Jahrestag von Charlie Hebdo hat die Giordano-Bruno-Stiftung das Buch „Free Charlie! Satire kann man nicht töten“ und einen dazugehörigen Film herausgebracht. Darin werden religionskritische Karikaturen der vergangenen Jahrzehnte gezeigt und die Geschichte der deutschen Gesetzeslage erklärt. Der Film und einzelne Karikaturen aus dem Buch sind ebenfalls in der Ludwiggalerie in Oberhausen zu sehen.

„Satiriker müssen immer mit diesem Schwert über dem Kopf leben, dass sie für ihre Arbeit vor Gericht gezerrt werden können“, sagt Ricarda Hinz, die Regisseurin des Films. „Dabei lebt eine offene Gesellschaft von Kritik.“ Hinz findet: In Deutschland werde Religionsfreiheit stärker hochgehalten als Meinungsfreiheit.

Satire hat eine Aufklärfunktion

Sollte Friedrich Merz zum nächsten Bundeskanzler gewählt werden, sagt Hinz, habe sie keine Hoffnung, dass Paragraf 166 bald abgeschafft werde. Doch Schmidt-Salomon ist der Meinung, dass es auch nicht im Sinne konservativer Politiker sein könne, wenn der Iran Menschen, die vor ihm geflüchtet seien, in Deutschland strafverfolgen lasse.

„Humor hat eine massiv autoritätsuntergrabende Funktion“, sagt Schmidt-Salomon. „Eine echte Satire deckt Wahrheiten auf, indem sie überzeichnet.“ Deshalb müsse es Satire als Bildungsarbeit geben. Die Angst vor Kritik sei ein Problem, weil sie eine produktive Streitkultur verhindere.

Das Buch „Free Charlie!“ kommentiert dieses Dilemma bereits in der Einleitung. Dort steht: „Triggerwarnung“, und darunter: „Dieses Buch enthält Humor.“