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10 Jahre Kölner Weltliteraturfestival„Die Poetica hatte schon immer ein Anliegen, das über die Literatur hinausgeht“

Lesezeit 4 Minuten
Fiston Mwanza Mujila bei einem seiner Auftritte im Rahmen der Poetica 7 (2022).

Fiston Mwanza Mujila bei einem seiner Auftritte im Rahmen der Poetica 7 (2022).

Zum 10-Jährigen der Poetica blicken die diesjährigen Kuratoren zurück und sprechen darüber, warum Lyrik auch heute so wichtig sein kann.

Als er 2015 ein Poetik-Festival für Köln ins Leben rief, war der Literaturwissenschaftler Günter Blamberger skeptisch, ob sich das Kölner Publikum wirklich für Lyrik interessieren könnte. Jetzt feiert das Festival, das seitdem unter dem Namen Poetica jährlich im Januar stattfindet, sein Zehnjähriges. Längst hat es einen festen Platz in der Kulturlandschaft der Stadt gefunden. „Dass es über die Jahre hinweg so ein wunderbarer Erfolg wurde, damit hatte ich nicht gerechnet“, sagt Blamberger heute. Gemeinsam mit der Lyrikerin Uljana Wolf und der Dramaturgin Michaela Predeick hat er die diesjährige Jubiläumsausgabe kuratiert, die sich dem Thema der Gastfreundschaft widmet.

Lyrik nimmt wichtige gesellschaftliche Rolle ein

Die drei sind überzeugt, dass die Lyrik gerade in der aktuellen Zeit zunehmender gesellschaftlicher Spaltung relevant ist. Uljana Wolf, die bereits 2022 Kuratorin der siebten Poetica war, findet: „Gerade das poetische Sprechen, das sich nicht so leicht einem bestimmten deuterischen Zugriff hingibt, das man nicht sofort mit einem Lesen verstehen oder abhaken und in irgendein Lager einordnen kann, kann in der aktuellen Zeit eine sehr wichtige Aufgabe einnehmen.“ So sei das Leitthema der Gastfreundschaft, neben einem Plädoyer für das Gedicht selbst und die Öffnung des sprachlichen Raums, auch als eine Reaktion auf das Engerwerden der Räume für Menschen mit migrantischen Hintergründen zu verstehen.

„Die Poetica hatte schon immer auch ein Anliegen, das über die Literatur hinausgeht“, ergänzt Günter Blamberger. Doch natürlich gehe es auch darum, herausragende Literatur zu präsentieren. Dass die Poetica, die sich als Festival für Weltliteratur versteht, das kann, hat sie in den vergangenen Jahren unter Beweis gestellt. Von der ersten Ausgabe an, schaffte das Festival es, namhafte Dichterinnen und Dichter aus aller Welt nach Köln zu locken – viele von ihnen waren in Deutschland noch wenig bekannt, während sie international bereits große Aufmerksamkeit erfahren haben.

Die Poetica präsentiert seit 2015 herausragende Lyrik

„Durch unsere Übersetzungen, die wir veröffentlichen, nehmen wir auch eine Vorreiterrolle ein und machen viele der Autoren auch hier bekannt“, so Uljana Wolf. Anlässlich des Jubiläums hat sie mit ihren Co-Kuratoren auch Autorinnen und Kuratoren vergangener Ausgaben erneut eingeladen, darunter Lebogang Mashile, Monika Rinck, Fiston Mwanza Mujila und Yoko Tawada. Aber auch neue Gesichter wie die syrische Autorin Lina Atfah, die Dichterin Radna Fabias aus Curaçao oder Dramaturgin und Autorin Sasha Marianna Salzmann aus Deutschland werden zur Poetica nach Köln kommen.

Die Organisatoren des Festivals legten von Beginn an großen Wert darauf, auch Lyrik wenig gesprochener Sprachen zu repräsentieren. Die Gedichte werden von ihren Urhebern immer erst in ihrer Originalsprache vorgetragen, bevor sie dann ins Deutsche übersetzt werden, sodass man den jeweils eigenen und persönlichen Sound der Lyrik unmittelbar erleben kann. „Das Festival präsentiert immer wieder, wie unterschiedlich Lyrik aussehen kann“, sagt Michaela Predeick, seit 2021 Dramaturgin der Poetica. Man könne insbesondere bei internationaler Lyrik sehr verschiedene Vortragsweisen erleben, welche die Autorinnen und Autoren aus ihren jeweiligen Kulturen mitbringen. In der Heimat der südafrikanischen Autorin Lebogang Mashile etwa, sind Gedichte auch im Alltag, auf Hochzeiten oder Geburtstagen, sehr präsent. Menschen kommen mit auf die Bühne, um zu tanzen oder zu singen.

Originalsound wird erlebbar

Diese Formvielfalt greift die Poetica in unterschiedlichen Formaten auf. Beim Abschlussabend am Schauspiel Köln werden beispielsweise die poetischen Texte in Zusammenarbeit mit den Ensemblemitgliedern in Szene gesetzt. Dieser Abend sei etwas sehr Besonderes der Poetica, sagt Predeick, „aber auch der Ablauf über die Woche hinweg ist aus Publikumsperspektive immer sehr spannend, weil man die Autorinnen und Autoren in sehr verschiedenen Konstellationen und Formaten miteinander erleben kann.“

Angefangen hatte alles eigentlich schon vor 2015 mit dem im Jahr 2009 gegründeten Wissenschaftskolleg Morphomata und einem daraus hervorgegangenen Poetik-Lehrauftrag an der Kölner Universität. Der Autor Daniel Kehlmann war der erste, der damals Vorlesungen zur Weltliteratur hielt und dafür seine Übersetzer und Dichterfreunde aus aller Welt zu Veranstaltungen nach Köln einlud. Daraus entstand schließlich die Idee, mit der Poetica das Konzept zu einem Festival für ein breiteres Publikum zu erweitern. Seitdem wird die Poetica von der Universität Köln in Kooperation mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung veranstaltet, viele weitere Kultureinrichtungen der Stadt machen mit – und die Kölner haben in den vergangenen zehn Jahren gezeigt, dass sie sich tatsächlich für Lyrik begeistern können.