AboAbonnieren

25 Jahre „Frau TV” im WDR„In großen Schritten rückwärts in Richtung Mittelalter”

Lesezeit 10 Minuten
Neuer Inhalt (7)

Sabine Heinrich und Lisa Orgies 

Seit 25 Jahren gibt es „Frau TV“. Haben sich die Themen in dieser Zeit sehr verändert oder bewegen Sie immer noch überwiegend dieselben Fragen?Lisa Ortgies: Das neue Unterhaltsrecht ist gekommen. Das Gesetz zur Vergewaltigung in der Ehe wurde in der Zeit des Sendestarts geändert. Ich habe nach wie vor Hoffnung, aber der Fortschritt geschieht im Schneckentempo, wenn man sich etwa anschaut, wie viele Väter heute Teilzeit nehmen oder eine Elternzeit, die über zwei Monate hinausgeht.

Damals hatte man schon noch eine andere Gemengelage, da gab es brutale Themen, obwohl ich sagen muss, weltweit wird es jetzt auch wieder brutaler. Nehmen Sie die USA: Mich hat es umgehauen, dass die allen Ernstes auf dem Weg sind, das Abtreibungsrecht zu kippen und die ganze USA zurück ins Mittelalter zu schicken.

Sabine Heinrich: Da kriege ich eine Gänsehaut. Das ist katastrophal. Es hört nicht auf. Ich habe grundsätzlich eine Sorge, dass wir in manchen Themen einen Rollback haben. Wir waren doch schon so viel weiter.

Ortgies: Genau. Vor 25 Jahren hat es keine Demos von Lebensschützern vor Pro-Familia-Filialen gegeben. Das war ein Ding der Unmöglichkeit. Dieser Rollback passiert, es ist ein unterschwelliges Hintergrundrauschen.

Gleichzeitig gibt es aber einen Fortschritt hin zu unterschiedlichen Rollen, zu unterschiedlichen Geschlechtern und alle möglichen Bewegungen wie Body Positivity. Komischerweise findet das gleichzeitig statt, aber die Unter-Strömung geht in großem Tempo und großen Schritten rückwärts in Richtung Mittelalter. Auch in Europa. Das bedeutet immer eine Gefahr für die Demokratie.

Heinrich: Gleichzeitig werden ja auch die privaten Themen viel komplexer. Das ins Gespräch mit Freundinnen zu holen, finde ich wahnsinnig wichtig. Ich bin vielleicht auch ein bisschen anstrengend im privaten Bereich und meine Freundinnen sagen „Sabine hat wieder eine Mission“. Aber da ballern die Themen nur so rein.

Wir müssen auch im Privaten mehr über diese Themen sprechen?

Ortgies: Es fängt tatsächlich am Küchentisch an. Ich habe gerade mit einer Scheidungsanwältin ein Interview gemacht. Es ist absolut irre, dass Frauen sich noch immer auf das Modell Zuverdienerin einlassen. Das tun sie bei 75 Prozent der Paare, 60 Prozent der Frauen arbeiten Teilzeit. Sie machen sich Gedanken über die Blumen bei der Hochzeit, aber sie wissen nicht, dass eine Zugewinngemeinschaft bedeutet, dass sie eventuell gar nichts mehr haben am Ende.

Heinrich: Es stört mich, dass der Unterton ist, Frauen kümmern sich eher um die Blumen. Es ist kompliziert. Warum wird es nicht von der Politik einfacher gestaltet, dass wir nicht in diese Situation kommen? Um was müssen wir uns denn noch alles kümmern? Ich möchte mich auch um die Blumen bei der Hochzeit kümmern dürfen, aber ich möchte nicht mit Bauchschmerzen an meine Altersvorsorge denken müssen.

Ortgies: Es ist auch Liebe, wenn man dafür sorgt, dass der andere eben keine schlaflosen Nächte hat oder nicht in die Altersarmut rutscht. Ich spreche gar nicht nur die Frauen an, ich sag das auch Paaren. Kümmert euch beide drum. Macht keinen Geburtsvorbereitungskurs, sondern trinkt einen Tee und redet darüber, wie die nächsten fünf Jahre aussehen. Und das Ehegattensplitting bitte abschaffen! Dadurch fühlen sich ganz viele ermuntert, das so zu regeln. Macht doch aus Liebe, wenn es euch gut geht, einen Ehevertrag.

„Wir geben eine Gänsehaut ins Wohnzimmer”

Frau Heinrich, Sie sind seit 2014 bei „Frau TV“. Wie hat sich die Sendung in dieser Zeit verändert?

Heinrich: Mein allererstes Thema waren Wechseljahre. Ich war hilflos, hatte einen Schweißausbruch, weil ich nicht wusste, was das ist. Worum geht es da? Unsere damalige Redaktionsleiterin, die großartige Dagmar Kieselbach, sagte: Genauso moderierst du das Thema bitte an.

Ich habe vor wenigen Wochen wieder einen Beitrag zum Thema Wechseljahre in der Sendung gehabt. Da machen zwei 20-Jährige einen Podcast und sagen, das ist ein Aufbruch in eine großartige Zeit. Das ist eine neue Phase, die ist so voller Potenziale und Kraft. Die haben das ganz anders erzählt, und wir haben das auch anders erzählt. Da hat sich auch unsere Sichtweise geändert.

Zu den Personen und der Jubiläumssendung

Lisa Ortgies (56) ist seit dem Start von „Frau TV“ im Jahr 1997 Moderatorin der Sendung. Sabine Heinrich (45) moderiert das Frauenmagazin des WDR seit 2004 im Wechsel mit ihr.

An diesem Donnerstag, 12. Mai, läuft um 22 Uhr im WDR Fernsehen die Jubiläumssendung von „Frau TV“. Ortgies und Heinrich moderieren sie gemeinsam und gehen unter anderem der Frage nach, warum es „Frau TV“ noch immer braucht.

In der Sendungsbeschreibung steht, sie wollen die Themen mit einem Augenzwinkern vermitteln und nicht mit dem Holzhammer. Was muss man sich darunter genau vorstellen?

Ortgies: Wir nehmen schon den Hammer - aber mit einem Plüschkissen drüber. Es muss sich gut anfühlen. Du kannst so was wie das neue Unterhaltsrecht nicht diskutieren, indem du sagst, ihr müsst jetzt alle Vollzeit arbeiten.

Wir wissen, wie die Realität aussieht. Wir erklären, das ist die Faktenlage, das kannst du jetzt noch ändern. Wir haben viele positive Beispiele, Vorbilder, wo Frauen einfach ihr Ding gemacht haben. Wir geben eine Gänsehaut ins Wohnzimmer.

Heinrich: Ich staune manchmal, wenn ich so einen Beitrag anmoderiere. Ich frage mich dann, wie schaffen das die anderen Frauen, solche Ideen zu haben, sie dann auch noch umzusetzen und dabei auch noch klasse auszusehen? Ich liege manchmal abends auf dem Küchen-Fußboden und sage: Heute ohne Zähneputzen ins Bett. Aber ich lasse mich inspirieren. Und wenn ich mir nur ein bisschen was rausziehe. Ich muss nicht gleich das ganz große Rad drehen.

Haben Sie sich schon immer als Feministin gefühlt? Oder war das eher ein Prozess?

Ortgies: Das hat schon früh angefangen, aber es ging über Jahre. Ich hab auch am Anfang gedacht: Wo ist das Problem? Ich habe aber lange als Stewardess gearbeitet. Da habe ich brachiale Bekanntschaft gemacht mit MeToo. In dieser Zeit habe ich den einen oder anderen Eis-Eimer in einen Schoß ausgeleert.

Heinrich: Als MeToo aufkam, habe ich im ersten Reflex gesagt, mir ist das noch nicht passiert. Aber es gab genug Situationen, die wirklich grenzwertig waren, die sogar übers Ziel hinausgeschossen sind, die ich aber nicht als grenzwertig empfunden habe. Ich habe das nicht hinterfragt. Es ist wichtig, dass wir unsere Kinder, Jungs wie Mädchen, mit einem Handwerkszeug der Empörung ausstatten.

"Aber ich sage allen Frauen: Erstmal hier schreien!"

Warum laufen die Debatten rund um feministische Themen gerade im Netz so oft so schnell aus dem Ruder?

Ortgies: Es ist identitätsstiftend, sich einem Lager zuordnen zu können. Dahinter steckt die Angst, im falschen Lager zu stehen und angegriffen zu werden. Es gibt oft Themen, die erstmal betrachtet werden müssten. Aber vor dem Nachdenken wird Stellung bezogen. Dieses Bedürfnis ist wahnsinnig groß. Weil die ganze Atmosphäre so aufgeheizt ist, will ich safe sein. Das Einfachste ist zu sagen, dann denke ich nicht mehr nach und sehe es schwarz-weiß. Basta.

Aber so kommen wir natürlich nicht weiter.

Ortgies: Nein, es ist idiotisch. Mit allem, was ich veröffentliche, sage ich, sorry, tut mir leid, ist doch ein bisschen komplexer. Das lässt sich nicht in einem TikTok-Video erklären.

Heinrich: Das lässt sich auch nicht mit drei Tweets ändern. Ich glaube, wir brauchen Zeit. Ich gendere seit zehn Jahren. Wenn die Leute sich gestört fühlen, fühlen sie sich gestört. Ich stelle aber fest, dass es immer mehr machen. Wir geben dem Ganzen Zeit, das Thema ist in der Diskussion. Wenn wir in zehn Jahren über dieses Thema nochmal sprechen, bin ich sicher, dass wir da schon viel weiter und entspannter sind.

Ich habe in Ihrer Sendung erfahren, dass im NRW-Landtag nur 27,6 Prozent der Sitze von Frauen besetzt sind. Soll sich politisch etwas ändern bei Frauenthemen, brauchen wir aber doch viel mehr Frauen in Entscheidungspositionen. Was muss passieren?

Ortgies: Da kann man in den Gemeinden anfangen. Da, wo ich herkomme, hat noch bis vor kurzem der katholische Kindergarten um 12 Uhr dichtgemacht. Warum? Weil doch dann die Mutter beim Kind sein soll. Das sind Zustände, die draußen durchaus noch herrschen. In der Großstadt funktioniert das wunderbar. Aber das ist eine Blase. Wie entstehen Direktmandate? Das fängt in den Landkreisen und auf dem Land an. Wer meldet sich da? Da sitzen nur Männer im Stadtrat. Welche Frau soll dann mitmischen? Die tauchen da nicht auf, weil sie an diesen Gegebenheiten scheitern. Ich möchte auf diesem Wege viele Frauen ermutigen: Macht das! Ihr müsst gar nicht so viel Vorwissen haben, haben die da drin auch nicht.

Frauen trauen sich da weniger zu als Männer?

Ortgies: Absolut. Das muss man auch gar nicht werten. So sind wir sozialisiert. Aber ich sage allen Frauen: Erstmal hier schreien! Und hinterher überlegst du dir, wie du den Job machst. Da kann man sich von Männern eine Scheibe abschneiden.

Haben Sie das lernen müssen?

Heinrich: Ich bin die einzige Moderatorin in einem Primetime-Quiz-Format am Samstagabend. Da geht mir auch ein bisschen die Düse. Ich denke oft, das ist wie beim Skifahren, wenn du eine gute Piste hast, Sonnenschein, tollen Schwung. Und dann plötzlich kommt diese Eisfläche. Da hast du zwei Möglichkeiten: Entweder du verreißt in dem Moment, weil du denkst, das kann ich gar nicht, oder du gleitest super cool drüber und zack, bist du wieder im griffigen Schnee. Das ist mein Mindset. Fallen kann ich später auch im festen Schnee. Aber ich muss nicht auf der Eisplatte fallen. Man muss souverän bleiben.

Das könnte Sie auch interessieren:

In Zeiten von Social Media: Ist es leichter oder schwerer, heute ein junge Frau zu sein?

Ortgies: Ich sehe zeitgleiche Entwicklungen. Es gibt diese große Bewegung wie Body Positivity. Gleichzeitig sind junge Frauen präsent und gezwungen, sich Gedanken zu machen, sind viel mehr Vergleichen ausgesetzt als ich als Dreizehnjährige.

Was ich wirklich mit Sorge betrachte, ist der Trend zur Magersucht. Der ist raus aus diesen geschlossenen Foren und wird bei TikTok gefeiert. Und gleichzeitig sehe ich eben tolle Vorbilder und Influencerinnen, die ein ganz anderes Beispiel abgeben. Ich weiß nicht, wer am Ende gewinnt.

Ich muss Sie noch nach zwei Themen fragen, die in Köln omnipräsent sind: Kirche und Karneval. Sehen Sie da Chancen auf Veränderung und mehr Teilhabe für Frauen?

Heinrich: Ich habe mich lange mit dem Thema schwergetan, aus der Kirche auszutreten, aber dann hat es irgendwann gereicht. Es heißt nicht, dass ich nicht wieder zurückkommen kann, aber da muss schon viel passieren. Die katholische Kirche verkennt die Frauen und die Macht der Frauen. Sie holen sich ihre Spiritualität woanders. Sie brauchen die Kirche dafür nicht. Die kommen nicht wieder zurück.

Ortgies: Es gibt natürlich 1000 Gründe, aus der katholischen Kirche auszutreten. Wo soll ich da anfangen? Schwangerenberatung, Missbrauchsfälle und so weiter. Ich bin bei den Katholiken raus und bei den Protestanten wieder rein.

Aber die Bewegung Maria 2.0 ist fantastisch. Die katholische Kirche macht einen Riesenfehler, dass sie diese Bewegung jetzt nicht umarmt. Ihnen wird der Rest weglaufen, wenn sie sich nicht trauen, ihnen Teilhabe und Einfluss zu ermöglichen. Es würde schon reichen, wenn die katholische Kirche auf Augenhöhe mit Frauen heutzutage wäre. Wenn sie nicht radikal umdenken, sind sie verloren.

Also ist es wahrscheinlicher, dass wir ein weibliches Dreigestirn im Karneval bekommen?

Heinrich: Ich bin dran. Das wäre eine große Sache. Ich habe das weibliche Dreigestirn im Kopf auch schon besetzt. Das fände ich fantastisch. ich glaube, dass es kommen wird, dass man sich gar nicht mehr davor versperren kann.