Am 24. März 1973 kam Pink Floyds „The Dark Side Of The Moon“ in die deutschen Plattenläden. Jetzt droht Roger Waters damit, das Meisterwerk neu einzuspielen.
50 Jahre „The Dark Side of the Moon“Soll man sich Pink Floyd von Roger Waters verderben lassen?
„Wenn dein Kopf auch vor dunklen Vorahnungen explodiert“, singt Roger Waters in „Brain Damage“, „sehe ich dich auf der dunklen Seite des Mondes.“ Die mal lethargische, dann wieder gewaltig anschwellende Ballade vom Hirnschaden ist das vorletzte Stück auf „The Dark Side of the Moon“, dem achten Studioalbum von Pink Floyd. Das gilt als der unumstrittene Höhepunkt im Œuvre der britischen Band.
Ob man nun die schrulligen LSD-Singles ihrer Anfänge bevorzugt, oder die ausufernden Improvisationen, mit denen die Rest-Floyds (übrigens recht gekonnt) die Tatsache zu überspielen versuchten, dass ihnen ihr Sänger und Songschreiber Syd Barrett auf der Rückseite des Mondes verloren gegangen war. Ob man lieber dem lagerfeuerkompatiblen Abschied von Barrett auf „Wish You Were Here“ lauscht oder den schneidend-wütenden Waters-zentrischen Werken („Animals“, „The Wall“), die ihm folgten: „Dark Side“ bildet die goldene Mitte dieser mannigfaltigen Ausformungen der Band.
Hier halten sich Klangexperimente und radiofreundliche Songs die Waage, ebenso Suggestives und Konkretes, wolkige Haschischträume und deren ernüchterte Bilanzen. Es ist das Glasprisma, in dem sich Pink Floyd brechen. Man muss das berühmte Plattencover der Grafikdesign-Agentur Hipgnosis auf den Kopf stellen, um zu erkennen, wie sich die Regenbogenfarben der psychedelischen Zeit zum gebündelten weißen Strahl verhärten, wie aus „See Emily Play“ „Pigs (Three Different Ones)“ entstehen kann.
Von „The Dark Side of the Moon“ wurden bis heute mehr 50 Millionen Tonträger verkauft
Diesen März nun feiert „The Dark Side of the Moon“, das mit mehr als 50 Millionen verkauften Tonträgern kommerziell erfolgreichste Album der 1970er Jahre, seinen 50. Geburtstag. Ein Grund, sich noch einmal jubelnd vor einem dunklen Meisterwerk zu verbeugen, könnte man es dieser Tage nur ohne dramatische Ironie hören.
Gemeint ist das Vorwissen, dass die Wende zum explizit Politischen und zur kritischen Zeitanalyse, die Roger Waters’ Schreiben hier nimmt, ihn am Ende selbst auf die dunkle Seite des Mondes führen wird. Dort tummelt sich der einstige Pink-Floyd-Bassist bereits seit geraumer Zeit in der Gesellschaft allerlei Kommentarspaltengrantler, Putin-Versteher und antisemitischer Hetzer.
Vielleicht ist es falsch, dem 29-jährigen Prog-Rocker die argumentativen Ausfälle des 79-jährigen Querdenkers vorzuwerfen, doch es ist ja Waters selbst, der das Album in Geiselhaft nimmt, um noch mehr Aufmerksamkeit für seine schwer erträglichen Ansichten zu erpressen.
Derzeit arbeitet Waters an einer kompletten Neueinspielung von „Dark Side“, ohne die alten Bandkollegen, mit denen er sich heillos zerstritten hat, vor allem ohne, wie er unlängst ankündigte, „Rock’n’Roll-Gitarrensoli“ – ein Seitenhieb auf den Pink-Floyd-Gitarristen David Gilmour, seinen schärfsten Konkurrenten, dessen Gesangsparts – besonders schön in Harmonie mit Floyd-Keyboarder Richard Wright – Waters durch seinen eigenen, nach vorne gemischten Sprechgesang ersetzt hat.
Das ist schon allein deshalb grundfalsch, weil „Dark Side“ nur als gemeinsame Anstrengung vorstellbar ist, es war, wie Richard Wright später bemerkte, die Zeit der größtmöglichen Offenheit für die Ideen der Anderen. Roger Waters mag die treibende Kraft gewesen sein, der Mann mit dem konzeptuellen Überblick, aber man stelle sich das Album ohne Wrights Kompositionen „Us And Them“ und „The Great Gig in the Sky“ vor.
Wahrscheinlich ist die wortlose Vokalimprovisation in der langen Coda von „The Great Gig“ (für die Clare Torry erst nach einer Klage mit Jahrzehnten Verspätung eine Nennung als Koautorin erhielt) der Moment, der einem als erster in den Sinn kommt, wenn man mit wohligen Schauern an „Dark Side“ denkt. Dabei soll es sich hierbei doch um die Klageschreie eines sterbenden Menschen handeln, dem letzten, sinnlosen Aufbäumen, wenn der Mond schließlich der Sonne das Licht ausknipst.
Roger Waters lässt David Gilmour von der Vergeblichkeit des Lebens singen
Diesen Zaubertrick wenden Pink Floyd durchgängig auf dem Album an: Mit erhabenen Melodien und raumgreifender Produktion erzählen sie von Todesangst und Raserei, von der bleischweren Desillusionierung, die der Aufbruchstimmung der Sixties folgte: Das Leben, lässt Waters Gilmour in „Breathe (In the Air)“ singen, ist nur „ein Wettlauf in ein frühes Grab“.
Das Album beginnt und endet mit einem Herzschlag und die 40 Minuten Existenz dazwischen werden von einer panischen Unruhe durchzuckt, wie sie der pulsierende EMS-Synthesizer in „On the Run“ an die Oberfläche bringt: Geboren, um vom zwischen Gier und Wahn zu Tode gehetzt zu werden.
Dennoch haben sich Generationen von Fans – eventuelle genüsslich an einem Joint ziehend – mit „Dark Side“ auf den Kopfhörern in höhere Sphären gebeamt, haben ihre Schülerliebe im örtlichen Planetarium zur Lasershow noch fester an sich gedrückt, oder später, als mehr Geld vorhanden war, ihre Hi-Fi-Anlagen mit Pink Floyd auf Klangtreue und binaurale Immersionsfähigkeit getestet.
In dieser existenziellen Verlorenheit kann und will man sich verlieren, was daran liegt, dass die Musik Trost spendet, während einem der Text (und die eingespielten Interview-Schnipsel von Roadies und Bekannten der Band) den Boden unter den Füßen wegzieht. Man fällt und wird dabei doch immer getragen. Es gibt noch einige andere Alben, denen dieser Trick gelingt, Radioheads „OK Computer“ dürfte das bekannteste sein, aber Pink Floyd waren die Ersten, die Nachricht von des Mondes dunkler Seite gebracht hatten.
Bei Edel Books ist „Pink Floyd - The Dark Side of the Moon: Das offizielle Buch zum 50. Jubiläum“ erschienen, 160 Seiten, 39,95 Euro.
Am 24. März erscheint bei Warner Music das „50th Anniversary Deluxe Box Set“. Es enthält eine neu abgemischte Fassung des Albums auf Schallplatte, CD, DVD und Blu-Ray samt originalem 5.1-Mix im Surround-Sound.