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Alles, was Sie wissen müssenDeswegen begeistert die Netflix-Serie „Adolescence“ weltweit Millionen

Lesezeit 5 Minuten
Das Bild zeigt eine Szene aus der britischen Netflix-Produktion "Adolescence" mit Jamie Miller, gespielt von Owen Cooper. Foto: -/Netflix/dpa

Owen Cooper spielt Jamie Miller in der britischen Netflix-Serie "Adolescence". Der 13-Jährige wird in der Serie verdächtigt, eine Mitschülerin ermordet zu haben.

Um die Netflix-Serie „Adolescence“ ist weltweit ein regelrechter Hype entstanden. Was Sie wissen müssen, um mitreden zu können.

Die britische Miniserie „Adolescence“ über einen mörderischen Teenager entwickelt sich gerade zum Serienhit dieses Frühlings und ist global ein Gesprächsthema. Innerhalb der ersten zehn Tage (13. bis 23. März) wurden für die vierteilige Produktion aus dem Vereinigten Königreich (Laufzeit 3 Stunden, 50 Minuten) weltweit schon mehr als 66 Millionen Abrufe registriert.

Der „Guardian“ bezeichnete „Adolescence“ (Drehbuch: Jack Thorne und Stephen Graham) als diejenige Produktion seit Jahrzehnten, die Fernsehvollkommenheit am nächsten komme („the closest thing to TV perfection in decades“) und vergibt die Maximalwertung für die Produktion.

„Adolescence“: Was bedeutet der Titel?

„Adolescence“ (Aussprache: adl'es(?)ns) ist ein gehobener Begriff für „Jugend“. Das Wort leitet sich vom lateinischen „adolescere“ (heranwachsen) ab und meint die ganze Entwicklung von der späten Kindheit über die Pubertät bis hin zum vollen Erwachsensein. Einmal fällt der Satz in der Serie, es sei „echt irre, was in so einem kindlichen Gehirn vor sich geht“ (im englischen Original: It's crazy, what your brain tells you to do when you're a kid).

In welchem Genre ist „Adolescence“: angesiedelt?

Weil es um ein Tötungsdelikt geht, denken manche, es handle sich um einen Krimi, doch Erwartungen an eine Whodunit-Handlung werden enttäuscht. Die Frage „Wer ist der Täter?“ wird in Folge eins geklärt und ist nicht das, worum es eigentlich geht.

Auch Coming-of-Age-Serie oder Familienmehrteiler griffe zu kurz. Vielmehr handelt es sich um eine Art Sozialdrama. Was macht die Gewalttat eines Jungen mit dem Umfeld? Hat jemand Schuld - wenn ja, wer?

Worum geht es in der Serie „Adolescence“?

Im Zentrum steht der 13-jährige Jamie Miller (Owen Cooper), der eines Abends mit einem Messer eine Mitschülerin ersticht. Als die Polizei am folgenden Morgen sein Kinderzimmer stürmt, stehen die Eltern (Stephen Graham und Christine Tremarco) hilflos und fassungslos dabei.

Auch die ältere Schwester Lisa (Amélie Pease) wird in Mitleidenschaft gezogen. Der Mord an Katie wird genutzt, um die Psyche eines Jungen zu erkunden, der von Mobbing, sozialer Isolation und gefährlichen Denkmustern offensichtlich überfordert worden ist.

Warum reden alle über „Adolescence“?

Ausgangspunkt für die Autoren war die steigende Zahl von Messerangriffen unter Jugendlichen im Vereinigten Königreich und die Rolle des Internets bei der Radikalisierung junger Menschen.

Die verdichtete fiktionale Erzählung scheint einen Zeitgeist zu treffen. Das liegt wohl an der Kombination, dass ihr Thema von gesellschaftlicher Relevanz ist und auf eine radikale Art und Weise erzählt wird. Das Erlebnis „Adolescence“ lässt einen nicht so schnell los.

Was ist der eigentliche Kern der Serie?

„Adolescence“ versucht zu zeigen, dass im Internet-Zeitalter nicht wenige Jungs mangelndes Selbstbewusstsein mit aggressiver Maskulinität kompensieren. Diese toxische Männlichkeit kann viel Unheil anrichten.

Was macht die Serie „Adolescence“ so wichtig?

Für den Schriftsteller, Autor und Aktivist Fikri Anıl Altıntaş ist „Adolescence“ die „dringlichste und wichtigste“ Serie dieser Tage, weil wir „ein Problem mit gewaltvoller Männlichkeit haben, die durch das Netz erlernt wird“. Deswegen brauche es dringend eine politische und gesellschaftliche Intervention.

Die Serie „Adolescence“ beschäftige sich unter anderem mit Anti-Feminismus, Online-Radikalisierung, Orientierungslosigkeit oder dem Selbstwertgefühl. Sie stellt die Frage, wieso das alles passiere, welche Rolle bei einer solchen Radikalisierung die Gesellschaft spiele und welche Wege, die zu verhindern, es eigentlich geben müsste. Das sei gerade in der aktuellen Lage des immer mehr um sich greifenden Anti-Feminismus, wichtig, um die Probleme und ihre Gründe zu verstehen, gesellschaftliche und politische Debatten anzureden und Lösungswege zu finden. 

Was macht „Adolescence“ filmisch so besonders?

Die vier Echtzeit-Episoden von je rund einer Stunde wurden ohne Schnitt gedreht. Die One-Shot-Folgen (Regie: Philip Barantini) mit teils unglaublichen Kamerafahrten und -flügen machten präzise Planung und Koordinierung notwendig, die Zuschauer an vielen Stellen staunen lassen.

Gibt es Kritik an „Adolescence“?

Das Echo auf die britische Miniserie fällt im Feuilleton durchgehend positiv aus, das Serienthema wird allgemein als wichtig, die Umsetzung als gelungen bezeichnet. Kritikpunkte gibt es trotzdem, so kritisiert Noemi Ehrat in ihrer Rezension in der Wochenzeitung Die Zeit, dass, das Opfer Katie Leonard (gespielt von Emilia Holliday) „fast komplett“ zugunsten des Fokus auf den offensichtlichen Täter Jamie (verkörpert durch Owen Cooper) verschwindet, „so wie weibliche Opfer männlicher Täter in der realen Wahrnehmung es auch tun.“

Ehrat stellt jedoch gleichermaßen positiv heraus, dass es dennoch nicht um den Täter alleine, sondern um das „System, in das er eingebettet ist; seine Sozialisierung durch Schule, Familie und Social Media.“

Auch die Autorin Veronika Kracher, die sich seit Jahren schwerpunktmäßig mit der Ince-Subkultur beschäftigt und 2020 das erste, umfassende deutschsprachige Werk zu dem Thema (Incels - Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults, Ventil Verlag, Mainz) herausgebracht hat, hat ein paar kritische Gedanken zu der Serie nebst weiterführender Literatur auf ihrem Instagram-Account geteilt.

Wie politisch ist „Adolescence“?

Der britische Premierminister äußerte sich schon zu der Serie und ihrem Kernthema. Viele Eltern und Menschen, die mit jungen Leuten arbeiteten, sähen, dass es ein Problem mit Jungs und jungen Männern gebe, das man angehen müsse. „Ich persönlich nehme das sehr ernst.“ Starmer (62) sagte, er schaue die Serie mit seinem 16-jährigen Sohn und seiner 14-jährigen Tochter.

Die Gewalt junger Männer - befördert durch das, was sie online aufsaugten - sei ein reales Problem. „Wir können nicht einfach mit den Schultern zucken.“ In jüngster Vergangenheit warnte auch der frühere englische Fußballnationaltrainer Gareth Southgate, viele Jungs fühlten sich isoliert und zögen sich ins Internet zurück. Dort seien sie toxischen Influencern ausgesetzt.

Was wird mit „Adolescence“ passieren?

Die faszinierende Serie dürfte dieses Jahr einige Preise abräumen. Es wäre eine Überraschung, wenn sie bei den Emmy Awards nicht die wichtige Kategorie „Miniserie“ gewinnen würde - wie letztes Mal der britische Psychothriller-Siebenteiler „Rentierbaby“ (Originaltitel: Baby Reindeer). (dpa, kgoo)