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Adresszettel für WarholSo war der erste Museumsbesuch in Köln seit Monaten

Lesezeit 4 Minuten

Köln – „Hast Du die Zettel ausgedruckt?“ „Ich habe die Tickets. Du hast mich nur gefragt, ob ich die Tickets dabei haben. Fünfmal. Wieso kommst du jetzt mit Zetteln?“ Wir stehen in der Abstandsschlange vorm Museum Ludwig, meine Frau, meine beiden Töchter und ich. Und ich werde langsam nervös. Die Besucher vor uns halten allesamt ihre brav ausgefüllten Adresszettel bereit.

Ich hatte den Samstag mit vergeblichen Versuchen verbracht, die Ticketseite des Museums zu laden. Seit Oktober musste die „Andy Warhol“-Ausstellung immer wieder verschoben werden, warteten Suppendosen, Marilyns und Brillo-Boxen darauf, in Augenschein genommen zu werden. Und mussten noch ein wenig weiter warten. Der Server war hoffnungslos überlastet.

Wegen Leuten wie mir. Menschen, die nach dem missvergnüglichen Lockdown-Winter einen regelrechten Hunger auf Bilder verspüren. Nach echten, greif- aber nicht berührbaren Bildern, in deren Aura, Walter Benjamin zum Trotz, sie sich nähren wie Pflanzen im Sonnenlicht. Oder mir ist einfach langweilig. Wie allen anderen auch. Spazieren gehen ist schön, spazieren gehen mit einer Ausstellung als Ziel ist schöner. Noch besser, man nimmt die U-Bahn.

Impftermin der Kultur

Ach ja, die Zettel. Meiner Frau war es schließlich gelungen, einen Timeslot – der Impftermin der Kultur – am Dienstagabend zu ergattern. Es war ein Uhr nachts, an Zettelvordrucke hatte sie nicht mehr gedacht. Ist auch kein Problem, die werden einfach auf dem provisorisch errichteten Tisch gleich hinter der Eingangstür ausgefüllt. Die Dame hinter der Plexiglasscheibe könnte nicht freundlicher sein, wie schon der Herr, der die Tickets kontrollierte. Warum war ich bloß so nervös gewesen? Sofort entspinnt sich ein Dialog zum Thema „Ist das nicht, schön?“. Wir freuen uns alle, hier zu sein. Ob Wächter, Garderobiere, Buchverkäufer oder Besucher. Das Personal im Ludwig wirkt geradezu enthusiastisch.

In der Ausstellung schauen wir nicht sofort auf die riesigen „Screen Tests“ – kurze, stumme Schwarzweiß-Filme, die Warhol den Gästen seiner „Factory“ abgenötigt hatte – wir gucken auf die Menschen. Es ist ziemlich viele. Man muss sich seinen Platz mit ausreichend Abstand in allen Himmelsrichtungen suchen. Na gut, eigentlich ist es für eine Blockbuster-Schau noch sehr überschaubar. Wir sind es schlicht nicht mehr gewohnt, fremde Menschen in geschlossenen Räumen zu sehen.

Begleitheft vor Augen

Dann gucken wir uns endlich doch die New Yorker der 1960er Jahre an. Ich versuche zu erklären, wer Susan Sontag oder Allen Ginsberg waren, die Kinder gucken auf die Maskenbildnerin Ann Buchanan, weil die als einzige ganz still vor der Kamera sitzt und eine Träne ihr langsam die Wange herunterläuft. Als wir bei Warhols feinen, zärtlichen Umriss-Zeichnungen von Gesichtern und Geschlechtsteilen hübscher Jungs aus den 50ern ankommen, hält sich die Jüngste das Begleitheft vor die Augen. „Nur als Witz“, sagt sie. Weil es ihr peinlich ist, dass es ihr peinlich ist.

Zum Ausgleich gibt es Ballons. „Silver Clouds“, die von einem Ventilator in immer neue Konstellationen geblasen werden und die man auch anfassen darf. Kommt gut. Wir machen Fotos. Jetzt ist es offiziell ein Ereignis im Familienkalender. Irgendwann wird uns das Fotoprogramm auf dem Handy ungefragt mitteilen, dass wir eine neue Galerie haben, wir werden Kinder mit Masken zwischen großen, schwebenden Kissen spielen sehen und uns kurz fragen, was das zu bedeuten hat.

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Ich mache derweil, was ich schon vor Corona auf Ausstellungen gemacht habe: Die Töchter mit Infos zutexten. Das werden sie mir später einmal vorwerfen, aber ich kann einfach nicht anders. Als ich erzähle, wie das große, querformatige „Oxidation Painting“ entstanden ist, nämlich durch gezieltes Pinkeln auf Farbe mit Kupferpigmenten, wandert bei der Jüngeren wieder das Begleitheft vors Gesicht. Die Ältere sagt: „Wie bei Jackson Pollock.“ Ich platze fast vor bildungsbürgerlichen Stolz.

Ihr gefallen am besten die aufgereihten Titel von Warhols „Interview“- Magazin mit ihren Promi-Porträts. Tom Cruise, Michael Jackson, Liza Minelli werden erkannt und gegenüber der schöne, strahlend weiße Siebdruck von Dolly Parton. Im größten Raum verlieren wir uns dann in den alten TV-Shows, die man sich in einem Rondell aus Fernsehern anschauen kann.

Einbahnstraße zum Ausgang

Die anderen eilen schon zum Ausgang, müssen allerdings wieder kehrtmachen. Sie haben die Adresszettel vergessen. Es geht gegen den Strom zurück, diese Ausstellung ist eine Einbahnstraße. Was ihnen jeder der fünf Museumswächter, denen sie auf der Suche nach mir, dem Zettelhalter, begegnen, einbläut. Aber immer noch superfreundlich.

Der Ausgang führt durch die noch geschlossene ständige Ausstellung. Es ist leer, die Nebenräume sind abgesperrt, Bilder verhängt. Sie warten sehnsüchtig darauf, gesehen zu werden.