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Interview

Afrika Film Festival Köln
„Das Publikum ist heute auch bereit, Untertitel zu lesen“

Lesezeit 9 Minuten
DISCO AFRIKA: UNE HISTOIRE MALGACHE
R: Luck Razanajaona

Der Junge Kwame begibt sich im Spielfilm „Disko Afrika: Une Histoire Malgache“ von Luck Razanajaona auf die Suche nach der Geschichte seines Vaters

Wir haben mit einem der Kuratoren des Afrika Film Festivals über die Filmszene in seiner Heimat Angola und die wachsende Rolle afrikanischer Filme auf dem internationalen Markt gesprochen.

Fradique, gemeinsam mit Jacqueline Nsiah und Amil Shivji sind Sie Kurator des diesjährigen Afrika Film Festivals, das am 19. September in Köln startet. Was ist dieses Jahr der Schwerpunkt?

Wir drei arbeiten zum zweiten Mal als Kuratoren zusammen, haben uns über die Jahre aber schon in verschiedenen Funktionen am Festival beteiligt – nicht nur mit unseren Filmen, sondern auch als Schirmherren und Gäste. Nachdem wir dieses Jahr viele Filme gesehen und zahlreiche Diskussionen geführt haben, haben wir gemerkt, dass sich alle Filme, die wir für das Hauptprogramm zusammengestellt haben, mit dem Begriff „Legacy“, also „Vermächtnis“ auseinandersetzen.

Was können wir uns darunter vorstellen?

Die Filme und Diskussionsrunden in unserem Programm erforschen das Vermächtnis auf unterschiedliche Weise – sie feiern oder kritisieren es, finden Wege, darüber nachzudenken oder sich ihm zu widersetzen. Wir sprechen über das Erbe der Familie, des Landes, aber auch über koloniales Erbe. Die Filme, die wir zeigen, spiegeln unterschiedliche Perspektiven dazu aus dem gesamten Kontinent und der Diaspora wider.

Hat sich der Umgang afrikanischer Filmemacher mit diesem schwierigen Vermächtnis im Laufe der Zeit verändert?

Wir drei gehören der Generation an, die nach der Unabhängigkeit unserer Heimatländer kam – unsere Eltern waren Teil der Unabhängigkeitsgeneration. Unsere und die folgenden Generationen haben jetzt die Freiheit, über die Vergangenheit unserer Eltern und das Erbe, das sie uns hinterlassen haben, nachzudenken. Viele Jahre lang lag der Schwerpunkt der Reflexion eher auf der Anprangerung der Geschichte, von Bürgerkriegen und so weiter. Aber heute gibt es mehr Raum, um die Wunden zu reflektieren, die diese Erfahrungen bei den verschiedenen Generationen hinterlassen haben.

Das koloniale Erbe steht beispielsweise auch im Mittelpunkt des Films „Dahomey“ von Mati Diop, der sich mit der Restitution geraubter Kulturgüter beschäftigt. Welche Rolle spielen Filme im Zusammenhang mit diesem schwierigen Erbe?

Dieser Film, der den Hauptpreis der diesjährigen Berlinale gewonnen hat, ist sehr wichtig. Obwohl dieses Thema schon seit Jahren diskutiert wird, wurde es vor 20 Jahren vom europäischen oder sogar afrikanischen Publikum längst nicht so stark wahrgenommen. Heute findet das Thema viel Beachtung. In dieser Hinsicht war es ein gutes Jahr für afrikanische Filme. Diese Filme bieten eine Plattform für eine tiefgreifendere Diskussion über unsere Geschichte.

Inwiefern?

Mein politisches und historisches Bewusstsein wurde durch die Kunst in Angola geprägt – durch Literatur, Musik und Filme. Ich erinnere mich daran, wie ich im Jahr 2000 zum ersten Mal den Film „Lumumba“ sah. Damals war ich noch sehr jung und hatte nur von Patrice Lumumba, dem kongolesischen Freiheitskämpfer, gehört, wusste aber nicht viel über seine Geschichte. Als ich den Film gesehen habe, wollte ich plötzlich alles darüber lesen, was ich konnte. Deshalb glaube ich schon, dass Filme dem Publikum helfen können, sich mit der Geschichte eines Landes und ihrer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.

Dahomey

In „Dahomey“ dokumentiert die Filmemacherin Mati Diop eine kollektive Reflexion über die postkolonialen Herausforderungen der Rückgabe von Kunstwerken an Afrika.

Was halten Sie von dem Konzept afrikanischer Filmfestivals wie in Köln? Wie können sie einem ganzen Kontinent gerecht werden?

Ich glaube, das Afrika Film Festival in Köln schafft es, dieses Missverständnis zu vermeiden. Nach vielen Jahren der Teilnahme an verschiedenen Festivals, sowohl mit meinen Filmen als auch als Jurymitglied, kann ich sagen, dass ich beim Afrika Film Festival in Köln wirklich eine Gemeinschaft gefunden habe. Es gibt das Festival seit fast 30 Jahren, aber was es auszeichnet, ist nicht nur sein Alter oder seine Geschichte, sondern auch die Art und Weise, wie es organisiert ist und der durchdachte Ansatz dahinter.

Wie würden Sie diesen Ansatz beschreiben?

Es ist ein Festival, das großen Wert darauflegt, Filme aus allen Teilen des Kontinents und der afrikanischen Diaspora zu zeigen und es ist sehr bemüht, die Filmemacher auf dem Festival zu unterstützen. Bei vielen anderen Festivals kommt man als Filmemacher zur Vorführung und geht direkt wieder, aber hier wird ein Gemeinschaftsgefühl gefördert, bei dem die Leute zusammenkommen, um zu diskutieren und Ideen auszutauschen. Die Organisatoren sind darauf bedacht, Menschen aus dem gesamten Kontinent und der Diaspora in den Auswahlprozess der Filme einzubeziehen. Die drei Hauptkuratoren – ich, Amil und Jacqueline – kommen aus verschiedenen Teilen des Kontinents.

Warum sind diese unterschiedlichen Perspektiven so wichtig?

Wenn Krieg und die Armee zur Priorität werden und man anfängt, die Mittel für Kultur und Bildung zu kürzen, fängt man auch an, die Menschen nicht mehr mit anderen Teilen der Welt, anderen Gesprächen und anderen Sichtweisen in Berührung zu bringen, was langfristig zu noch mehr Konflikten führen kann. Ich glaube, die Unterstützung von Festivals wie dem Afrika Film Festival in Köln und anderen, die Kunst und Bildung fördern, ist eine der effektivsten Möglichkeiten, Konflikte zu verhindern.

In diesem Jahr zeigt das Festival auch Klassiker des afrikanischen Kinos. Gab es in Ihrem Leben Filme, die Sie und Ihre heutige Arbeit als Filmemacher besonders beeinflusst haben?

Letztes Jahr hatten wir einen meiner Lieblingsfilme, „Touki Bouki“ von Djibril Diop Mambéty, auf dem Festival – ein afrikanischer Film, der mir die Erlaubnis und die Freiheit gegeben hat, das Filmemachen aus einer anderen Perspektive heraus anzugehen. Wenn man in den USA auf die Filmschule geht, lernt man viel über Regeln, wie Filme strukturiert sein sollen und wie sie geschrieben werden sollen, aber man lernt eben nie, wie man diese Regeln bricht. Als ich angefangen habe, Filme aus dem globalen Süden, aber auch aus Osteuropa zu sehen, habe ich gemerkt: „Oh, ich kann all diese Regeln brechen!“

Fradique

Fradique ist angolanischer Filmemacher und einer der Kuratoren des diesjährigen Afrika Film Festivals in Köln.

Nach Ihrem Studium in den USA haben Sie eine unabhängige Produktionsfirma in Ihrer Heimatstadt Luanda gegründet. In Angola gibt es wenig bis gar keine staatliche Filmförderung. Wie wirkt sich das auf die Filmszene im Land aus?

Die Filmszene in Angola ist recht klein, und viele Filme werden mit sehr geringen Budgets und begrenztem Vertrieb produziert. Das hemmt das Wachstum der Branche. Ohne staatliche Unterstützung für die Kultur sind die Filmemacher oft gezwungen, private Investoren zu suchen oder sogar ihr eigenes Geld zur Finanzierung ihrer Projekte einzusetzen. Die meisten Filmemacher in Angola arbeiten letztendlich an kommerziellen Projekten. Als ich ein Filmkollektiv und später die Produktionsfirma gegründet habe, habe ich das selbst erfahren. Deshalb versuchen einige Filmemacher, wie ich, andere Wege zu finden und mit internationalen Koproduzenten aus Ländern zu kooperieren, die bereit sind, die globale Filmszene zu unterstützen. Nur so können wir die Filme umsetzen, die wir wirklich machen wollen.

Gibt es eine bestimmte Filmtradition, mit der Sie aufgewachsen sind und die Sie dazu inspiriert hat, Filmemacher zu werden?

Erst vor kurzem ist mir wieder eingefallen, dass die ersten Filme, die ich gesehen habe, brasilianische Seifenopern waren. Da war ich vielleicht sechs Jahre alt. Ich glaube, das war der Grundstein dafür, dass ich angefangen habe, eigene Geschichten in meinem Kopf zu spinnen. Ich bin viele Jahre lang ohne Kino aufgewachsen. Wegen des Bürgerkriegs hatte das Land andere Prioritäten, sodass viele unserer Kinos geschlossen waren. Ich bin mit vielen VHS-Kassetten vom Schwarzmarkt aufgewachsen. Deshalb habe ich tatsächlich erst mehr über das angolanische Kino erfahren, als ich im Ausland war. Einen meiner ersten angolanischen Filme habe ich gesehen, als ich schon in den USA gelebt habe. Das war ein total komisches Gefühl. Ich hatte zwar von den Filmen gehört und einige der Filmemacher getroffen, aber die Filme wurden eben nirgendwo gezeigt.

Wie ist die Situation in Angola heute?

Heute gibt es auch in Angola viele Kinos. Die Filmauswahl ist ähnlich wie in den meisten westlichen Ländern: viel amerikanisches Mainstream-Kino, selten auch mal ein unabhängiger amerikanischer oder europäischer Film. In Luanda gibt es heute auch andere Initiativen, eine davon organisiert von meinem ehemaligen Kollektiv. Sie veranstalten öffentliche Filmvorführungen in den Stadtvierteln, um angolanische und afrikanische Filme zu zeigen. Aber ich finde, afrikanische Filme müssten genauso in den Kinos gezeigt werden wie amerikanische. Das geschieht aber nicht, weil die Verleihfirmen, die die großen Kinos betreiben, keine staatlichen Vorschriften haben. Es wäre ein wichtiger Schritt, wenn die dortige Filminstitution Quoten oder Regeln aufstellen würde, damit die Menschen in Angola auch mal einen Film aus Nigeria oder Brasilien im Kino sehen können und dafür nicht nur auf Initiativen von Filmkollektiven angewiesen sind.

Wie blickt der internationale Filmmarkt heute auf das afrikanische Kino? Werden Filme aus Afrika mehr wahrgenommen?

Ich würde sagen, ja, denn wenn man sich die großen Festivals wie Cannes oder Berlin anschaut, sind dort mittlerweile viele afrikanische Filme im Wettbewerb. Der erwähnte Film von Mati Diop hat auf der Berlinale gewonnen. Das ist zwar immer noch nicht genug, aber es ist ein guter Anfang. Ich glaube, dass die großen Festivals dem afrikanischen Kino endlich Raum geben, weil überall auf dem Kontinent mehr Filme gedreht werden. Große Industrien wie Nigeria, Südafrika und Kenia erleben aktuell ein starkes Wachstum.

Sind die Menschen heute auch aufgeschlossener gegenüber afrikanischen Filmen?

Ja, ich glaube, das hat auch viel mit den großen Streaming-Plattformen zu tun. Obwohl die dort gezeigten internationalen Filme eher weniger Autorenfilme als große Auftragsproduktionen sind, haben sie bei den Menschen für ein größeres Bewusstsein gesorgt und den Gatekeepern gezeigt, dass das Publikum bereit ist, Untertitel zu lesen und so auch Filme aus Südkorea, Chile oder eben dem Kongo zu gucken. Ich persönlich begrüße Filmfestivals wie das Afrika Film Festival in Köln sehr, aber es ist eben auch wichtig, dass unsere Filme nicht auf diese thematisch orientierten Festivals beschränkt sind, sondern auch ihren Platz auf jedem internationalen Filmfestival haben.


Zur Person und Veranstaltung

Fradique (*1986, Angola), gilt als eine der talentiertesten und ausdrucksstärksten Stimmen des zeitgenössischen angolanischen Kinos. Mit seinem Dokumentarfilm „Independência“ (2015) gewann er den Nationalen Filmkulturpreis Angolas. Er studierte Kinematografie in den USA und gründete 2010 die Produktionsfirma „Geração 80“. 2023 war er Mitglied im Auswahlkomitee der Berlinale. Derzeit arbeitet er an seinem zweiten Spielfilm.

Das 21. Afrika Film Festival zeigt auch in diesem Jahr rund 70 historische und zeitgenössische Spiel-, Dokumentar- undKurzfilme aus 23 afrikanischen Ländern und der weltweiten Diaspora. Über 30 Filmemacherinnen und Filmemacher, Produzenten und Gäste reisen nach Köln an. Das Hauptprogramm wird von einem Begleitprogramm aus Live-Musik, Panel-Talks, Workshops und Networking-Events ergänzt. Das Festival wird organisiert vom FilmInitiativ Köln e. V.

19. bis 29. September, an verschiedenen Orten Kölns, unter anderem im Filmforum des Museums Ludwig. Tickets für Filmvorführungen im Filmforum kosten 7 €/5 € (ermäßigt), ein Festivalpass 40 € /30 € (ermäßigt), jeweils zzgl. VVK-Gebühren bei Onlinetickets. Eintritt zu Podiumsdiskussionen frei.

Hier geht es zum vollständigen Programm.