Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, ließ der Violinist Alexei Aigui seine Heimat zurück. Mit seinem langjährigen Freund Dietmar Bonnen tritt er jetzt im Loft auf.
Russischer Starviolinist Alexei Aigui im LoftWegen des Krieges verließ er seine Heimat
Die Freundschaft von Alexei Aigui und Dietmar Bonnen begann 1994 in Moskau. Das Goethe-Institut hatte Bonnen, den weltoffenen Meister des Mit- und Gegeneinanders unterschiedlichster Musik- und Klangformen, mit seiner legendären Avantgarde-Rock-Band Fleisch auf Tournee durch Russland geschickt. „Ich saß mit anderen Musikern in einem Restaurant“, erinnert sich Aigui. „Dietmar saß mir zufällig am Tisch gegenüber. Als er erfuhr, dass ich Geiger war, lud er mich ein, am Konzert teilzunehmen. Ich war noch Anfänger und freute mich sehr.“
Zwar stand Aigui erst am Beginn seiner professionellen Laufbahn, ein Anfänger war er aber gewiss nicht, vielmehr längst ein vorzüglicher Geiger. Seitdem spielen er und Bonnen zusammen, oft im Duo, ebenso im Russian-German Composers Quartet oder auch in Bonnens Ensemble de Plainte. Es entstanden mehrere Duo-Alben, das erste mit kammermusikalischen Versionen der Musik von Jimi Hendrix, spätere mit Musik von Frank Zappa und Kurt Weill.
Aigui verließ Russland, als der Krieg in der Ukraine ausbrach
Bis heute haben die tiefe Verbundenheit und das kreative Miteinander der beiden nichts an Intensität eingebüßt, eher im Gegenteil. Mit Beginn des Ukraine-Kriegs 2022 verließ Aigui mit seiner Familie Russland – er habe einfach nicht in Moskau bleiben können: „Wir reisten ab, ohne zu wissen, wie es weitergehen soll. Dietmar war sehr besorgt um meine Familie und verfolgte unsere Bewegungen in der Welt, nachdem der Krieg begonnen hatte. Das hat mich sehr unterstützt.“
Inmitten des nervenzehrenden Ausharrens kam Aigui zu einem Konzert nach Köln: Auf der Cologne Jazzweek 2022 vertonten er, Bonnen und Klarinettist Lothar Burghaus live drei Scherenschnittfilme von Lotte Reiniger und spielten Hendrix, Zappa und Weill – so frisch, inspirierend und scheinbar unbekümmert, als gäbe es die politische Realität nicht. Aigui: „Damals gab es für mich fast keine Hoffnung, es fühlte sich an, als ob das alte Leben vorbei wäre. Ich hatte noch einen großen Auftrag für einen Abenteuer-Familienfilm, den ich zu Ende bringen musste. Ich komponierte lustige und peppige Themen, während ich mit einem kleinen Computer und einem Keyboard in der Wohnung eines Freundes in Montenegro saß, wo wir drei Monate lang auf die Visa für meine Familie warteten.“
In Moskau war Aigui ein Star
Als Aigui Moskau verließ, war er durchaus ein Star. Als Geigen-Virtuose, Komponist, Dirigent und Ensemble-Leiter gab er umjubelte Konzerte, wurde mit Preisen bedacht, besonders für seine Filmpartituren, für die er den Nika Award, das russische Äquivalent zum Oscar, den Golden Eagle Award sowie dem Preis der russischen Filmkritikergilde erhielt. Am Moskauer Konservatorium dirigierte er die Werke des ersten russischen Jazz-Avantgardisten Sergej Kurjochin, bereits 1994 gründete er sein Ensemble 4’33", benannt nach der Komposition von John Cage, das erstmals in Russland Werke von La Monte Young, Toru Takemitsu, Morton Feldman und Terry Riley spielte. Anders als bei seinen klangvollen, warmen und zutiefst empathischen Filmkompositionen zeigte sich Aigui hier als Meister minimalistischer Klangkunst.
In Montenegro wartete er auf die Weiterreise nach Frankreich. Auch dort hatte er bereits vorzügliche Filmmusik komponiert, für Pascal Bonitzer, Raoul Peck und Hirokazu Kore-eda, dessen Spielfilm „La Vérité – Leben und lügen lassen“ (2019) mit Cathérine Deneuve, Juliette Binoche und Ethan Hawke er durch einen feinfühlig-subtilen Score bereicherte. Mit Peck verbindet Aigui ebenfalls eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Pecks Doku-Essay „I Am Not Your Negro“ (2016) über James Baldwin unterlegte er mit raffinierten Jazz-Riffs im Stil von Miles Davis’ „Jack Johnson“, die nahezu zeitgleich vertonte Filmbiografie „Der junge Karl Marx“ (2016) bekam einen symphonischen Score, reich an Klangfarben. Mit „Rottet die Bestien aus“ (2021) und „Silver Dollar Road“ (2023) intensivierten Peck und Aigui ihre Auseinandersetzung mit afroamerikanischer Geschichte, mit respektvollen Blues-Jazz-Referenzen drang Aigui tief in zerrissene kulturelle Wurzeln vor.
Aigui und Bonnen spielen am 6. März zusammen im Loft
Inzwischen lebt und arbeitet Aigui in Frankreich, begleitet von seinen Erinnerungen: „Ich habe das Gefühl, dass das Leben im Allgemeinen stehen geblieben ist. Ich vermisse meine Band, die Musiker des Ensembles 4’33“, meine Wohnung, die ich abgeschlossen und verlassen habe, meine Geige, die ich nicht mitnehmen konnte. Die Geige, die ich seit über 35 Jahren spielte. Die verschiedenen Säle, in denen wir auftraten, das Publikum, das wir hatten, Freunde und Familie. Nicht aber Moskau.“ Bonnen ergänzt: „Unabhängig von der humanitären Katastrophe des Krieges mit seinen weltweiten Konsequenzen gibt es auch Auswirkungen im Mikrokosmos. Über die Jahrzehnte habe ich mindestens einmal im Jahr in Russland an verschiedensten musikalischen Projekten gearbeitet: Konzerte, Produktionen, Aufnahmen für Filmmusiken, Master Classes am Konservatorium. Dabei sind viele langandauernde Kollaborationen und Freundschaften entstanden, die heute nur sehr schwer aufrechtzuerhalten sind.“
Zum Jubiläum kehren Aigui und Bonnen zusammen mit Lothar Burghaus ins Loft zurück. „Ich glaube nicht“, denkt Aigui, „dass sich die Politik direkt auf unser Programm auswirkt. Aber jetzt lebt der Krieg in mir, und es ist schwierig, ihn zu abstrahieren.“ Das Programm enthält neue Arrangements, Eigenkompositionen sowie Highlights der gemeinsamen Jahre, Zappa, Weill, Hendrix, vielleicht ja auch Aiguis grandiose Komposition „Fragile Happiness“. Sie entstand für den russischen Spielfilm „Wildes Feld“ (2008) von Mikheil Kalatozishvili, eine bewegende, ebenso von Trauer wie tiefer Hoffnung getränkte Streichermusik, eben ein „zerbrechliches Glück“. Was nun gewiss auch auf Alexei Aigui zutrifft.
Zur Veranstaltung
Konzert: „Aigui/Bonnen wird 30!“ im Loft, 6.3, 20 Uhr. Alle Informationen gibt es hier.