Alice Schwarzer legt Autobiografie vorSo furchtlos teilt die Feministin aus
- In ihrem autobiografischen „Lebenswerk“ berichtet Alice Schwarzer faszinierend über viele Jahrzehnte einer kämpferischen Existenz.
- Die Frauenrechtlerin steckt ungern ein – und vergisst nichts.
- Lesenswert ist das Buch, weil es den dauernden Kampf um Emanzipation beschreibt, den Schwarzer über Jahre und Jahrzehnte befeuert hat und für den sie als Person stand.
Köln – Wer sich an Alice Schwarzers „Lebenswerk“ heranmacht, stellt sich am besten vor, er verbringe einen langen Abend mit der heute 77 Jahre alten Autorin. Das würde eine Begegnung, die reich an allem ist: Fakten, Meinung, Fotos, historischen Verweisen, Rückblicken, Bezügen zu gesellschaftlichen Entwicklungen bis hin zu tiefen Einblicken in das Wesen der Autorin. Wie das so ist, wenn es um nicht weniger als die Leistung der eigenen Jahrzehnte geht.
Fast möchte man es bedauern: Die streitbare und selbstbewusste Frau eröffnet das Buch, indem sie – im Kapitel „Wie halten Sie das aus, Frau Schwarzer“ – ihre Verletzlichkeit dermaßen ausbreitet, dass einem der Begriff „Selbstmitleid“ in den Sinn kommt. Dabei ist Gegenwind programmiert, denn Alice Schwarzer teilt nicht nur gut und gerne aus, sondern geht dabei auch keineswegs strategisch vor, macht vor nichts und niemandem halt.
Das geht, ganz aktuell, bis zur Rassismus-Debatte, die im Grunde keine mehr ist, sondern vielmehr bedeutet, dass, wer weiß ist, auch ein Rassist ist, eben weil er weiß ist. Schwarzer wäre nicht sie selbst, wenn sie in wenigen Worten der internationalen Linken nicht nur diesen Anti-Rassismus um die Ohren haute, sondern den Blick auch auf ihr eigenes Thema richtete. „Die einst von der Linken als »bürgerlich« diskriminierten Feministinnen sind heute »privilegierte Weiße«“, schreibt sie. Und während man noch darüber nachdenkt, ist die Autorin schon beim nächsten Thema. So geht es in einem fort.
Sie vergisst nichts
Alice Schwarzer steckt ungern ein – und vergisst nichts. Und noch einen dritten Aspekt spiegelt dieses Buch: Auf Seite 308 nennt sie selbst mit souveräner Distanz die Eingangsseiten ihres Buches „ein bisschen selbstmitleidig“. Als würde der Gesprächsabend verschiedene Phasen auch der Eigenwahrnehmung durchlaufen.
Die Einschränkung ist aber auch inhaltlich geboten, denn die erwähnten Ehrungen und Auszeichnungen passen so wenig zum (Eigen-)Bild der allumfassenden Verfolgung wie der nicht eben kleine Bildteil.
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So gibt „Lebenswerk“ über Fakten, Statements, Thesen und den Verweis auf die zahllosen prominenten Gesprächspartner hinaus ein Bild der Autorin: Mutig ist sie, kämpferisch, klug, widersprüchlich, Recht haben wollend. Schwarzer kann sich sogar noch namentlich an Regula mit den mattblonden Zöpfen im Berliner Frauenzentrum erinnern, die ihr 1974 in einer Diskussion nahe legte, mal den Mund zu halten.
Berühmter „Stern“-Titel
1971 veröffentlichte der „Stern“ auf Schwarzers Initiative die Fotos von 374 mehr oder weniger prominenten Frauen, die sich des illegalen Schwangerschaftsabbruchs bezichtigten. Das Magazin löste damit eine breite gesellschaftliche Debatte aus.
1978 verklagte Schwarzer – Inge Meysel an ihrer Seite – den gleichen „Stern“ wegen sexistischer Abbildungen von Frauen. Dabei ging es ihr um den Effekt, der Veränderung anstoßen soll, das Anprangern der Ware Frau. Doch gleichzeitig legte sie sich mit Henri Nannen an, einem der mächtigsten und wortsichersten Journalisten dieser Zeit. Das war mutig.
Wäre es ihr allein um die Wechselwirkung von sexistischen Abbildungen und Auflage gegangen, hätte sie in den 60er Jahren nicht für das Satireblatt „Pardon“ arbeiten dürfen, das seine Auflage konsequent mit der Darstellung barbusiger Mädchen aufpeppte.
Streifzug durch die Jahrzehnte
„Lebenswerk“ ist ein Streifzug durch die Jahrzehnte und thematisiert Schwarzers große, polarisierende Auftritte. Zum Beispiel 1975 im Gespräch mit der Autorin und Ärztin Esther Vilar, die die bizarre These vertrat, der Mann werde von der Frau unterdrückt – was ihr später Morddrohungen und körperliche Attacken eintrug.
2001 trat Schwarzer gegen Verona Feldbusch an. Das kam einer Neuauflage gleich, erzielte aber durch den Siegeszug von Privatfernsehen und Internet weniger Wirkung. Indes zeitigte es Auswirkungen bis in den Freundeskreis der Autorin hinein. Aber sie wäre nicht Alice Schwarzer, analysierte sie nicht auch die Doppelbödigkeit der beiden Auftritte. „Beide Male wurde suggeriert: Die eine ist eine »echte« Frau, die andere ein »Mannweib«.“
Lesenswert ist „Lebenswerk“, weil es den dauernden Kampf um Emanzipation beschreibt, den Schwarzer über Jahre und Jahrzehnte befeuert hat und für den sie als Person stand. Eigentlich sollte man denken, dass es ihr die Art von Grundrespekt eingetragen hätte, den man ihr wünscht. Dass es nicht so ist, belegt ihr Buch, das vielsagende Anekdoten ebenso aneinanderreiht wie fundamentale, gesellschaftliche Entwicklungen.
Diskussion mit Rudolf Augstein
Eine tragende Rolle spielt „Emma“, die feministische Illustrierte, die Schwarzer gründete und die Teil ihrer Persönlichkeit geworden ist. Rudolf Augstein bot ihr 1973 – bei Austern und Champagner, wie Schwarzer schreibt – eine Stelle als Reporterin im „Spiegel“ an, konnte das aber bei seiner Redaktion nicht durchsetzen.
1984 diskutierte sie mit ihm im WDR-Fernsehen, das Gespräch wurde danach von Kommunikationsstudenten analysiert. Fazit: Augstein redet doppelt so lang wie Schwarzer. Er unterbricht sie 30 Mal, sie ihn siebenmal. Heute trifft man Alice Schwarzer, die eine glänzende Unterhalterin geblieben ist, eher auf der Augstein-Seite an. Aber sie hat ja auch, fast 40 Jahre später, viel zu erzählen – von ihrem Lebenswerk.
Alice Schwarzer: „Lebenswerk“, Kiepenheuer & Witsch, 474 Seiten, 25 Euro