Aline Abboud ist Tochter eines Libanesen und einer Ostberlinerin und hat sich für ihr erstes Buch auf eine sehr persönliche Suche nach ihren Wurzeln begeben.
Buch von Moderatorin Aline Abboud„Die kommenden Wahlen machen mir Angst“
Aline Abboud, Sie sind vor allem als Moderatorin der „Tagesthemen“ bekannt geworden. Wie kam es dazu, dass Sie nun ein sehr persönliches Buch über Ihre Lebens- und Familiengeschichte geschrieben haben?
Ich hatte eigentlich nie vor, ein Buch über den Libanon zu schreiben. Ursprünglich wollte ich als junge Journalistin nach meinem Arabistik-Studium mal Auslandskorrespondentin werden. Ich dachte: Da kann ich den Leuten zeigen, wie das Land ist und wie schön es dort ist. Vor fünf Jahren ist dann tatsächlich ein Verlag auf mich zugekommen und hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, so eine Art persönlichen Reiseführer zu schreiben. Im Stil von: Wo ist das tolle Fischrestaurant meines Lieblingsonkels? Damit fing es eigentlich an.
Nun sind ein paar Jahre vergangen und es ist schließlich ein ganz anderes Buch geworden. Was ist passiert?
In der Zwischenzeit gab es Corona, persönliche Krisen und sehr viel Arbeit. Außerdem bin ich durch die Moderation der „Tagesthemen“ viel bekannter geworden und deswegen war auch das Interesse an meiner Person, an meiner Biografie größer. Und so hat sich das Buch jetzt mehr in Richtung Familiengeschichte entwickelt. Weil diese Geschichte bei mir ja auch eine spannende Kombination aus DDR, dem Libanon und dem vereinigten Deutschland ist – ich sage immer, ich habe drei Identitäten.
Ein Beispiel dafür, wie bunt Deutschland ist
Was hat Sie motiviert, Ihre Geschichte in einem Buch zu erzählen?
Ich versuche zu zeigen, warum ich der Mensch geworden bin, der ich bin - auch als Beispiel für eine deutsche Geschichte. Als Motivation für Menschen, die auch andere Kulturen in sich tragen und sehen, dass sie nicht alleine sind, dass sie gesehen werden. Gleichzeitig ist das Buch auch ein Beispiel dafür, wie bunt Deutschland ist und wie verschieden deutsche Biografien sind. Jenseits solcher plakativen Vorstellungen von Migranten und Parallelgesellschaften. Denn es gibt so viele Menschen, die sich weder zu der einen noch zu der anderen Kultur hundertprozentig zugehörig fühlen müssen. Sondern, wie ich, einfach ganz selbstverständlich wandeln zwischen den Welten.
Ist es Ihnen schwergefallen, sich persönlich so zu öffnen?
Das hätte ich auch ehrlicherweise am Anfang nicht gedacht, beziehungsweise gewollt. Ich habe nichts dagegen, etwas Persönliches zu erzählen, aber ich achte schon sehr darauf, meine Privatsphäre nicht so in die Öffentlichkeit zu tragen. Vor allem seitdem ich bei den „Tagesthemen“ angefangen hatte und dann der Fokus auch mehr auf meiner Person lag. Deswegen war es für mich auch gar nicht so einfach, so ein persönliches Buch zu schreiben. Ich habe mich da schon auch sehr geöffnet - zum Beispiel, zu erzählen, dass ich als Kind gemobbt wurde.
Durch Gespräche für das Buch den Eltern nähergekommen
Hat sich Ihr eigener Blick auf Ihre Familiengeschichte durch das Buch verändert?
Ja und das war auch sehr schön, weil ich meinen Eltern wirklich nähergekommen bin. Weil wir sehr viele Gespräche geführt haben für das Buch. Und ich glaube, das hat meinen Eltern auch gutgetan, zu erzählen. Ich kann das jedem empfehlen, mit den Eltern solche Gespräche zu führen und sie aufzuzeichnen. Und dadurch habe ich besser verstanden, warum ich die Person geworden bin, die ich bin. Auch in Bezug auf meine Herkunft, meine Identität.
Was möchten Sie Ihren Lesern und Leserinnen über den Libanon vermitteln?
Ich will dem Land, das die Jüngeren nur aus den Nachrichten kennen, eine Stimme geben. Vor 1975 - also vor dem libanesischen Bürgerkrieg - war das quasi wie Italien oder Mallorca für Deutsche. Da sind Leute reihenweise hingeflogen und haben da Urlaub gemacht. Natürlich haben der Krieg und die Wirtschaftskrise auch einiges dort verändert. Aber Strandurlaub, Skifahren, gut essen, Spaß haben, Party feiern - das gibt's da alles immer noch. Und das sind vor allem meine Kindheits-, Jugend- und Erwachsenenerinnerung.
Haben die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten Ihr Buch verändert?
Als die Luftangriffe auf den Libanon wieder verstärkt zugenommen haben, war ich gerade in den letzten Zügen des Schreibens. Und habe gedacht: Ich kann doch jetzt nicht dieses Buch rausbringen, wo ich von meiner glücklichen Kindheit und Jugend im Libanon erzähle. Aber vielleicht ist das gerade jetzt wichtig. Denn das alles hat sich nicht verändert. Und wenn sich die Lage dort wieder beruhigt, werde ich auf jeden Fall wieder hinfahren und auch wieder schöne Zeiten mit meiner Familie erleben.
Mit welchen Gefühlen blicken Sie gerade in den Libanon?
Ich bin optimistisch, denn der Libanon war und ist immer ein Land, das wie Phönix aus der Asche steigt. Und ich weiß, dass es dort immer weitergeht und dass die Leute dort total aktiv und motiviert sind, weiterzumachen und das Land aufzubauen. Ich habe auch mal vor einigen Jahren in Israel gearbeitet und da ist die Mentalität ähnlich: Dass man einfach in der Gegenwart lebt. Das finde ich faszinierend und habe davor auch großen Respekt. Für Deutschland würde ich mir auch etwas von diesem nach vorne gerichteten Optimismus wünschen - weil wir hier doch sehr viel über Vergangenes meckern und nicht so gerne in die Zukunft schauen.
Sie haben bis zur Geburt Ihres Kindes im vergangenen Jahr die „Tagesthemen“ moderiert. Was würden Sie gerne bei Nachrichtensendungen verändern?
Natürlich muss man über Unglücke, Krisen und Kriege berichten. Aber nach einer gewissen Zeit sollte man auch mal wieder hinschauen und schauen: Was ist daraus geworden? Das war mir bei meiner Arbeit sehr wichtig - sowohl beim ZDF als auch bei den „Tagesthemen“. Zum Beispiel, als es um die Erdbeben in der Türkei ging – da bin ich auch wirklich dafür eingestanden. Hier leben schließlich sehr viele türkischstämmige Menschen und ich kenne auch einige, die dort Familie oder Freunde verloren haben. Da würde ich mir eine etwas diversere und empathischere Perspektive wünschen - dass man auch bei den Nachrichtensendungen nicht vergisst, dass wir ein sehr buntes Deutschland sind.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Syriens Diktator Assad gestürzt wurde – und deutsche Politiker umgehend forderten, dass Syrer jetzt Deutschland verlassen sollen?
Ich hätte mir gewünscht, dass man erstmal durchschnauft. Und sich anschaut, was da eigentlich genau passiert. Dem Land und den Leuten Zeit gibt, sich zu sortieren. Gerade die Leute, die sofort laut waren, haben meist wenig oder gar keine Ahnung, was da eigentlich wirklich vor sich ging. Also da bin ich dann Berlinerin: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Klappe halten. Wenn man den Leuten sagt: Jetzt ist doch wieder alles toll und sicher dort drüben, dann könnt ihr ja jetzt auch schnell wieder zurückgehen - das finde ich so taktlos, so respektlos diesen Menschen gegenüber, die sich hier etwas aufgebaut haben und sich für unser Land eingesetzt haben. Denn sehr viele Menschen sind aus Syrien zu uns gekommen und arbeiten jetzt in systemrelevanten Berufen: Ärztinnen, Pfleger... Natürlich gibt es auch schwarze Schafe, gar keine Frage. Aber diese reflexhaften Reaktionen waren ein Armutszeugnis für Deutschland.
Im Podcast „Absolute Mehrheit“ fragen Sie Ihre Gäste, welche Reformen sie persönlich umsetzen würden, wenn sie die absolute Mehrheit in diesem Land hätten. Was wäre das bei Ihnen?
Ich bin ja vor Kurzem Mutter geworden und auch deswegen würde ich sagen: Wir müssen viel, viel mehr Geld in Schulbildung und frühkindliche Erziehung investieren. Das würde ich radikal durchziehen, wenn meine Partei die absolute Mehrheit hätte - denn sonst wird uns das in 20, 30 Jahren noch mal auf die Füße fallen. Und zwar nicht nur, weil wir jetzt schon zu wenig Fachkräfte haben. Es ist einfach traurig und fahrlässig, dass wir die Kinder und Jugendlichen so vernachlässigen, die doch unsere Zukunft sind. Deutsche Kinder haben im internationalen Vergleich nicht nur Lern-Defizite. Sondern fühlen sich auch oft einsam oder werden depressiv. Das hat natürlich auch mit den Sozialen Medien zu tun. Aber auch das sollte eine Aufgabe von Schule sein, finde ich: Medienkompetenzen beizubringen und ganz allgemein Lebenskompetenzen.
Wie blicken Sie auf die politische Lage in Deutschland?
Das liegt wahrscheinlich in der Natur meiner Persönlichkeit - ich werde immer zuversichtlich bleiben, dass wir in Deutschland unsere Empathie nicht verlieren. Denn das ist gerade in diesen Zeiten unheimlich wichtig. Aber - und das sage ich jetzt als Mensch mit Migrationshintergrund - die kommenden Wahlen machen mir schon Angst. Weil man merkt, dass der Ton in der öffentlichen Debatte populistischer, rechter, diskriminierender wird. Denn bei allem Optimismus gibt es bei mir auch so eine latente Angst, weil ich gerade wirklich nicht weiß, wo es hingeht. Und um jetzt noch mal auf das Thema Bildung zurückkomme: Da wäre es umso wichtiger, den Kindern die deutsche Geschichte besser oder verständlicher beizubringen. Ich denke, es gibt leider gerade mehr Parallelen zu den 1930ern als wir glauben und hoffen. Und vor diesem Hintergrund ist es noch bedeutender, Kindern mehr Demokratieverständnis an die Hand zu geben - auch von ganz klein auf. Und eben auch mehr Verständnis für Zusammenleben miteinander und Respekt. Und dafür, dass wir alle von unserer vielfältigen Gesellschaft eigentlich nur profitieren.
Für Aline Abboud ist der Libanon ihre zweite Heimat: Geboren 1988 als Tochter eines Libanesen und einer Ostberlinerin verbrachte sie von klein auf ihre Sommerferien bei ihren Großeltern und ihren 15 Cousins und Cousinen im Libanon. Die Journalistin, Fernsehmoderatorin und Redakteurin moderiert seit September 2021 die „Tagesthemen“ im Ersten, seit Februar 2022 auch die „Tagesschau“-Nachrichten auf tagesschau24. Ende November 2024 gab Aline Abboud über ihren Instagram-Account bekannt, dass sie nach ihrer Elternzeit nicht zu den „Tagesthemen“ zurückkehren wird.
„Barfuss in Tetas Garten - Berlin, mein Libanon und ich“, Ullstein, 240 Seiten, 18,99 Euro.