Alle wollen so sein wie TikTokSocial Media Kanäle bei der Gamescom 2022
Köln – Wo kann man sich besser bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen anbiedern als bei der Gamescom? Wer das das Kölner Messegelände durchwandert, findet natürlich hauptsächlich Anbieter von Videospielen. Aber auch einen großen Würfel-Escape-Room von McDonalds, die evangelische Jugend in Köln, die Automarke Mini mit einem Pokémon-Auto und die Bundeswehr, an deren Stand ein Plakat mit der Aufschrift: „Nach der Schule liegt dir die Welt zu Füssen.“ hängt.
Aus dem gleichen Grund haben auch YouTube Shorts und TikTok bei der Gamescom ihre Stände aufgebaut. Die Konkurrenzmedien tragen ihren Kampf bis in die heiligen Hallen der Videospielindustrie hinein, denn dort findet sich ein großer Teil ihrer Nutzerschaft. Und die Kämpfer scheuen dabei nicht davor zurück, ihre Neuerungen gnadenlos bei den Kontrahenten abzukupfern.
TikTok setzt den Standard
Im Moment lautet die Devise: Alle wollen so sein wie TikTok. Der große Erfolg des Konzerns, der 2016 in China unter dem Namen Douyin ins Leben gerufen wurde, macht neidisch. TikTok hat ein stärkeres Wachstum als die Konkurrenz, verzeichnet über eine Milliarde Nutzerinnen und Nutzer und leistet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit YouTube, was die Verweildauer innerhalb der App angeht.
Das Konzept von TikTok basiert auf kurzen Videos im Hochkantformat, die man nicht selbst suchen muss. Ein Empfehlungssystem schlägt sie anhand der eigenen Vorlieben vor. Was nicht interessiert, kann man wegwischen. Doch der Siegeszug der kurzen Clips ist alles andere als selbstverständlich. Mit Vine ist ebenfalls eine Plattform für Kurzvideos 2017 eingestampft worden. Was hat TikTok also so erfolgreich gemacht und worin liegt der Reiz dieser Clips?
Der Algorithmus bindet die Leute an das Handy
„Das besondere an TikTok ist, dass sie mit ihrer K.I. die Nutzung von Kurzvideos perfektioniert hat“, erklärt Friederike von Gross. Die Geschäftsführerin der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) hält einen Vortrag beim Gamescom-Kongress. „Diese K.I. ist sehr ausgereift. Die kann nicht nur Likes und Kommentare auswerten, sondern auch die Inhalte: Spracherkennung, Gesichtserkennung und viele andere Merkmale, und sie kann das viel besser als die der anderen Plattformen.“
Zur Person
Friederike von Gross ist Geschäftsführerin der Gesellschaft für Medienpädagogik und Informationskultur (GMK). Als gelernte Erziehungswissenschaftlerin ist sie seit Jahren in der Medienpädagogik aktiv und forschte unter anderem zu YouTube, Social Media und Computerspielen.
Durch diesen Algorithmus analysiert die K.I. das Nutzerverhalten und optimiert dann die Vorschläge, die sich mehr und mehr dem Nutzer anpassen. Dieser wird durch ein Belohnungssystem angeregt, so von Gross. „Das wird auch »Sticky Content« genannt. Das ist Content, der auf der einen Seite emotional ist, aber auch kurz und leicht zu begreifen.“ Je länger jemand TikTok nutzt, desto besser werde das Empfehlungssystem. „Also passen die Empfehlungen immer besser zu mir, es geht immer noch aufregender. Das Belohnungssystem wird dann stärker angespielt.“
YouTube Shorts, Instagram und sogar Amazon folgen dem Trend
Der große Erfolg dieses Konzepts hat auch andere Plattformen zu Änderungen bewegt, wenn auch mit höchst unterschiedlichem Erfolg. Facebook wollte die Kurzvideo-Funktion auf eine eigens dafür entwickelte App namens „Lasso“ auslagern, hat das Projekt aber wieder eingestellt. Instagram, der zweite Vertreter des Meta-Konzerns, hat die Funktionen in die eigene App in Form von Stories und Reels integriert.
YouTube etablierte 2020 mit Shorts einen TikTok-Klon erst in Indien, wo TikTok gesperrt worden war, und ein Jahr später im Rest der Welt. Dabei kann YouTube bereits auf eine große Nutzerschaft zurückgreifen. Laut eigenen Angaben nutzen bereits 1,5 Milliarden Menschen YouTube Shorts.
Anni the Duck und keinpart2 für TikTok auf der Gamescom
Ob YouTube mit seiner Kopier-Strategie aufholen kann? Für die GamesCom lässt sich das zumindest klar beantworten. Bei TikTok geht es direkt am ersten Tag gut los. Bekannte Influencer wie Anni the Duck (861.000 Follower bei Instagram) und keinpart2 (1.2 Millionen Follower auf TikTok) sind auf der Bühne und spielen „Overcooked“ – ein Videospiel, bei dem sie Gemüse schnippeln, was das Zeug hält, schnell Gerichte herstellen und ihre Kunden am Laufband versorgen müssen. Als es vorbei ist, dröhnen fette Beats zu Lichteffekten, während Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in pinken Shirts Merchandise an die Zuschauenden verteilen, die sich in großer Zahl dort versammelt haben.
Und bei YouTube Shorts? Die laden Besucherinnen und Besucher ein, sich zu verkleiden und vor einer großen Leinwand mit wechselnder Kulisse Kurzvideos zu drehen. Bloß tut es kaum jemand. „Ich glaub hier ist nicht viel“, resümiert ein Passant und zieht weiter. Die großen Cosplay-Events, die in dieser Halle mehr Besucher anlocken werden, finden erst am Wochenende statt. Einmal mehr ist TikTok also schneller als YouTube.
Kurzvideos bald auch bei Amazon?
Die Erfolgsformel von TikTok findet inzwischen man auch bei ganz anderen Plattformen – etwa bei Netflix, wo man unter „Schnelle Lacher“ kurze Clips von Filmen und Serien ansehen kann. Das „Wall Street Journal“ berichtet, dass selbst Amazon nun einen Feed mit Kurzvideos und Fotos zu Produkten erstellen will, die man mit anderen Nutzerinnen und Nutzern teilen kann.
Die Zukunft der Plattformen könnte also ein Einheitsbrei sein – Hauptsache, er lässt sich am Ende gut zu Geld machen. Die Algorithmen bestimmen dabei stark den Inhalt, sodass Content auf Masse produziert wird, um überhaupt bemerkt zu werden. Die Mitarbeiterin eines Videospiel-Studios, die über Social Media Werbung für deren Games macht, erklärte auf der Gamescom die Marketing-Strategie mit den Worten: „Es ist sehr viel Scheiße an die Wand schmeißen und gucken, was kleben bleibt“.
Inhalte von Sozialen Netzwerken werden auch prämiert
Und dennoch gibt es sehr hochwertigen Content: In zwei Jahren in Folge wurden TikTok-Kanäle mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet. Friederike von Gross weist darauf hin, dass Social Media trotz vieler Probleme medienpädagogische Potenziale bietet: „Jugendliche nutzen die Kanäle sehr partizipativ, pushen Content, den sie wichtig finden und nutzen die Kanäle zur politischen Meinungsbildung. „Das hat man bei Fridays for Future gesehen, aber auch bei der LGBTQI+-Community. Dort wird viel geteilt, unterstützt, positiv kommentiert, und das kann für Jugendliche auch politische Bildung und aktive Teilnahme am Diskurs im Sinne einer so genannten Participatory Culture sein.“
Die GMK-Geschäftsführerin plädiert also für einen offenen Umgang, besteht aber auf die Wichtigkeit von Medienkompetenz. „Social Media ist Teil der Jugendkultur, der Medienkultur. So wie auch Games. Das ist wichtig für Jugendliche. Es ist wichtig zuzuhören, warum sie es gerne nutzen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und zu fragen: Was ist euch wichtig? Was sind Themen, auf die ihr gestoßen seid? Was hat euch verstört? Was hat euch Angst gemacht?“.
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Ob sich bei dem Rennen TikTok oder YouTube durchsetzen wird, dazu will sie keine keine Prognosen machen. Sie sieht TikTok im Moment im Vorteil. Bei einem ist sich die Social Media Expertin jedoch sicher: Der Trend zu den kurzen Videos wird anhalten.