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Amazon-Serie „German Crime Story“Wie unterhaltsam darf ein Frauenmörder sein?

Lesezeit 4 Minuten
Oliver Masucci spielt den Frauenmörder Raik Doormann.

Oliver Masucci spielt in „German Crime Story: Gefesselt“ den Frauenmörder Raik Doormann, die Figur basiert auf einem echten Täter.

Die sechsteilige Amazon-Serie „German Crime Story: Gefesselt“ erzählt die Geschichte des Hamburger Säurefassmörders. Aber dürfen wahre Verbrechen Entertainment sein?

Die nackte, am Schädel rasierte Frauenleiche, die an den Füßen die Kellertreppe hochgeschleift wird; der Mörder, der vor der Badewanne mit den goldenen Armaturen hockt und einen Unterschenkel ansägt; der schwer beladene Aluminium-Koffer, den er in den Kofferraum des vor dem Reihenhaus geparkten Wagens hievt und dabei hamburgisch-schnittig den Nachbarn grüßt: „Moin, Dieter!“: Das Grauen, suggerieren die ersten Bilder von „German Crime Story: Gefesselt“, lauert gleich nebenan.

Die sechsteilige Serie wird vom Streamingdienst Amazon Prime als erstes deutsches True-Crime-Format beworben, also als Verbrechensgeschichte „frei nach wahren Begebenheiten“, wie es am Anfang jeder Folge heißt. Das Genre ist so beliebt wie umstritten, bestenfalls kann ein Fall als moralisches Porträt seiner Zeit präsentiert werden, woran sich „German Crime Story“ denn auch versucht.

Ein wesentlicher Reiz von True Crime liegt im beinahe wohligen Gruselschauer, den die Darstellung realer Kriminalfälle bei den Zuschauenden auslöst: Der Angstlust, die auch alten Mythen und Achterbahnfahrten zugrunde liegt, wird hier ein zusätzlicher Thrill hinzugefügt: Alles wahr und ganz nah.

Truman Capotes Roman „Kaltblütig“ ist der Urtext des True-Crime-Genres

Als True-Crime-Urtext gilt Truman Capotes Tatsachenroman „Kaltblütig“ aus dem Jahr 1965, der „Frühstück bei Tiffany“-Autor rekonstruiert darin in geschliffener Sprache und großer Detailfreudigkeit die schrecklichen, scheinbar motivlosen Morde an einer Farmerfamilie in Kansas. Deutschlands wichtigster Beitrag zum Genre ging zwei Jahre später auf Sendung: „Aktenzeichen XY … ungelöst“ unterhielt die Zuschauer nicht nur mit nachgespielten echten Verbrechen, sondern beteiligte sie sogar an der Fahndung, weshalb der ZDF-Sendung anfangs Menschenjagd und Aufforderung zum Denunziantentum vorgeworfen wurde.

Heute, wo True-Crime-Formate wie Podcasts, Dokumentationen, Bücher, Magazin-Reportagen oder TV-Dokuserien populärer sind als jemals zuvor, wird ihnen dagegen eher die Retraumatisierung der Opfer und ihrer Angehörigen vorgeworfen. „Würde man sich auch unterhaltsame „True Crime“-Folgen über Morde im Holocaust anhören?“ fragt „Spiegel“-Kolumnistin Margarete Stokowski provokant. Vor allem Frauen würden im Genre zur fröhlichen Unterhaltung entführt, gefoltert und ermordet. Wahr ist freilich auch, dass die Hörerschaft von True-Crime-Podcasts in der Mehrzahl weiblich ist.

Die Kritik traf zuletzt die redundant betitelte, aber äußerst erfolgreiche Netflix-Serie „Dahmer – Monster: The Jeffrey Dahmer Story“, die das Leben und Morden des bekannten Serienkillers nacherzählt. Aber auch die „German Crime Story“ präsentiert mit Raik Doormann einen charismatischen Killer, den der Bonner Schauspieler Oliver Masucci mit mitreißender Übertreibungslust verkörpert.

Warum schnackt Oliver Masucci eigentlich wie Dieter Bohlen?

Man mag zuerst gar nicht entscheiden, warum genau sich einem die Nackenhaare aufstellen, sobald Masucci die Szene betritt: Weil er heimlich Frauen in seinem selbstgebauten Atomschutzkeller foltert, weil er auf ein schier unerschöpfliches Reservoir an frauenfeindlichen Sprüchen zurückgreifen kann und noch dazu wie Dieter Bohlen schnackt, oder weil er dem heutzutage wenig populären Beruf des Kürschners nachgeht und selbst gerne Ludenpelze trägt?

Kurz: Es macht auf perverse Weise Spaß, Masucci zuzuschauen und ebendies möchte man, erschreckt über die eigene Reaktion, mit vollem Ernst kritisieren. Denn selbst wenn alle Namen geändert wurden, ist der Fall, der hier erzählt wird, doch bestens bekannt: Der sogenannte „Säurefassmörder“ Lutz Reinstrom hat in den 1980er und frühen 1990er Jahren in Hamburg-Rahlstedt drei Frauen entführt, missbraucht und gefoltert. Zwei seiner Opfer tötete er und vergrub ihre zerstückelten Überreste in Säurefässern.

Die Serie dröselt den Fall als „kubistisches“, so Regisseur Florian Schwarz, Puzzlespiel auf und weitet ihn zugleich zum Sittengemälde einer misogynen Gesellschaft: Die einzige Zeugin wird im Revier und vor Gericht verhöhnt, und Doormanns einzige Widersacherin, von Angelina Häntsch mit still entschlossener Jodie-Foster-Intensität gespielt, muss sich als erste Kommissarin im Hamburger LKA gegen die krasse Frauenfeindlichkeit der Kollegen durchsetzen, bevor sie überhaupt die Ermittlung aufnehmen kann.

Die Verknüpfung von sadistischem Täter und sexistischer Gesellschaft gerät der „German Crime Story“ zwar plakativ, aber durchaus effektiv: Der Frauenmörder rumort nicht unter der dünnen Decke der Zivilisation, er ist ihr konsequenter Ausdruck.

Leider muss dem Täter in der letzten Folge noch ein Mutter- und Minderwertigkeitskomplex angedichtet werden. Es ist, als traute die Serie ihrer eigenen Analogie nicht. Damit aber verweist sie ihre Frauenfolterbilder wieder in den Bereich des „Psycho“-Voyeurismus.

„German Crime Story: Gefesselt“ ist auf Amazon Prime zu sehen