Anke Engelke und A.L. Kennedy„65 Milliarden Pfund werden gegen die Wand gekotzt”
- Was sind die besten deutschen Schimpfwörter? Und wer ist schuld daran, dass geschätzte 65 Billionen Pfund nach dem Brexit einfach so gegen die Wand gekotzt werden?
- Wenn die Kölner Komikerin Anke Engelke mit der britischen Schriftstellerin und Stand Up Comedian A. L. Kennedy aufeinandertrifft, so wie jetzt bei der Kölner lit.Cologne, kann es nur lustig werden.
- Ein Gespräch übers Fluchen, Liebesbriefen auf allen Kanälen und Großbritannien als „das Land der leichtgläubigen Trottel”.
Köln – Wenn sich zwei Komikerinnen begegnen, wird es unweigerlich lustig. So geschehen beim Literaturfestival lit.Cologne, wo die A. L. Kennedy ihren neuen Roman „Süßer Ernst“ vorstellte, eine etwas andere Liebesgeschichte, die im politisch korrumpierten London der Kurz-vor-Brexit-Zeit spielt. Anke Engelke las aus der deutschen Übersetzung. Sarah Brasack traf die beiden vor der Lesung zum Gespräch.
Frau Kennedy, helfen Sie uns! Wir verstehen die Engländer nicht mehr. Was passiert da gerade auf der Insel?
Kennedy: Ich verstehe es auch nicht. Was passiert ist: David Cameron hat mit Boris Johnson gestritten – was die beiden schon seit ihrer gemeinsamen Schulzeit tun. Dann haben sie aus ihrem Streit ein Brexit-Referendum gemacht, allerdings nicht mit diesem Ergebnis gerechnet. Geschätzte 65 Milliarden Pfund werden nach dem Brexit einfach gegen die Wand gekotzt werden wegen zwei Jungs, die sich nicht leiden können. Was natürlich viel wichtiger ist als 66 Millionen Menschen.
Welche Rolle spielt Theresa May?
Kennedy: Die ist einfach nur psychisch krank. Ihr Ehemann verdient übrigens ein Vermögen damit, gegen die britische Ökonomie und das Pfund zu wetten. Er hat sein Unternehmen nach Europa verlagert. Trotzdem votiert er offiziell für den Brexit.
Sie sind für die Liebe vor einigen Jahren nach England gezogen. Werden Sie zurück in Ihre schottische Heimat ziehen, wenn der Brexit kommt?
Kennedy: Vor allem werde ich vor Kummer aufhören zu essen. Schottland wird hoffentlich mit der EU ein gesondertes Abkommen schließen können. Dann wären die Schotten allerdings EU-Bürger in einem Land, das keine EU-Bürger mag. Es könnte tatsächlich ein neuer Bürgerkrieg in Irland drohen, es könnte sogar zum Bürgerkrieg zwischen England und Schottland kommen. Aber solche Auswirkungen sind diesen rücksichtslosen Egoisten völlig egal.
Sie sind beide professionelle Komikerinnen. Lässt sich dem Brexit etwas Komisches abgewinnen?
Engelke: Die Frage stellt sich ja immer, wenn in einem Land etwas schiefläuft: Wie geht man damit um? Was gerade in England geschieht, ist so absurd, dass es für eine Stand Up Comedian schon reichen würde, auf der Bühne Zeitungsartikel vorzulesen.
Kennedy: Völlig ausreichend, ja. Einen Tag nach dem Brexit-Referendum lautete in Großbritannien die am häufigsten eingetippte Frage bei Google: Was bedeutet EU? Einen Tag später! Ich fasse es nicht! Wie ziehen sich solche Menschen eigentlich morgens alleine an? Wir marschieren jetzt gerade viel und versuchen es mit Humor. Bei einer der großen Demos in London hatte ein Mann auf sein Plakat geschrieben: Hört auf, die Zukunft meiner Kinder zu ruinieren. Das ist mein Job. Trotz allem Humor bleibt es Fakt, dass junge Briten künftig nicht mehr im Ausland studieren oder einfach so mal reisen können. Und viele andere richtig schlimme Dinge werden geschehen. Wenn du also lachst, lachst du nicht, weil dir der Brexit egal ist, sondern um dich nicht umzubringen.
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„Großbritannien ist das Land der leichtgläubigen Trottel”
Großbritannien ist das Land der leichtgläubigen Trottel, heißt es in Ihrem neuen Roman. Stimmt das?
Kennedy: Stellen Sie sich das mal vor: Viele Engländer sagen derzeit, dass sie gar nicht überzeugt waren vom Brexit, aber trotzdem dafür gestimmt haben. So etwas kriege ich einfach nicht in meinen Kopf: Haben die „Ene mene miste“ gemacht? Das Problem in England ist: Sobald du einen Union Jack um irgendetwas wickelst, feiern es viele Leute ab – weil es um die tolle Nation geht. Noch ein royales Baby zum Beispiel. Das macht doch jeden glücklich, oder? Obwohl selbst das zunehmend nicht mehr der Fall ist. Bei den Schotten sowieso nicht, denen diese Babys mittlerweile völlig egal sind. Aber auch immer mehr Engländer sagen: Wir müssen für diese royalen Babys sehr viel Geld zahlen. Hört auf damit, diese Babys zu haben. Wir können ja noch nicht einmal für unsere eigenen Babys zahlen.
In „Süßer Ernst“ schreibt der Hauptprotagonist John Sigurdsson gegen Bezahlung Liebesbriefe an fremde Frauen. Wenn Sie einen Liebesbrief an die EU schreiben würden – was stünde drin?
Engelke: Ich würde eine medizinische Metapher wählen und über das Herz schreiben. Wir sind für unser Überleben doch darauf angewiesen, dass alles fließen kann. Und das geht nicht mit Grenzen. Wir Menschen wollen doch teilen, und tauschen, wir wollen reisen, zusammenarbeiten. Wir wollen helfen. Du kannst aber niemandem helfen, wenn du eine Mauer um dein Land ziehst. Und dir kann auch nicht geholfen werden. Woran wollen diese Brexit-Befürworter denn unbedingt festhalten? An Traditionen? Dagegen spricht ja nichts, wenn es gute sind. Aber sich abzuschotten ist keine Lösung.
Nur ein handschriftlicher Liebesbrief verdiene den Namen auch, heißt es im Roman. Sind Sie auch der Meinung?
Kennedy: Nein, da gibt es keine Regeln.
Engelke: Ich habe auch schon sehr nette E-Mails bekommen. Das finde ich voll okay. Trotzdem schreibe ich richtig gerne Briefe. Und Postkarten.
Kennedy: Ich muss sogar mit SMS vorliebnehmen, weil mein Freund gar keinen Brief schreiben könnte, ohne einen Herzinfarkt vor Stress zu bekommen. Aber im SMS-Schreiben ist er super. Dann klingt er wie er. Die Kommunikation muss zum jeweiligen Paar passen.
Was darf ein Liebesbrief auf keinen Fall?
Engelke: Sinn ergeben. Sonst ist er nicht echt.
Liebesbriefe haben in England aber derzeit keine Konjunktur. Frau Kennedy, Sie haben jüngst gesagt, die einzige Industrie, die in England derzeit überhaupt noch wachse, sei die Neuerfindung von Schimpfwörtern.
Kennedy: Stimmt. Es werden einfach alle Schimpfwörter wild miteinander kombiniert und gestapelt, weil es keinen anderen Weg gibt, um diese unfassbare Dämlichkeit zu beschreiben, die in England gerade passiert. Wir werden sage und schreibe von 300 Verrückten regiert.
Auch in Ihrem Roman wird extrem viel geflucht.
Kennedy: Finden Sie? Ich finde das noch sehr moderat.War es denn Spaß oder harte Arbeit, die Fluch-Passagen zu schreiben?Kennedy: Harte Arbeit. Das Fluchen muss ja melodiös klingen und einfallsreich sein. Sonst ist es einfach nur uninteressantes Gestammel.
Engelke: In Deutschland gibt es gar nicht so viele Schimpfworte wie im Englischen.
Kennedy: Ihr habt „Arschloch“.
Engelke: Aber wir haben kein „Fuck“. Wir benutzen es zwar, aber haben es von euch importiert.
Kennedy: Dafür haben wir von euch „Schadenfreude“ übernommen. Ein tolles Wort.
Engelke: Wir haben auch noch „Scheiße“.
Kennedy: „Scheiße“ ist super.
Fluchen Sie also auch gerne, Frau Engelke?
Engelke: Sie ertappen mich unter Umständen dabei, wenn ich mich aus Doofheit verspäte. Ich fahre ständig mit dem Zug, weil ich in Deutschland und innerhalb Europas nicht fliegen möchte. Da muss man pünktlich sein!
Und die Bahn ist für ihre Pünktlichkeit nicht eben berühmt.
Engelke: Stimmt, aber ich kann ja auch einfach einen früheren Zug nehmen. Wir Deutschen haben riesiges Glück mit unserem öffentlichen Verkehrssystem. Ja, es ist teuer, ja, ich kritisiere es ständig, aber ich bin total dankbar. Wenn ich am Bahnsteig fluche, fluche ich also vor allem über mich selber. Aber fluche ich deshalb laut? Schreie ich? Nein, ich fluche höchstens innerlich. Menschen, die ständig wütend sind und motzen, sehen auch genauso aus. Ich wünsche mir für mein Gesicht, dass es aussagt: Ich bin eine glückliche Person.
Zu den Personen und zum Buch
A.L. Kennedy ist einer der renommiertesten britischen Schriftstellerinnen. Die 1965 in Dundee geborene Schottland- Patriotin, die gelegentlich auch Stand UP Comedy macht, lebte lange in Glasgow, heute in der Nähe von London. „Süßer Ernst“ (Hanser) ist ihr achter Roman.
Anke Engelke, 1965 in Montreal geboren, ist Schauspielerin, Komikerin und Sängerin, unter anderem bekannt durch Sketch-Shows wie „Lady Kracher“. Sie ist die deutsche Synchronstimme von Marge Simpson in der Zeichentrickserie. Engelke hat drei Kinder und wohnt in Köln.