Die Kölner Schauspielerin Annette Frier spricht im Interview über ihr Filmprojekt #warumbistduhier – und erklärt, warum sie Richard David Precht triggert.
Annette Frier stellt Sinnfragen„Der erste Mensch, dem ich zu verzeihen habe, bin ich selber“
Frau Frier, Sie haben Regie geführt bei einem Film, in dem Sie Sinnfragen an bekannte und unbekannte Menschen richten. Wie kamen Sie auf diesen Gedanken?
Aus Not. Der Not im zweiten Lockdown 2020. Dem ersten hatte ich irgendwie noch was abgewinnen können – mit der ganzen Entschleunigung und der vielen Zeit, die ich auf einmal hatte. Im zweiten Lockdown aber ist mir komplett die Puste ausgegangen. Vor allem habe ich mich ertappt bei Gesprächen, die ich eigentlich nicht führen wollte.
Was für Gespräche waren das?
Es wurde nur noch um sich geschlagen, herumgepfeffert mit Ansichten und Haltungen. „Ich habe recht, und du bist schlecht!“ Da habe ich für mich gemerkt: So geht das nicht, ich will das nicht mehr. Also habe ich auf fünf Seiten aufgeschrieben, worauf ich keine Lust mehr habe, und auf einer weiteren Seite, was ich stattdessen tun möchte.
Und dazu gehörten diese „Sinnfragen“?
Ich hatte total Bock darauf, mich mit anderen zu verbinden. Verbinden, nicht spalten. Unter diesem Motto habe ich mich einen Monat lang hingesetzt, Fragen oder Themen aufgeschrieben, die sich mir in der Corona-Zeit aufgedrängt haben. 20 davon habe ich ausgesucht und sie 20 Leuten vorgelegt, die ich kenne und schätze: 2020 – passend zum Ende des ersten Coronajahrs. Von meinem Kollegen Jan Messutat, der auch als systemischer Coach arbeitet, habe ich mir dann Tipps geben lassen, wie ich die Fragen so stellen kann, dass sie nicht aus irgendwelchen Schubladen gezogen werden.
Interview-Technik also. Und? Wie haben Sie‘s gemacht?
Keine Ja-Nein-Fragen, nicht richtig oder falsch, gut oder schlecht. Sondern die Aufforderung, mit sich selbst Kontakt aufzunehmen, in erster Linie über innere Bilder. Das war zunächst gar nicht so leicht, weil ich plötzlich über die selbstverständlichsten Dinge nachgedacht habe und darüber ins Stolpern gekommen bin. So, wie wenn du auf dem Tennisplatz anfängst, über eine routinierte Vorhand nachzudenken, und danach alle Bälle im Netz landen.
Die Fragen sind teils sehr intim.
Genau. Und ich habe gelernt, intime Fragen zu stellen, ohne dabei die Privatsphäre zu verletzen.
Man merkt aber schon auch, wie weit Ihre Gesprächspartnerinnen und -partner zu gehen bereit sind. Dunja Hayali zum Beispiel…
Das war tatsächlich die härteste Nuss. Mit ihr habe ich das längste Gespräch von allen geführt, weil sie mir erst einmal einen Wind von Gegenfragen ins Gesicht geblasen hat, die ich dann beantworten sollte. Das haben wir im Film dringelassen, weil es das Besondere an Dunja ist, und es geht ja auch ein bisschen darum, die Leute kennenzulernen, die beim Projekt mitgemacht haben.
Gab es einen besonderen Aha-Moment?
Immer wieder bin ich an den Punkt geraten, wo ich dachte: Also, hier würdest du im Gespräch mit Bekannten oder Freunden vermutlich aufhören, nicht weiterfragen, sondern das Thema wechseln. Durch das Dranbleiben entstanden dann oft lange Pausen – und danach passierten oft die entscheidenden Dinge.
Auch die Pausen haben den Schnitt des Films überstanden.
Erst wollten wir sie rausnehmen. Aber dann haben wir gemerkt: Hier stimmt was nicht mehr mit dem Rhythmus. Stehen lassen, Situationen aushalten, Platz schaffen für Gedanken, die gerade entstehen – das sind die drei Ingredienzen, die diesen Film für mich so besonders machen. Und natürlich die Leute, die sich darauf eingelassen und mir ihr Vertrauen geschenkt haben.
Eine der von Ihnen gewählten Sinnfragen zielt auf Vergebung – vielleicht der Schlüsselbegriff für die Fehler in der Pandemie und die Konflikte in der Zeit danach. Was der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einmal formuliert hat, ist ja überhaupt noch nicht eingelöst: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“
Das sehe ich ganz genauso. Und da sind wir auch gleich bei der Erkenntnis, die für mich in dem Projekt am allerwichtigsten geworden ist: Der erste Mensch, dem ich zu verzeihen habe, bin ich selber. Ganz ehrlich, das hatte ich vorher überhaupt nicht auf dem Schirm.
„Was haben Sie sich denn zu verzeihen?“
(Überlegt) Das ist schwer, das jetzt so zu sagen, während hier um uns herum das Geschirr klappert und der Staubsauger bläst. Es passieren im Lauf eines Lebens ja viele Dinge…
… Ah, Sie drehen schon das große Rad!
Ja – ich glaube, es kommt darauf an, bei mir selbst zu einer Grundakzeptanz zu kommen, mit mir selbst Frieden zu schließen, und zwar genau bei den Dingen, auf die man nicht gerne schaut, sondern die man eher wegschiebt, weil sie großes inneres Unbehagen auslösen.
Nur würden Sie das im Normalfall nicht in einem Interview erörtern, das in der Zeitung landet.
Deswegen bin ich ein bisschen unkonkret. Aber ich finde es schon erstaunlich genug, nicht gewusst zu haben, wie oft ich mit mir im Unfrieden bin, wie viele Situationen es gibt, in denen ich merke: Oh, da ist Feuer drunter.
Was folgt für Sie daraus?
In der schönsten meiner Welten wäre ich längst so weit, dass ich andere nicht mehr be- oder verurteile. Bevor ich die Welt da draußen so verändern will, dass ich mich in ihr wohlfühle, brauche ich erst einmal die Akzeptanz im eigenen Inneren. In der Diplomatie ist das völlig normal: Zwei Seiten handeln etwas aus, kommen einander entgegen, treffen sich in der Mitte. Das macht das zivilisierte Miteinander aus. Nur im Umgang mit uns selber praktizieren war es nicht. Da sagen wir ganz schnell: „So und nicht anders! Dies und jenes kann ich nicht, will ich nicht, mache ich nicht.“ Bamm, bamm, bamm, keine Kompromisse! Immer wieder in die Schlacht mit sich selbst ziehen – und dann umso heftiger um sich schlagen. Auf diesen Zusammenhang bin ich gekommen, weil ich auf einmal Zeit hatte, mich mit mir selbst und meinen Fragen zu beschäftigen.
Aber mit den anderen schon auch?
Insofern, als die anderen oft Platzhalter sind, Stellvertreter oder Spiegel eigenen Verhaltens und Fehlverhaltens. Warum rege ich mich gerade so krass über jemanden auf? Warum verlange ich von anderen, dass sie etwas tun – sagen wir: gegen die Spaltung der Gesellschaft? Weil ich noch nicht mal mit der Spaltung in mir selbst klarkomme, sondern wegschaue und sage, „mit diesem Teil von mir selbst möchte ich nichts zu tun haben“.
Haben Sie jetzt vielleicht doch ein Beispiel?
Meinetwegen. Nehmen wir Richard David Precht, der ja gerade – und wie ich finde, zurecht – wegen seiner unsäglichen Aussagen über orthodoxe Juden in der Kritik steht. Ich habe mich schon dabei erwischt, wie Prechts andauernde Klugschwätzerei mich triggert. Der interessante Punkt ist doch jetzt: Was hat das mit mir zu tun? Wann neige ich auch selbst dazu, als Besserwisserin aufzutrumpfen? Die eigene Arroganz ist eine Form, Ängste zu kaschieren. Was also ist die Aufgabe? Auf mich selbst gucken, auf meine eigene Klugscheißerei. Darauf habe ich nämlich am ehesten Einfluss.
Die Versuchung, groß aufzutrumpfen, dürfte umso größer sein für jemanden wie Sie, die als Promi ja auch sehr leicht Gehör findet.
Das stimmt. Man bekommt immer wieder so eine eigene Großartigkeit suggeriert. Sie glauben gar nicht, zu welchen Themen ich schon in Talkshows gehen sollte. Zum Glück funktioniert dann meistens doch das eigene Frühwarnsystem, das mich darauf nicht reinfallen lässt, sondern mir sagt: Sollen sie doch Leute einladen, die was von der Sache verstehen. Aber natürlich steckt in der Berühmtheit, in der zugeschriebenen Vorbildfunktion auch eine Verführung. Und wenn du nicht ganz gut gestiefelt bist, dann bildest du dir schon mal ein, du wärst wirklich so toll, wie sie alle tun.
Zur Person und zum Film
Annette Frier, geb. 1974 in Köln, ist Schauspielerin, Komikerin und Regisseurin. Sie hat in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen mitgewirkt. Mit Christoph Maria Herbst spielt sie die Titelrolle in der ZDF-Serie „Merz gegen Merz“, aus der auch ein Spielfilmformat entstanden ist. Von 2018 bis 2022 war sie auch Titelheldin der ZDF-Serie Ella Schön.
An Friers Projekt #undwarumbistduhier mit 20 Fragen zum Sinn des Lebens haben unter anderem mitgewirkt: Martin Brambach (Schauspieler), Eko Fresh (Musiker), Edin Hasanovic (Schauspieler), Dunja Hayali (Journalistin), Nelson Müller (Gastronom), Cordula Stratmann (Komikerin), Peter Trabner (Theatermacher), Winfried Landgrebe (Pfarrer).
Der Film #undwarumbistduhier (Regie: Annette Frier und Dietlinde Stroh) hat im Rahmen des „Film Festival Cologne“ an diesem Dienstag um 20 Uhr im Filmpalast, Hohenzollernring 22, 50672 Köln, Premiere.
https://filmfestival.cologne/filme/undwarumbistduhier
Der Youtube-Kanal zum Projekt hatte bislang 8,8 Millionen Impressions und fast eine Million aktive Besucher.
Eine künstlerische Installation zum Projekt ist derzeit im Foyer des Hotels „25hours The Circle“, Im Klapperhof 22-24, 50670 Köln zu sehen. Auf Vinylplatte sind alle 20 Fragen zu hören. In leeren Kladden können die Besucherinnen und Besucher ihre Antworten auf Fragen eintragen.