Antilopen Gang im Kölner E-WerkEinfach mal das Maul halten
Köln – Als Daniel Pongratz alias Danger Dan im vergangenen Jahr den Song „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ veröffentlichte, erhielt er dafür viel Beifall von der richtigen Seite. Eine geradezu liebliche Klavierballade hatte der Rapper der Antilopen Gang da verfasst, in der er das Spiel der neuen Rechten, hetzerische Inhalte zu verbreiten und die im Nachhinein gar nicht so gemeint zu haben, geschickt gegen diese wendete.
Gleichzeitig diente das Lied als Lob aktivistischer Kunst: In der letzten Strophe wechselt Danger Dan vom Konjunktiv in den Indikativ, denn früher oder später kommt der Zeitpunkt, in dem man Antisemiten und Faschisten mehr entgegenhalten muss, als nur ein „als ob“.
Das Solostück spielt Pongratz auch am Donnerstagabend auf der Bühne des Kölner E-Werks, im Rahmen des wegen der Pandemie bereits viermal verschobenen Konzerts seiner Hip-Hop-Crew Antilopen Gang. Nicht nur, möchte man meinen, wegen des großen Erfolges. Auch, weil man das Stück im Bandkontext viel besser versteht.
Prozess gegen den Verschwörungsideologen Ken Jebsen
Das ist zum einen so, weil es noch einmal einen Prozess zitiert, den der rechte Verschwörungsideologe Ken Jebsen gegen die Antilopen angestrengt und krachend verloren hatte. Das war 2014, die Band hatte Jebsens damalige Radiosendung als ein Beispiel zu den folgenden Zeilen genannt: „Zu Verschwörungstheorien gehören Vernichtungsfantasien/ Sie können sagen was sie wollen, sie sind schlicht Antisemiten“. Die Antilopen hatten also schon vor acht Jahren verstanden, was für viele erst im Zuge der Querdenker-Demonstrationen augenfällig wurde.
Zum anderen, weil man der Ballade von der „Kunstfreiheit“ zwar tatsächlich, wie geschehen, vorwerfen kann, Musik fürs gute Gewissen zu sein, dies aber von etlichen anderen Antilopen-Tracks torpediert wird. Denn das Beste an dem Trio aus Aachen und Düsseldorf ist nicht seine schlagkräftige Mixtur von Rap, Fun-Punk und Antifa-Aktivismus, sondern die Art, wie sie diese immer wieder gegen sich selbst und die eigene Blase wendet.
Hatten sich Kolja, Panik Panzer und Danger Dan nicht gerade noch als „Stück Dreck“ geoutet? In ihren jeweiligen Strophen des Messie-Syndroms, der Faulheit und verklemmter gleichgeschlechtlicher Lüste bezichtigt? Später zählen sie im Track „Smauldo“ Klischee-Sätze auf, die ein beherztes „Halt's Maul“ verdient hätten. Zuerst bekommen Homophobe, Homöopathen und Hipster ihr Fett weg, doch daraufhin wendet sich der Song gegen die eigene Hip-Hop-Szene und letztlich gegen sich selbst.
Sehr schön auch die genretypische Angabe „Die Kyngz sind back!!!1“ in der die Antilopen das Publikum erst zur (rhetorischen) Frage „Seid ihr die Kings?“ anstacheln, um diese am Ende mit einem antiklimaktischen „Nö“ zu beantworten.
Tote Crackhuren und freundliche Rempeleien
So viel Selbstkritik könnte schnell die Luft aus dem Raum saugen, doch die Antilopen Gang beherrscht die Kunst, Zerknirschung tanzbar zu machen. Zwei Drittel des E-Werks haben sich gleich nach den ersten Takten in ein riesiges Mosh-Pit verwandelt. Immer wenn Tour-DJ Jenny Sharp von den Turntables ablässt, um zur weißen Flying-V-Gitarre zu greifen, rempelt man sich mit größtmöglicher Freundlichkeit an, surft über den Köpfen der Tanzenden in die Arme des Sicherheitspersonals und begießt sich gegenseitig mit Bier. Wie schon die Vorband mit dem famosen Namen The tote Crackhuren im Kofferraum sang: „Komm mir niemals mit Argumenten, wenn's um Bier geht.“
Ganz ähnlich wie die humoristisch wesensverwandten Ärzte stehen auch die mittlerweile an die 40 schrammenden Männer der Antilopen Gang zu den Albernheiten ihrer frühen Jahre. Als Zugabe spielen sie immer noch ihre frühe Anti-Akademiker-Hymne „Fick die Uni“ („Der Inbegriff einer widerlich stinkenden Inzestfabrik“) – allerdings nicht ohne Koljas Bekenntnis, den Song geschrieben zu haben, während er für die Abschlussprüfung büffelte.
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Regelrecht berührend wird diese Hingabe an den Unernst, wenn die Band einen Text aus dem Nachlass des vierten im Bunde vertont: NMZS, bürgerlich Jacob Wich, war 2013 freiwillig aus dem Leben geschieden. „Er war schon der Lustigste von uns“, erinnert sich Danger Dan und fügt hinzu: „Ich lass mir von den Depressionen nicht meine Erinnerungen verderben.“ Das besagte Stück heißt „Der Enkeltrick“ und ist ein einziges Lob desselben aus der Sicht fröhlicher Trickbetrüger.
Die letzte Zugabe fasst dann noch einmal den Antilopen-Geist, der stets verneint, in einem griffigen Stück zusammen: „Eure Lieder sind deep und sie helfen den Menschen/ Ich hör' unser Album und hau' mir selbst auf die Fresse“, reimt Panik Panzer und bezeichnet sich, nicht ohne Stolz, als die „Demonstration gegen die Demonstration“. Den letzten Refrain singen sie gemeinsam zu dritt und erlauben sich dabei ausnahmsweise einmal Pathos. „Als wir uns schließlich selbst erkannten und alles ziemlich scheiße fanden/ Da hatten wir das Wichtigste kapiert.“