Vier Schauspieler spielen einen IrrfahrerHomers „Odyssee“ im NN-Theater
Köln – „Es irrt der Mensch so lang er strebt“, so beschreibt Goethe den Zustand, der durch Homers Epos „Odyssee“ sprichwörtlich geworden ist. Die Assoziation einer allgemeinen Orientierungslosigkeit des Menschen stellt sich auch beim Schauen der furiosen „Odyssee“ des Kölner NN-Theaters ein. Homers Heimkehrer-Drama wird bei Rüdiger Pape, der für Regie und Buch zeichnet, aber nicht zuletzt auch zum klugen und komischen Spiel mit Archetypen und saftigen Seefahrer-Anekdoten.
Für den Städtezerstörer Odysseus soll die Rückkehr nach Ithaka die Sehnsucht nach heiler Heimat stillen. Ein Wunsch, der nach zehn Jahren blutigem Kriegshandwerk vor Troja ebenso verständlich wie unerfüllbar ist. Diese Griechen, die ihre Schiffe gegen Heimat segeln lassen, sind Grenzgänger zwischen der modernen und archaischen Welt. Wie blindwütige, kolonialistische Beutemacher nehmen sie sich rücksichtslos, was ihnen auf ihrer Fahrt in die Hände fällt.
Das NN-Theater erweckt den Mythos um Odysseus zu neuem Leben
Odysseus, dieser Prototyp eines unzuverlässigen Erzählers, ist gleichzeitig auch ein gebrochener Held voller Widersprüche. Das hält den Mythos über die Jahrtausende so lebendig. Mit dem in 35 (!) Jahren Bühnenerfahrung gesammelten Verständnis für modernes Volkstheater unter freiem Himmel schickt das NN-Theater sein Publikum hier auf eine faszinierende Reise, bei der das komische und sinnliche Potenzial des Stoffes zur Gänze ausgeschöpft wird.
In dem fantastischen Roadmovie bekommen es die Seefahrer u.a. mit dem einäugigen Zyklopen Polyphem zu tun, müssen sie den Sirenen trotzen und den Seeungeheuern Skylla und Charybdis. Die Insel der verführerischen Kirke taucht vor unseren Augen auf und auch das zweite Liebesabenteuer mit Kalypso darf in dem Erzählreigen nicht fehlen. Dass Odysseus sich jahrelang in fremden Betten wälzt und gleichzeitig nach seiner Ehefrau Penelope sehnt, ist nur eine der vielen Facetten des Heldenmythos, der hier so kunstvoll aufgefächert wird.
Der Protagonist des Stücks wird von vier Schauspielern gespielt
Odysseus wird abwechselnd im Spiel von allen vier Ensemblemitgliedern verkörpert. Dieser Odysseus ist listenreicher Hallodri und Jammerlappen zugleich. Einer der von der Rückkehr redet, dem aber immer wieder im Angesicht schöner Frauen die Hose näher als die angeblich so hehre Heimat ist. Ein orangefarbenes Kopfband, das mitunter wie von Geisterhand den Besitzer wechselt, versinnbildlicht die Charade im Protagonisten-Potpourri.
Wobei der Umstand, dass je nach Situation alle Schauspieler den Odysseus spielen wollen oder die Führungsrolle wie Sauerbier angeboten wird, für zusätzliche Komik sorgt. Im ständigen, perfekt durchchoreografierten Wechsel der fantasievollen und gleichzeitig klug reduzierten Kostüme und Rollen kreieren Irene Schwartz, Christine Per, Michl Thorbecke und Oliver Schnelker so einen multiperspektivischen Blick auf die Geschichte.
Homers Epos mit Theremin-Vibes
Dass der Episodenreigen aus dem Erzählfundus Homers dabei wie aus einem Guss daherkommt, dafür sorgt nicht zuletzt der Einsatz der Musik. Bernd Kaftan, der diesmal in zwei Szenen auch sein komisches Talent unter Beweis stellen darf, kreiert mit seiner Livemusik, bei der nicht zuletzt ein MoogTheremin atmosphärische Klänge zaubert, einen fulminanten musikalischen Flow. Archaisch anmutende Chor-Gesänge der Schauspieler bereichern den hier ausgebreiteten Klangteppich ebenso wie der schelmische Einsatz von Schlager- und Pop-Zitaten.
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Wie im Flug vergeht die 90 Minuten lange ideenreiche Irrfahrt, bis die Heimkehr doch noch glückt. Die kann aber hier, so toxisch und traumatisiert der Held nach Blut und Rache dürstet, freilich kein gutes Ende nehmen.
Zum Programm
„Odyssee“ wird im Rahmen eines viertägigen Gastspiels des „NN“-Theaters im Waldbad in Köln Dünnwald gespielt.
20.000 Meilen unter dem Meer 31.8. 19.30 UhrOdyssee 1- 3.9., 19.30 UhrHeidi 4.9., 12 UhrExit Casablanca 4.9. 19.30 Uhr