Die Bonner Bundeskunsthalle zeigt eine neue Ausstellung über die Postmoderne. Sie deckt mit 1967 bis 1992 einen langen Zeitraum ab.
Neue Ausstellung in der BundeskunsthalleDer Beginn unserer Gegenwart
Der Raumteiler „Carlton“ von Ettore Sottsass ist eine bunte Möbelskulptur der Mailänder Designgruppe Memphis aus dem Jahr 1981 und so wie Gerrit Rietvelds Stuhl „Red and Blue“ von 1918 ein echter Hingucker – allerdings ziemlich unbrauchbar. Der Bauhaus-Designklassiker ist reduziertes und damit unbequemes Sitzmöbel und das windschiefe „Carlton“ als Bücherregal jedenfalls absurd ungeeignet. Auch der Tisch „Tartar“ oder das Regal „Factotum“ sind großartig, aber so zweckfrei wie Claes Oldenburgs umgestürztes Eishörnchen auf der Kölner Neumarktgalerie.
Was soll das? Ist das Kunst, Kitsch oder einfach nur Spaß, ist das Avantgarde, Pop Art, postmodern oder „Alles auf einmal“? Das zumindest meint der Titel der neuen Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle, die bis Ende Januar einen Überblick über die sogenannte „Postmoderne“ als „Beginn unserer Gegenwart“ wagt. Eva Kraus, Intendantin der Bundeskunsthalle, präsentiert gemeinsam mit Kolja Reichert ein chronologisch sortiertes Panoptikum der Kunst und Lebensart der Jahre 1967 - 1992.
Bundeskunsthalle zeigt mit „Alles auf einmal“ die Postmoderne
Was war sie denn nun, die Postmoderne? Ein Stil, eine Epoche, ein politisch-intellektueller Diskurs, eine eskapistisch-glamouröse Sub- und Popkultur? Es war jedenfalls „eine ganz fantastische Zeit“, so Eva Kraus zusammenfassend, „in der Vieles entstanden ist, das uns heute betrifft“ – in der Architektur, in Mode und Design, Musik, Tanz, Entertainment, ein neuer, anderer western way of life, der 1992 in die „Spaßgesellschaft“ mündete.
Nach der Postmoderne-Rückschau des Londoner Victoria & Albert Museums im Jahr 2011 versucht Bonn also, noch einmal alles zusammenzuführen: die emanzipatorischen Ambitionen der Postmoderne und ihre Degeneration als Konsumkultur.
Und tatsächlich versucht die Ausstellungsinszenierung des bekennenden Postmodernisten Nigel Coates das Versprechen „alles auf einmal“ auch einzulösen: mit Fotografien, Sequenzen aus TV-Serien, Musik- und Tanzvideos, Mode-Accessoires, Memphis-Interieurs, Architekturmodellen und -entwürfen insbesondere aus dem Frankfurter Architekturmuseum, mit den Büchern und Thesen der französischen Poststrukturalisten und der amerikanischen Kulturphilosophen, die den Tod des Autors ausrufen, den Sieg der Erlebniskultur über den langweilenden Rationalismus, das Spiel von Sample, Remix und Kopie. Der Ausstellungskatalog versucht, die Postmodern begrifflich zu fassen und liefert so viele Thesen wie die Ausstellung Exponate.
Alles zwischen Warhole, Versace und Ridley Scott
Der Zeitreisende tritt durch eine Filmwand mit frühen MTV-Videos in eine unübersehbare Kulisse: ein Filmset mit über 350 Requisiten der 70er und 80er Jahre. Er trifft auf all die bunt-schrillen, spaßig-hintersinnigen Grenzverwischungen von Kunst und Kitsch, von gutem und schlechtem Geschmack und wandert durch eine absurd anmutende Resterampe, die sich auch als kuriose Fortsetzung der im benachbarten „Haus der Geschichte“ ausgestellten Haushaltswaren betrachten lässt.
Auf Fotografien und in Filmausschnitten begegnet er postmodernen Galionsfiguren wie der breitschultrigen Grace Jones und der Aerobic-Trainerin Jane Fonda, da ist Vivian Westwood und Versace, Warhole und Lagerfeld, Disco und Punk, Cindy Sherman, Ridley Scotts „Blade Runner“ und Arnold Schwarzenegger, der sich – frei nach Joseph Beuys – als Skulpteur seines Körpers inszeniert. In der Postmoderne wird alles zum Material, die Oberfläche verdrängt die Tiefenwirkung. Prominent vertreten: das exzentrisch-dadaistische Möbeldesign von Ettore Sottsass oder Allessandro Mendinis neobarocker Proust Chair. Als Beispiel für die Experimentierfreude und den Aufbruchsgeist im Autodesign wird Citroens Studie „Karin“ gezeigt.
Kunstausstellung beginnt 1967 und geht bis 1992
Die Ausstellung geht mit Kapitelüberschriften wie „Nichts ist mehr real“ oder „Anything goes“ chronologisch vor und beginnt 1967 mit dem „Erwachen der Medien“ und damit von Medienkritik und Medienkunst. Der TV-Zuschauer findet sich im „global village“ wieder, vermeintliche Bildschirm-Realitäten werden zum Thema von Marschall McLuhans Analyse „The Media is the Massage“ oder von Nam June Paiks „Global Groove“. Da ist die Fernsehserie „The Prisoner“ (1967), in der der Einzelne nicht mehr der dystopischen Blase einer Freizeitgesellschaft entkommt. Die Mondlandung als erster globaler Medienevent verändert die Sicht auf den Blauen Planeten. Sie gibt früh Anlass zu Verschwörungstheorien, aber auch Impulse für die Ökologie-Bewegung.
Den „Ruinen der Moderne“ ist der Architektur-Parcours gewidmet: Bauten von James Wines in Sacramento oder Milwaukee mit ihren aufgerissenen Kaufhausfassaden. Da ist Robert Venturis „Guild House“ von 1963, stilprägend für eine Architektur, die munter alle Stile seit der Antike zitiert. Zu sehen sind Dekorationen der Architekturbiennale von 1980, auf der monumentale neoklassizistische Portale präsentiert wurden. Jürgen Habermas war so schockiert, das er vor der Postmoderne als neuem Historismus warnte.
Die Bundeskunsthalle selbst ist das größte Ausstellungsstück
Es ist Schluss mit „Form follows function“. Insbesondere die neue Museums-Architektur wird Stadtikone, Skulptur und Installation so wie Renzo Pianos Centre Pompidou oder Frank O. Gehrys Bilbao-Museum. Und da ist die Las Vegas-Showarchitektur. Modelle zeigen Entwürfe und Realisationen von Hans Hollein oder Charles Moore. Angesprochen werden Stirlings Stuttgarter Nationalgalerie, Ungers Frankfurter Architekturmuseum und Holleins Modellentwürfe für das Frankfurter Museum für Moderne Kunst oder Aldo Rossis Entwurf für das nie realisierte Deutsche Historische Museum Berlin.
Das größte Ausstellungsstück ist freilich die Bundesausstellungshalle selbst, die mit ihren steilen Glashüten und ihrer archaisch anmutender Kunsttempelwand zwar postmodern anmutet, nach Aussage ihres Architekten Gustav Peichl aber nicht postmodern sei. Zu sehen sind auch Peichls Karikaturen zur begrifflichen und konzeptuellen Unschärfe der Postmoderne. Ist sie nun Para Modern, Neo Modern, Late Modern oder einfach nur Modern?
Der Besucher verlässt die Ausstellung durch das Buchcover von Francis Fukuyamas Buchcover „The End of History and The Last Man“ von 1992 – auch über diese Diskussion ist die Geschichte hinweggegangen. Der Besucher ist zurück in der Gegenwart und fragt sich mit den Ausstellungsmachern: Ist die Postmoderne nun tot oder lebt sie noch? Das Interesse an der Postmoderne, sagt Kurator Reichert, sei neu erwacht. Deshalb diskutieren die Katalog-Beiträge die Rolle der Postmoderne für die heutige Identitäts- und Gender-Diskussion, für die Architektur-Debatten zur Frankfurter oder Berliner Stadtrekonstruktion; ihre politische Mitverantwortung für Donald Trumps Populismus und Fake News-Strategien, für die Putin-Propaganda gegen den sogenannten westlichen Liberalismus und Relativismus des „Anything goes“. Der Besucher ist ratlos, aber gut unterhalten, jedenfalls alles auf einmal.
Zur Ausstellung und dem Katalog
Alles auf einmal: Die Postmoderne, 1967 - 1992. 29. September 2023 bis 28. Januar 2024 in der Bundeskunsthalle Bonn. Museumsmeile Bonn, Helmut-Kohl-Allee 4, 53113 Bonn.
Katalog: Alles auf einmal. Die Postmoderne, 1967–1992 mit Beiträgen von Nikita Dhawan, Oliver Elser, Gertrud Koch, Eva Kraus, Sylvia Lavin, Kolja Reichert, Lea-Catherine Szacka. Interviews mit AA Bronson, Joseph Vogl und Moritz Schularick, Neville Brody, Denise Scott Brown, Kevin Driscoll. 288 Seiten, 500 Abbildungen. Museumsausgabe: 39 €