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Ausstellung in DüsseldorfLars Eidingers Liebe zum scheinbar Unscheinbaren

Lesezeit 3 Minuten
29.08.2024, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Lars Eidinger, Schauspieler, steht in den Räumen seiner Ausstellung. Die Kunstsammlung NRW zeigt vom 31.08.2024 bis zum 26.01.2025 die erste museale Einzelausstellung des Schauspielers mit Fotografien und Objekten.

Lars Eidinger steht in den Räumen seiner Ausstellung in der Kunstsammlung NRW.

„O Mensch“ nennt der Schauspieler Lars Eidinger seine Ausstellung, die jetzt in Düsseldorf zu sehen ist.

Das Logo auf der Hauswand ist nur zur Hälfte von dem neuen Wandanstrich übermalt, seine rebellische Botschaft ist noch auszumachen für diejenigen, die das eingekreiste A als Symbol für Anarchismus erkennen (Heidelberg, 2020).

Ein gelb gekennzeichnetes Rechteck mit einem rot-weißen Markierungspfosten vor dem Haus unterbindet das wilde Parken; das Gebäude, langweilig, kalt und unlebendig, ist von rechten Winkeln dominiert. Auf einem anderen Bild (Cleveland 2021) heben die Wurzeln eines Stadtbaums die darüber gemauerten Ziegel an und verspotten das strenge Raster. Ein Soldat in dunkelgrüner Tarnkleidung sitzt müde zusammengesunken vor einem Banner, das einen grünen Pflanzendschungel zeigt (Paris, 2021).

Unter der Titel „O Mensch“ zeigt die Kunstsammlung NRW im K 21 eine Ausstellung etwa 100 Fotografien, 12 Videos und einen älteren Super-8-Film des Berliner Schauspielers Lars Eidinger. Der läuft seit vielen Jahren schon mit seinem Handy oder einer Spiegelreflexkamera durch die Welt und fotografiert scheinbar nichtssagende Ausschnitte unserer Gegenwart, Bilder von eingefriedeter Natur, bizarren Bausünden, von absurden, oft „menschenfeindlich gestalteten Stadtmöblierungen“, von träger Gleichgültigkeit. Und immer wieder Menschen, Menschen miteinander oder alleine, mit Masken und bunter Kleidung, in einsame Beschäftigungen oder ihre Gedanken vertieft. Manchmal schlafen sie. Manchmal sind sie arm, das sieht man dann auch.

Lars Eidinger ist genervt davon, immer nur in der Schublade „Schauspieler“ festzustecken

All die Situationen, die er mit seiner Kamera gewissermaßen am Wegesrand pflückt, sind Fundstücke, Alltagsdinge und unspektakuläre Szenen. Dieses Konzept, das heute längst selbstverständlich und weitverbreitet ist, hat eine lange Tradition in der Kunstgeschichte: das Unscheinbare, Reizlos-Alltägliche zu etwas Ausgezeichnetem zu erklären, es näher in den Blick zu nehmen, es zu betrachten. Nicht nur die niederländische Genremalerei des 17. Jahrhunderts hat den Alltag als bildwürdig erkannt und zu Kunst gemacht.

Vor annähernd fünfzig Jahren, 1975, fand im George Eastman House in Rochester, New York, dem ältesten Fotomuseum der Welt, eine Gruppenausstellung statt, die niemand sehen wollte. Heute gilt sie als eine der wichtigsten Fotografie-Ausstellungen des späteren 20. Jahrhunderts: „New Topographics. Photographs of a Man-altered Landscape“ (Fotografien der vom Menschen veränderten Landschaft).

Lars Eidinger, Montreux, 2019, ein Mensch mit einer großen Plüschbären-Maske auf dem Kopf sitzt an einem Kai

Lars Eidinger, Montreux, 2019, C-Print

2024 werden, anders als damals, vermutlich etliche Menschen nach Düsseldorf kommen, um die Ausstellung „O Mensch“ zu sehen. Lars Eidinger ist eben schon sehr bekannt, seine signierten Fotobücher äußerst begehrt. Doch selber ist er wohl etwas genervt davon, immer nur in der Schublade „Schauspieler“ festzustecken. „Warum, fragt er, kann ich nicht auch Fotograf sein? Oder morgen womöglich etwas ganz anderes?“ Zum Beispiel Discjockey?

Die Schau in Rochester war eine Ode an das Gewöhnliche, eine Feier des Wohlbekannten, hatte sie doch die unspektakulären Ecken der urbanen und halburbanen Alltagswelt und die Ränder der Landschaft zum Motiv.

Es war nicht mehr die erhabene Natur, sondern die zu habende moderne Welt, die damals, 1975, ins Visier geriet. Ganz ähnlich wie Lars Eidinger heute die unscheinbaren Situationen und Szenen auf seinen Wegen durch die Stadt festhält. Auch das ist unsere Welt, unnütz abbiegende Handläufe oder eine Taube auf einer Schulter, ein einzelnes geöffnetes Fenster in der Hochhauswand, gerne auch ein bisschen Schmutz und Armut oder eine Ordensschwester, die die gelbe Tonne rausbringt.

Es kommt einem seltsam fremd und doch vertraut vor und ist wohl auch eine Anregung, innezuhalten und etwas genauer hinzusehen. Auf die Bilder, auf die Filme, auf die uns umgebende Welt. Das ist ja eigentlich das, was Bilder, was Fotografie, was Kunst macht: Sie fordert uns auf, hinzuschauen.


Lars Eidinger: „O Mensch“, 31. 8. – 26. 1. 2025, Düsseldorf Kunstsammlung NRW K 21, Di-So 11-18, www.kunstsammlung.de