Der katalanische Choreograf Marcos Morau inszeniert Strawinskys Klassiker „Le Sacre du Printemps“ als Kommentar zum Klima-Suizid.
Ballett am RheinDüsseldorf tanzt die Apokalypse
Früher sollen – so will es Strawinskys „Sacre“-Legende – für einen furchtbaren Frühling noch Menschen geopfert worden sein. Heute verzichten wir für eine sprießende Natur nicht mal mehr auf einen SUV. Was also soll das Opfer in einem „Sacre du Printemps“ überhaupt noch sein? Der apokalypsen-vernarrte Katalane Marcos Morau hat angesichts unseres langsamen Klima-Suizids einen ultimativ nihilistischen „Sacre“ inszeniert: kein Sinn, keine Hoffnung, kein Leben. Die Bühne zeigt eine kalt-graue Stein-Schlucht, in der die Natur längst ausgelöscht ist. Auch der Mensch ist hier mehr tot als lebendig, eine seelenlose Kreatur in ihren letzten Zuckungen.
Die Tänzerinnen und Tänzer packen und schütteln sich, klappen exakt auf den Beats die Oberkörper hoch, schlängeln sich vom Kopf aus wie Reptilien. Das ist so effektvoll, wie einfallslos. Ein durch-choreografierter Rave, der sich wenig auf die komplexe Struktur der Komposition einlässt und für den es sicher nicht einen so fein-getunten Tanztrupp wie das Ballett am Rhein gebraucht hätte. Immerhin: die durften davor in Teil eins und zwei dieses mit „Sacre“ übertitelten, dreiteiligen Abends ihr Können zeigen.
Ballerinen-Beine wie tödliche Stachel
Etwa als männermordendes Matriarchat in Jerome Robbins Ballett „The Cage“. 1951 kreierte Robbins seine Miniatur über ein weibliches Insektenvolk, das jeden männlichen Eindringling tötet. Spitzenschuh-Tänzerinnen, die die Arme eckig an die Seiten falten als wären sie die Fang-Gliedmaßen von Gottesanbeterinnen. Ballerinen-Beine wie tödliche Stachel, weit aufgerissene Münder. Zweimal wagt sich ein Mann zum Pas-de-Deux zu den 14 Frauen auf die Bühne.
Für einen kurzen Moment verheißt er eine erotische Verlockung. Doch der Killerinstinkt ist stärker. Ratzfatz endet sein Genick zwischen mörderisch quetschenden Schenkeln. Tödliches Speed-Dating in nur 15 Minuten. Man weiß zwar nicht genau, ob das jetzt eher eine misogyne Männerfantasie ist oder doch sarkastische Frauen-Power – in jedem Fall aber ist diese Ballett-Insekten-Mimikry grandios gut choreografiert. Immer auf der Kippe zwischen Grazie und Groteske, jede Bewegung eine Pointe.
Diese inhaltliche Präzision wollte Ballettdirektor Demis Volpi im Mittelteil des Abends dann offenbar gar nicht, wie er sich überhaupt ziemlich absetzt von den beiden makabren, dystopischen Kollegen. Sein Stück „Das Ding mit Federn“ spielt an auf eine Verszeile der amerikanischen Lyrikerin Emily Dickinson und meint „Hoffnung ist das Ding mit Federn“. Ein Ballett über ein unverwüstliches Gefühl also zum Alterswerk von Richard Strauss, den „Metamorphosen für 23 Solostreicher“, 1945 als Reflex auf die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs komponiert.
Dem sanften Wogen der Musik, live gespielt von den Düsseldorfer Symphonikern, entflieht Demis Volpi mit hingehuschter Athletik – schnell und ohne Posen, womit seine Bewegungsfantasie im Grunde verschwendet ist. So schmerzhaft-schön sein Hoffnungs-Ballett sein mag, so wenig hinterlässt es doch Spuren im Gedächtnis. Flüchtiger Optimismus zwischen Killer-Bräuten und Armageddon-Zombies. Das ist unterhaltsam und durchweg toll getanzt, aber verlangt unsere Gegenwart nicht nach mehr?
Nächste Termine: 19., 21., 28., 5., Opernhaus Düsseldorf