Das Gürzenich-Orchester gibt am 27. April ein Konzert zugunsten von „wir helfen“ mit großartigen Nachwuchsstars.
Benefizkonzert für „wir helfen“Eine Plattform aufsteigender Jung-Genialität

Nachwuchs-Dirigentin Tabita Berglund
Copyright: Nikolaj Lund
Soll man die russische Kultur in Geiselhaft für Wladimir Putin nehmen? Nein, das soll man nicht, und es geschieht ja auch hierzulande nicht. Jedenfalls nicht ausweislich der Agenda des klassischen Musikbetriebs, auf der die großen russischen Komponisten von Tschaikowsky bis Schostakowitsch in unverminderter Dichte präsent sind - bei aktuellen russischen Künstlern hängt es stark davon ab, wie sie sich zum Angriffskrieg ihres Landes gegen die Ukraine positionieren.
Mit Rachmaninows zweitem Klavierkonzert und Tschaikowskys sechster Sinfonie, der „Pathétique“, hat das diesjährige Benefizkonzert des Gürzenich-Orchesters am Sonntag, 27. April (Beginn: 11 Uhr), zugunsten der „Kölner Stadt-Anzeiger“-Aktion „wir helfen“, sogar ein rein russisches Programm.
Hat irgendjemand Probleme damit? Die Dirigentin des Konzerts, die junge Norwegerin Tabita Berglund, hat jedenfalls keine: „Ich bin mir ziemlich sicher“, äußert sie im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, „dass beide, Tschaikowsky und Rachmaninow, wenn sie noch lebten, Putin zum Teufel schicken würden“.
In der Fachwelt wird Berglund, 1989 in Trondheim geboren, als „eine der aufregendsten, talentiertesten und gefragtesten jungen Dirigentinnen der Gegenwart“ gehandelt. Sie begeistere „mit ihrer wachen, charismatischen und inspirierenden Art, die ihr ein außergewöhnliches Musizieren“ ermögliche. Sieht man sich im Internet Videoaufnahmen mit ihr an, wird man das verbreitete Urteil bestätigen müssen: Berglund verfügt über eine ausgezeichnete, präzise und differenzierte Schlagtechnik, die musikalische Emotionalität suggestiv in herausragendes Handwerk übersetzt. Da weht auch erkennbar der Geist ihrer berühmten Lehrer, deren Studiengänge und Meisterklassen sie besuchte: Ole Kristian Rudd, Bernard Haitink, Jorma Panula, Jaap van Zweeden.
Das Konzert ist Tabita Berglunds Einstand beim Gürzenich-Orchester
In der Saison 2024/25 beginnt die Norwegerin ihre vierjährige Amtszeit als Erste Gastdirigentin des Detroit Symphony Orchestra und ab 2025/26 hat sie dieselbe Funktion bei der Dresdner Philharmonie inne. Auf beide Positionen wurde sie jeweils gleich nach ihrem Debüt bei den Orchestern berufen. Zu den Höhepunkten der Saison 2024/25 gehören eine Europatournee mit dem Orchestra della Svizzera italiana, ihr Asien-Debüt mit dem Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra und ihr erster Auftritt bei den Salzburger Osterfestspielen mit dem Mozarteumorchester.
Und, selbstredend, ihr Einstand beim Gürzenich-Orchester. Beide, Dirigentin und Orchester, sind also bislang füreinander noch „weiße Blätter“. Berglund sieht das nicht als Nachteil, auf ihrer Seite jedenfalls herrsche eine weder durch eigene Erfahrungen und Erwartungen noch durch fremde Urteile eingeschränkte Offenheit: „Die Erstbegegnung mit einem Orchester ist ähnlich der Situation, in der man eine neue Person kennen lernt.“
Naheliegend weiß sie um die geschichtlich definierte Gürzenich-Tradition, um die Verwurzelung der Formation in der deutschen Romantik und ihrer Klangkultur – immerhin hat sie Werke von Brahms, Strauss und Mahler aus der Taufe gehoben. Hier liegt aber, wie sie sagt, für sie überhaupt keine Schwierigkeit, denn mit dieser Tradition ist sie aus ihrem ersten Musikerleben gut vertraut: Tabita Berglund studierte nämlich vor dem Fach Orchesterdirigieren an der Norwegischen Musikakademie bei ihrem illustren Landsmann Truls Mørk Cello, spielte, bevor sie sich vor allem auf das Dirigieren konzentrierte, regelmäßig mit den Philharmonischen Orchestern von Oslo und Bergen sowie mit den Trondheim Soloists: „Die Klangwelt dieses romantischen Repertoires bestimmte einen großen Teil meiner Musikerkarriere.“

Alexander Malofeev
Copyright: Liudmila Malofeeva
Das Programm des Benefizkonzerts? Zu Tschaikowskys sechster Sinfonie, dem letzten großen Werk des Meisters, der kurz nach der Fertigstellung einer Cholera-Erkrankung zum Opfer fiel, hat Berglund eine besondere, persönlich geprägte Beziehung: „Meine erste Bekanntschaft mit diesem Werk erfolgte in einer für mich besonders unangenehmen Dirigier-Meisterklasse. Der Lehrer war nicht sehr nett zu meinen Kommilitonen und machte sich über sie noch vor dem Orchester lustig. Ich wurde wütend darüber, durfte das aber nicht zeigen. Als ich dann dirigieren sollte, war ich innerlich am Kochen. Dabei hatte ich keine andere Möglichkeit, als das durch die Musik selbst auszudrücken. Und siehe da: Es hat funktioniert.“
Der russische Shooting-Star Alexander Malofeev tritt ebenfalls auf
Solche Erinnerungen gibt es hinsichtlich des Rachmaninow-Klavierkonzerts nicht. Diesbezüglich ist für sie alles auf Zukunft gestellt – und das meint im konkreten Fall die erstmalige Zusammenarbeit nicht nur mit dem Orchester, sondern auch mit dem Solisten, dem russischen Shooting-Star Alexander Malofeev. Der, 2001 in Moskau geboren, ist sogar noch zwölf Jahre jünger als die Dirigentin – das Benefizkonzert wird dadurch nicht zuletzt zu einer Plattform aufsteigender Jung-Genialität. In Malofeevs Fall kehrt indes naheliegend die Russen-Problematik, um sie einmal platt so zu nennen, wieder.
Mit gerade mal 13 gewinnt er den Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb für junge Musiker in Moskau – Startschuss für eine internationale Karriere. Die wird dann durch Putins Einmarsch in die Ukraine arg geknickt – Konzerte mit ihm werden abgesagt, weil er Russe ist. Er spricht sich jedoch nachdrücklich gegen die russische Aggression aus, von der auch seine Familie in der Ukraine betroffen ist – ihm bleibe nur „Beten und Weinen“. Malofeev geht ins Exil, siedelt nach Berlin über, wo er sich unter den vielen Russen und Ukrainern mittlerweile einigermaßen zuhause fühlt: „Es ist ziemlich krass, wie musikalisch Berlin ist.“
Benefizkonzert zugunsten von Kindern und Jugendlichen in Not
Das „Herzenssache“-Benefizkonzert des Kölner Gürzenich-Orchesters zugunsten von „wir helfen“ findet am Sonntag, 27.4., um 11 Uhr in der Kölner Philharmonie, Bischofsgartenstraße 1, in 50667 Köln-Innenstadt, statt. Eine Einführung in das Konzert gibt es um 10 Uhr. Auf dem Programm stehen Sergej Rachmaninows Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 c-Moll op. 18 und Peter Iljitsch Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 CS 27, besser bekannt als „Pathétique“. Mitwirkende sind das Gürzenich-Orchester Köln, Alexander Malofeev (Klavier) und Tabita Berglund (Dirigentin)
Tickets ab 20 Euro gibt es online unter www.guerzenich-orchester.de