Benjamin von Stuckrad-Barre„Wenn ich Sat.1-Komiker angucke, werde ich tieftraurig“
Herr von Stuckrad-Barre, „Alle sind so ernst geworden“, versammelt Gespräche zwischen Martin Suter und Ihnen. Haben sie sich tatsächlich in einem Hotel in Heiligendamm an der Ostsee kennengelernt? In Badehosen?
Benjamin von Stuckrad-Barre: Ja genau und wirklich in Badehosen. Das ist eine zumindest für Martin Suter ungewöhnliche Kleidung.
Das wäre schon das Cover-Foto gewesen, oder?
Stimmt. Schließlich trägt Martin Suter, auch wenn man ihn zu Hause besucht, eigentlich immer Dreiteiler und Krawatte. Und auch ich finde es seltsam, in kurzer Hose jemanden kennen zu lernen. Obendrein mit nacktem Oberkörper – da ist dann eigentlich schon alles egal, und das also war unser Start. Ein guter! Denn genau wenn irgendetwas nicht klappt, die Inszenierung zusammenkracht, entsteht Wahrheit. Es war alles ein bisschen absurd und peinlich. Er war schon leicht angetrunken, von irgendeiner Bude kam sehr laute Rummsmusik. Wir haben dann einfach angefangen zu plaudern und dabei schnell gemerkt: Was auch immer das hier gerade ist, das ist interessant, lass uns das mal aufnehmen.
Sie haben wirklich von Anfang an das Band mitlaufen lassen?
Ja, wir haben uns vormittags kennen gelernt und nachmittags direkt losgelegt. Und diese Gespräche über nichts und somit alles, die haben wir dann regelmäßig fortgeführt, über einen Zeitraum von zwei Jahren. Mal in Berlin, mal in der Schweiz, auch abermals an der Ostsee. Dann haben wir das alles verschriftlicht und damit ging natürlich die Arbeit erst richtig los, denn wenn man ein Gespräch wirklich nur transkribiert, dann sagt der Duden: Moment mal! Ganz furchtbar ist in der Kunst ja sowieso der Begriff des Authentischen. Es muss natürlich gestrichen, komponiert, geschliffen werden – der Text ist der Chef. Nicht die Wirklichkeit, sondern die Wahrheit.
Lesung am 16. September
Benjamin von Stuckrad-Barre, geboren 1975 in Bremen, gelang gleich mit seinem Debüt „Soloalbum“ (1998) der Durchbruch als Autor. Im autobiografischen Roman „Panikherz“ (2016) schildert er seine Drogensucht.
„Alle sind so ernst geworden“, sein gemeinsamer Gesprächsband mit Martin Suter ist im Diogenes Verlag erschienen, 272 Seiten, 22 Euro
Am 16. September lesen von Stuckrad-Barre und Suter im Gürzenich in Köln. Karten zu 37,75 Euro gibt es bei KölnTicket.
Die Gefahr ist nur, dass einem der schriftstellerische Ehrgeiz das Mündliche verdirbt.
Ja, darin besteht dann die Arbeit – man muss es so schreiben, dass es gesprochen klingt, dass nicht das Papier raschelt beim Lesen. Lesbar muss es sein, aber auch ein bisschen fehlerhaft, um die Beiläufigkeit zu rekonstruieren, und das heißt ab und zu: Tschüss, Logik! Ciao, liebe Hilfsverben! Wir haben übrigens erst nach zwei Jahren, angesichts der Fülle der Gespräche, beschlossen, nein, begriffen, dass das ein Buch ist. Es beschreibt eine Zeitspanne, und die Texte haben etwas gemeinsam, nämlich den Beschluss, mal den Rollladen vorm Weltgetöse zuzumachen.
Warum?
Weil die Apokalypse um uns herum ja größer nicht sein könnte. Andererseits haben Martin und ich beide festgestellt, dass wir uns an gar keine Zeit erinnern können, in der das nicht so war. Trotzdem denkt man immer: So schlimm wie jetzt war es noch nie. Ich finde es angenehm, wenn Menschen die Grenzen ihrer eigenen Kompetenz kennen. Sie kennen das, wenn Menschen innerhalb von Stunden von Virologen zum Afghanistan-Experten umschulen. Es genügt doch, wenn Leute, die davon etwas verstehen, diese Sachen besprechen. Es ist nicht nötig, da auch noch mitzuplärren. Wir wollen lieber kurz zur Seite treten und dem Leser ein Gegenangebot zum Dauerbombardement der unmittelbaren Gegenwart machen. Damit er anschließend vielleicht wieder etwas erfrischter und wacher auf diese gucken kann.
Warum auch sollten Sie am Swimmingpool die Weltkonflikte lösen können?
Diese Daueraufgeregtheit befindet sich oft auch im Bereich des Lächerlichen. Was ist heute wieder dran? Bahnstreik. Ich bin stinksauer, das auf jeden Fall – aber auf wen noch mal aktuell? Mal gucken, ich labere aber schon mal los – diese Haltung ist ja sehr trübtassig. Gerade sich zu allem zu äußern, finde ich den zynischeren Vorgang, der diese Probleme auch banalisiert und vereinheitlicht, indem ein identisches Erregungslevel gehalten wird und nur angepasst wird auf den jeweiligen Anlass.
Gegen Günter Grass
Was Sie im Buch Günter Grass vorwerfen.
Grass war in meiner Jugend so vorgegeben, als der große deutsche Schriftsteller. Ich fand ihn immer unlesbar. Die Sprache schlecht, und er als öffentliche Figur unangenehm und lächerlich, so ein SPD-Hampelmann. Als dann auch noch herauskam, dass dieses ganze Bescheidwissertum, dieses Den-Deutschen-ins-Stammbuch-Schreiben, der große Mahner sein, vor allem ein doch arg aufdringlicher Umgang mit der eigenen Schuld war, eine Umleitung! Er hat sich ja wirklich jederzeit zu allem geäußert, der allzuständige Schriftsteller. Eigentlich prähistorisches Twitter. Wenn Günter Grass jetzt noch leben würde, würde der gerade gleichzeitig Letztgültiges über das Gendern, den Wahlkampf, Afghanistan, den Nahen und auch Fernen Osten und über die Drittimpfung von sich geben. Über all das wüsste der ganz genau Bescheid. Und wenn jemand alles weiß, dann weiß er gar nichts.
Sie fordern dagegen „eine Verteidigung der Unbeschwertheit“. Hat sich der Ernst gelegentlich durch die Hintertür hereingeschlichen und musste herausredigiert werden?
Nö. Ich habe mich zwar selbst ein bisschen dafür geschämt, wie ich mich, kaum dass etwas potenziell Trauriges, Schweres aufkommt, in den Unsinn hinein fliehe. Durch den Gegenangriff mittels gezielter Albernheit wird ja gerade auch eine Traurigkeit sichtbar. Da wusste der Text manchmal mehr als ich selbst, und das wiederum finde ich eben gut. Eine schöne alte Regel besagt, man soll das Ernste unernst besprechen und umgekehrt. Das ist eine Haltung zur Welt, die mir auch im Alltag sehr nützt: Wenn es mir besonders schlecht geht, das Komische darin zu sehen. Das hilft, damit man nicht einfach vom Dach springt. Andererseits machen mich Sachen, die dezidiert lustig gemeint sind, oft tieftraurig. Wenn ich mir etwa einen deutschen SAT.1-Komiker angucke.
Sie versuchen einmal, eine Minute lang gemeinsam zu schweigen – und scheitern daran grandios.
Martin hätte das geschafft. Der ist Stoizist. Dieses Buch erzählt auch eine Liebesgeschichte, die Entstehung einer tiefen Freundschaft. So ein Hotel ist ja wunderschön, aber was macht man denn nun in dieser Schönheit? Ich war wahnsinnig froh, immer wieder zu Martin hochgehen zu können, der eine Etage über mir wohnte, und wir wieder spielen konnten, so nannten wir unsere Sessions: Spielen. Absichtslos. Herrlich.
Lob der Oberfläche
Auf den ersten Blick könnten sie beide kaum unterschiedlicher sein. Täuscht die Oberfläche?
Die Oberfläche ist zunächst ja mal alles was man hat. Die steht ja ein bisschen zu Unrecht in Misskredit. Wenn man sich kennenlernt, hat man ja zunächst nur die Oberfläche im Kopf. Ich dachte mir also: Oh Gott, dieser Schweizer Millionär, der in der Bestsellerliste da immer vor einem herumnervt. Und dann sind die Bücher auch noch gut, Unverschämtheit. Es ist eine Frage der Perspektive. Schaut man uns innerhalb des Literaturbetriebs an, denkt man: Das ist ein seltsames Paar. Wenn man den Zoom etwas weiter aufzieht, sieht man: Wir haben den selben Beruf, haben einen ähnlichen Humor, misstrauen beide den gängigen Tiefsinnssimulationen unserer Branche...
... wissen sich beide elegant zu kleiden...
...stehen beide lieber am Rand, da ist es ja gemeinhin lustiger. Tatsächlich sind wir uns näher, als auch wir selbst es zunächst angenommen hatten. Es ist ja eine ewige philosophische Frage, ob man in der Liebe nun das total Andere suchen soll, oder jemanden, der so ist wie man selbst. Man hat ja im Laufe seines Lebens für und gegen beides schon Beweise gesammelt. Wäre man komplett gleich, aber das gibt es ja gar nicht, käme sicher nichts dabei heraus. Es braucht schon einen Unterschied, einen Widerspruch, um sich im Anderen zu erkennen.
Wären sie beide keine Autoren, sondern ein Komikerduo, gäbe Martin Suter den „straight man“.
In der Nachbereitung hatten wir auch Spaß damit, diese Unterschiede nicht einzuplanieren, sondern noch deutlicher herauszustellen. Da ist Suter zum Glück genauso schamlos wie ich an der Pointe interessiert. Ein Leser hat etwas Wunderbares gemacht, der hat Diagramme erstellt, mit dem jeweiligen Wortanteil. Ich rede mich in allen Gesprächen um meinen Kopf und um Martin Suters Krawatte, mit einer Ausnahme: Im Kapitel über LSD hat er einen deutlich höheren Wortanteil. Da käme man von der Oberflächenbetrachtung her im Vorhinein jetzt auch nicht unbedingt drauf.
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Noch ein Unterschied: In ihren Büchern erfährt man quasi alles über sie. Martin Suter schickt seinen Ermittler Allmen vor, oder seinen Kolumnenhelden Geri Weibel.
Die Leute vom Diogenes Verlag, bei dem Martin Suter all seine Bücher veröffentlicht hat, kennen Martin seit über 25 Jahren. Durch unser Buch, sagten mir viele Mitarbeiter des Verlags, haben sie so viel über ihn erfahren, wie noch nie.
Was war für Sie das Überraschendste, das Sie von ihm erfahren haben?
Also die LSD-Geschichte hat mich begeistert. Dass er „Die dunkle Seite des Mondes“, ein tolles Buch, in dem Drogen eine große Rolle spielen, schreiben konnte, ohne jemals welche zu nehmen, bis auf Kiffen. Das konnte ich mit meinem ja doch eher, sagen wir: erfahrungsgesättigten Ansatz gar nicht glauben, dass der sich das ausgedacht hat, weil es so echt wirkt, so wahr ist. Und dann die Erkenntnis: Ach so, der ist ja Schriftsteller, stimmt. Dass ihn aber auch noch Albert Hoffmann, der Erfinder des LSD, auf dieses Buch hin eingeladen hat, weil er diese Schilderungen so toll fand! Sehr überraschend. Was mich auch noch begeistert hat, ist, dass er schon im Alter von sechs Jahren die Marke Martin Suter gepflegt hat, indem er eine Geisterbahn in seinem Keller aufgebaut hat, damit bei den Nachbarskindern Geld verdienen wollte und sie „Das MaSut-Bähnchen“ genannt hat, also die Martin-Suter-Bahn.
Wenn Sie alleine Bücher schreiben: Ist das dann ein Dialog mit sich selbst?
Ich lese mir die ganze Zeit laut vor, was ich geschrieben habe. Es ist fast ein Gesang. Ich spreche, um den Rhythmus zu testen, um zu hören, wie läuft, wie schwingt der Satz. Schreiben ist ja ein überaus musikalischer Vorgang. Dass Martin Suter das überhaupt nie macht, auch nicht wenn er mit einem Text fertig ist, das hat mich nachgerade schockiert. Insofern: Ich rede immer. Diesmal war jemand mit dabei. Und der hat sogar was gesagt. Bei den Lesungen versuchen wir, das zu vereinheitlichen. Wir wissen noch gar nicht, wie das geht. Und genau deshalb freuen wir uns sehr darauf.