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Bestseller-Autorin Maja Lunde„Wir steuern auf einen Naturkollaps zu“

Lesezeit 6 Minuten
Die norwegische Autorin Maja Lunde mit Schal vor einem Haus und Bäumen im Schnee.

Die norwegische Autorin Maja Lunde.

Die norwegische Bestseller-Autorin Maja Lunde hat den letzten Roman ihres Klimaquartetts veröffentlicht. Vor ihrer Lesung in Köln haben wir mit ihr gesprochen.

Maja Lunde, Ihr neuer Roman ist jetzt erschienen. Wieso kehren Sie zum Abschluss des Klimaquartetts zurück nach Norwegen, genauer Spitzbergen?

Maja Lunde: Ich war jetzt dreimal dort, um für meinen Roman zu recherchieren, und ich habe bei jedem Besuch buchstäblich gesehen, wie die Gletscher schmelzen. Der Schnee und das Eis haben mich sehr zu dieser Landschaft hingezogen, deshalb wusste ich schon sehr früh, dass das vierte Buch dort spielen würde. Auch, weil es ein Ort ist, an dem man sich als Mensch so klein fühlt, weil die Landschaft überwältigend ist. Es gibt keine Bäume - daher der Titel. Und man kann sehr weit sehen, weil nur zehn Prozent der Landschaft bewachsen sind und der Rest aus Eis besteht. In Spitzbergen kann man die Kraft der Natur spüren.

In "Der Traum von einem Baum" treffen schon bekannte Protagonisten wie die chinesische Arbeiterin Tao auf neue, wie den norwegischen Jungen Tommy und seine Brüder. Sie beschützen einen der größten Schätze der Welt des Jahres 2110. Wieso erzählen Sie einen Großteil des Romans aus dieser jungen Perspektive?

In all meinen Büchern geht es um Verletzlichkeit. Und deswegen fühle ich mich auch zu diesen Waisenkindern hingezogen - ich kann mir nichts Verletzlicheres vorstellen als Kinder, die auf sich allein gestellt sind.

Es ist ein Buch über Mensch und Natur, über Samen und Pflanzen. Über die Beziehung zwischen Eltern und Kindern und es ist definitiv ein Buch über verletzliche Kinder, die zu viel Verantwortung für ihre Umgebung übernehmen. Wenn man dieser Geschichte etwas abgewinnen kann, dann ist das Thema auch ein Spiegelbild dessen, was heute in der Welt passiert. Wir legen viel zu viel Verantwortung auf die Schultern unserer Kinder. Allerdings denke ich, wenn ich schreibe, nicht über die Botschaft, sondern über die Geschichte nach.

Ihr vorheriger Roman handelte schon von Eis und Wasser.

Eben, dann habe ich das Potenzial der Saatgutbank auf Spitzbergen erkannt. Ich war wirklich fasziniert von der Tatsache, dass wir im Inneren des Platåberget, im Permafrostboden, Millionen von Arten finden, die eines Tages vielleicht die Menschheit retten können – ein Schatz in der Mitte des Berges. Dieses Buch ist auch eine Schatzsuche. Mir wurde klar, dass in dieser rauen Landschaft ohne Bäume das perfekte Szenario für ein Buch über Samen, Pflanzen, Bäume - alles was wächst - wäre.

Für mich war das Schreiben dieser vier Bücher eine Suche nach Hoffnung.
Autorin Maja Lunde

Sie reisen für Ihre Recherchen viel, haben mit Forschenden gesprochen und den Botaniker Nikolai Wawilow sogar als Romanfigur aufgenommen. Was fasziniert Sie an Menschen wie ihm?

Ich teile seine Leidenschaft für die Wissenschaft und die Leidenschaft für die Natur. Und er steht auch dafür, das Richtige für die Natur zu tun und das Richtige im Großen und Ganzen zu tun - nicht nur für sich selbst, sich aufzuopfern. Und damit kann sich Tommy total identifizieren, denn er ist jung und hat ein ziemlich geringes Selbstwertgefühl, aber er hat auch diese großartigen Visionen von sich selbst, wie sie vor allem junge Menschen haben können.

Es gibt immer mehr Endzeit-Romane, die in einer apokalyptischen Landschaft unter harten Lebensbedingungen spielen. Wieso haben Sie diese leichtere Vision der Zukunft gewählt, obwohl Sie dennoch die Dringlichkeit, die Natur zu schützen, transportieren?

Das Samenkorn ist etwas extrem Kleines, es verschwindet fast zwischen den Fingern. Auf der anderen Seite kann ein Samenkorn zu einem Wald werden. Das Samenkorn an sich ist also ein so kraftvolles Bild, in ihm steckt so viel Hoffnung. Das ist der Grund, warum ich mich von Anfang an zu dieser Materie hineingezogen fühlte. Auch wenn dieses Buch düster sein kann – ich weiß, dass manche Leser das denken – ist es für mich auch eine Geschichte über Hoffnung. Für mich war das Schreiben dieser vier Bücher eine Suche nach Hoffnung. Die Hoffnung ist in uns. Und ich lasse meine Figuren dieselben Diskussionen führen, die ich beim Schreiben im Kopf habe.

Der Planet als Superorganismus

Über die Buchreihe wird die Idee, zu etwas Größerem zu gehören, das Gefühl von Kollektivität zu einem roten Faden. Was hat dieses Motiv mit Klimawandel zu tun?

Das ist schon in der „Die Geschichte der Bienen“ so: Der Bienenstock ist ein Superorganismus, in dem alle Bienen für den Stock arbeiten und nicht für sich selbst. Und auch in der Welt ist der Planet ein Superorganismus, wir vergessen das nur oft. Alles, was wir tun, wirkt sich auf jemand anderen aus. Ob das nun andere Menschen sind, in der Gegenwart oder in der Zukunft, oder andere Arten. Und aufzugeben und zu sagen, dass wir nichts tun können, ist keine Lösung. Ich glaube, der Polarforscher Robert Swan hat gesagt…

Lunde schlägt den Wortlaut nach.

„Die größte Bedrohung für unseren Planeten ist der Glaube, dass jemand anderes ihn retten wird.“ Und das sagt für mich viel über die Verantwortung aus, die wir alle als Teil eines großen Bienenstocks haben.

Nachdem Sie mehrere Kinder- und Jugendbücher geschrieben haben, sind Sie zu Climate Fiction gekommen. Ist es Zeit, radikaler zu werden?

Wir sollten alle so viel mehr tun, nicht nur privat, sondern auch in unserer lokalen Gemeinschaft, bei der Arbeit. Wir müssen mutigere Politiker wählen. Denn im Moment steuern wir auf Klimaveränderungen zu, die unerträglich sein werden. Wir steuern auf einen Naturkollaps zu. Wir werden so viele der anderen Arten verlieren, mit denen wir unser Klima teilen. Und wir als die stärkste Spezies auf dem Planeten haben eine große Verantwortung, uns um alle anderen zu kümmern.

Im Moment steuern wir auf Klimaveränderungen zu, die unerträglich sein werden.
Autorin Maja Lunde

Kann Nature Writing die Welt retten?

Wissen ist eines der wichtigsten Themen des Quartetts. Die Bibliothek ist fast ein heiliger Raum, sie ist die Kirche in diesen Romanen. Und mehr Wissen darüber zu erlangen, was mit der Welt, dem Klima, der Natur um uns herum geschieht, ist der richtige Weg. Und auch zu lernen, welche Art von Natur uns umgibt, die Namen der Vögel und all der verschiedenen Arten in unseren Gärten, Parks und Wäldern. Wenn wir die Natur lieben, sind wir auch eher bereit, sie zu schützen. Für mich sind Wissen und Naturliebe miteinander verwoben. Aber ich benutze keine Labels, ich nenne meine Romane einfach Romane.

In welcher Beziehung stehen dann Romane wie Ihre zur Realität?

„Der Traum von einem Baum“ ist definitiv ein Buch über den Wert von Wissen, den Wert von Büchern. Ein Großteil der Antworten auf die Natur- und Klimakrise liegt, zumindest für mich, in der Liebe zur Natur. Ich glaube, wir reden zu wenig über die Wertschätzung anderer Arten, die Wertschätzung der Natur. Viele Leser haben mir erzählt, dass sie nach der Lektüre der Geschichte der Bienen in ihren Garten oder ihren örtlichen Park gegangen sind und dort all die Insekten gesehen haben. Ich denke, dass wir die Motivation finden können, die Veränderungen zu beginnen, die wir in der Liebe zur Natur tun müssen.


„Der Traum von einem Baum“ ist der letzte Roman des Klimaquartetts von Maja Lunde. Er ist diesen Donnerstag, 20. April, erschienen. Die Norwegerin wurde mit ihrer „Geschichte der Bienen“ zur Bestseller-Autorin. Es folgten die Bücher „Die Geschichte des Wassers“ und „Die Letzten ihrer Art“. Am 25. April, um 19.30 Uhr, ist Lunde auf Einladung des Literaturhauses im Comedia Theater zu Gast, im Anschluss findet die Premiere der Arte-Dokumentation „Das Phänomen Maja Lunde – Klimawandel als Bestseller“ statt.