Bestseller „Drei Frauen”Das Buch der Stunde über weibliche Sexualität? Sicher nicht
- Lisa Taddeo hat für ihr Buch, das aktuell auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste steht, acht Jahre lang recherchiert, ist mehrfach umgezogen, um den porträtierten Frauen nahe zu sein.
- Sie sprach mit Maggie, Sloane und Lina über deren Kindheit, über die erste Liebe, den ersten Sex, über Verlangen, Enttäuschungen und Ängste.
- Taddeos literarische Reportagen lesen sich wie ein Roman, ziehen schnell in ihren Bann. Aber warum wählte sie gerade diese Frauen aus? Alle weiß, heterosexuell – und erschreckend passiv.
An den Beginn ihres Debüts „Drei Frauen“ stellt Lisa Taddeo eine Jugenderinnerung ihrer Mutter. Diese lebte in den 1960er Jahren in Italien und arbeitete an einem Obststand auf dem Markt von Bologna. Eines Tages folgte ihr ein älterer Mann auf dem Weg zur Arbeit, beobachte sie und masturbierte schließlich, sie immer im Blick. Das wiederholte sich an vielen Tagen. Taddeos Mutter unternahm nichts, um diese Übergriffe zu beenden. Sie ging nicht zur Polizei, sie stellte ihn nicht zur Rede. Warum ließ sie das zu? Warum wehrte sie sich nicht?
Um menschliches Begehren sollte es ursprünglich gehen in diesem Buch, doch die männliche Seite der Lust wurde ihr schnell zu langweilig. Zu ähnlich seien sich die Geschichten, die ihr Männer erzählten, letztlich. „Während die Lust der Männer mit dem finalen Schuss erlosch, flackerte die Lust der Frauen an diesem Punkt gerade erst auf.“ Und so stellte sie die Geschichten dreier Frauen in den Mittelpunkt ihres Textes, der in den USA als Sachbuch erschien, in Deutschland jedoch der Belletristik zugeordnet ist und zurzeit auf Platz 6 der Spiegel-Bestsellerliste steht.
In den USA war „Drei Frauen“ ein großer und überall besprochener Erfolg, einen Schlachtruf nannte es „Time Magazine“. Acht Jahre lang hat Taddeo nach eigenen Angaben an ihrem Debüt gearbeitet, sechs Mal ist sie durch die USA gefahren, hat nach Frauen gesucht, die bereit waren, ihr ihre Geschichte zu erzählen. Tausende Stunden hat sie mit den Frauen verbracht – in persönlichen Gesprächen, Telefonaten, SMS und Mails. Sie zog in die Städte, in denen sie lebten, las Tagebucheinträge und Briefwechsel, sprach mit Freunden und Familienangehörigen. Denn Maggie, Sloane und Lina sind keine Erfindungen. Es gibt sie wirklich. Und es ist erstaunlich, dass Taddeo so viel Vertrauen aufbauen konnte, dass diese bereit waren, ihr ihre intimsten Geheimnisse anzuvertrauen – von ihrer Kindheit und Jugend, von traumatischen Erlebnissen wie einer Vergewaltigung oder dem Selbstmord des Vaters, von erster Verliebtheit, erstem Sex und ersten Enttäuschungen.
Die Geschichte die am längsten in Erinnerung bleibt, ist die von Maggie. Als 17-Jährige beginn sie eine Beziehung mit ihrem Lehrer Aaron. Für das Mädchen, dessen Eltern mit Alkoholproblemen zu kämpfen haben, scheint der einfühlsame, beliebte, verheiratete Familienvater der Retter zu sein. Er hört ihr zu, telefoniert stundenlang mit ihr, schreibt ihr verliebte Anmerkungen in ihre Ausgabe ihres Lieblingsbuchs „Twilight“. Er küsst sie im Keller seines Hauses, befriedigt sie oral, schläft aber nie mit ihr. Doch als seine Frau von der Affäre erfährt, lässt er Maggie fallen. Jahre später leidet sie noch immer unter der Trennung. Sie hat das College abgebrochen, jobbt wieder als Kellnerin, hat Depressionen. Irgendwann beschließt sie, ihn zu verklagen. Dieser Prozess sorgt für viele Schlagzeilen, in denen jedoch hauptsächlich sie den Schwarzen Peter zugeschoben bekommt. Das Flittchen, das sich an dem angesehenen Lehrer rächen will.
Die zweite porträtierte Frau ist Lina. Sie ist Anfang 30, verheiratet, hat zwei Kinder, lebt in einem schönen Haus. Doch ihr Mann Ed küsst sie nicht auf den Mund, berührt sie selten, begehrt sie nicht. Geht es um Sex, muss sie den ersten Schritt machen oder er trommelt mit den Fingern auf ihrem Arm und fragt: „Na, Lust?“ Sie fühlt sich ungeliebt, unbeachtet, nimmt Medikamente gegen ihre Ängste. Irgendwann beginnt sie eine Affäre mit ihrer Jugendliebe Aidan. Der Sex mit ihm ist fantastisch, lässt sie ihren Alltag vergessen: „Sie kann nicht glauben, wie gut er sich anfühlt. Wie sie spürt, auch als sie völlig im Moment versinkt, dass ihre Seele erwacht und zu Gott hinauflächelt, zum ersten Mal dankbar, am Leben zu sein.“
Sloane ist Anfang 40, auch sie verheiratet und Mutter. Mit ihrem Mann Richard führt sie im reichen Newport an der Küste Rhode Islands ein Restaurant. Sloane kommt aus einer wohlhabenden Familie, sieht gut aus, liebt ihren Mann. Und der liebt es, ihr dabei zuzusehen, wie sie mit anderen Männern schläft. Regelmäßig haben sie auch Dreier, schläft Richard vor ihren Augen mit anderen Frauen. Als sie ihm zum ersten Mal dabei zusieht, kommt etwas in ihr zum Stillstand: „Nicht ihr Herz, aber doch etwas, das ihren Körper am Laufen hielt. Sie spürte, wie ihre Seele sie verließ und aus dem Zimmer huschte.“ Doch nach und nach findet auch sie Gefallen an diesen Experimenten.
Taddeos literarische Reportagen lesen sich wie ein Roman, ziehen schnell in ihren Bann. Die Geschichten der drei Frauen, die sich nicht kennen, keine Verbindungen haben, werden kapitelweise erzählt. Wenn eines endet, will man unbedingt wissen, wie es weitergeht. „Drei Frauen“ entwickelt eine große Sogkraft, ist oft schonungslos, schildert den Sex ausführlich. Auch wenn sie sich sprachlich häufig vergaloppiert, etwa wenn Lina sich nach dem Sex wie ein „sanft gehäutetes, brutal ausgeweidetes Kalb“ fühlt.
Es ist gut, dass das Buch in Deutschland nicht als Sachbuch vermarktet wird, denn auch wenn Taddeo jahrelang recherchiert hat – sie weiß nicht, was im Kopf dieser Frauen in sämtlichen Situationen ihres Lebens vor sich geht, welche Gedanken ihnen durch den Kopf gehen. Die Grenze zur Fiktion ist stets fließend. Doch die Frage, ob Tatsachenbericht oder Fiktion ist nicht die entscheidende. Viel eher muss man sich fragen, warum die Journalistin gerade diese drei Frauen auswählt hat. Alle weiß, alle heterosexuell, zwei sind katholisch. Von Diversität keine Spur.
Vor allem aber sind alle drei erschreckend passiv. Sie warten – auf die große Liebe, auf einen Mann, darauf, dass ihr Leben beginnt. Sie ordnen sich und ihre Wünsche, ihre sexuelle Begierde, um die es doch gerade gehen soll in diesem Buch, zu jedem Zeitpunkt den Männern in ihrem Leben unter. Warten, warten, immer nur Warten. Das Wichtigste scheint zu sein, bloß kein Single zu sein. Taddeo selbst gibt im Prolog eine Antwort darauf, warum sie sich gerade für diese Geschichten entschieden hat. Für sie liegt der größte Zauber und der größte Schmerz in den Geschichten, „in denen sich das Begehren nicht steuern ließ, in denen das begehrte Objekt das Geschehen beherrschte.“
Aber ist das wirklich der Kern weiblichen Begehrens? Sollten wir nach all den Diskussionen über #MeToo, über Selbstbestimmtheit und Selbstermächtigung nicht weiter sein? „Sie hat Bock“ heißt ein Buch von Katja Lewina, das am 18. Februar im DuMont Verlag erscheinen wird. Die Frauen in Taddeos Buch haben zwar auch Bock, aber immer in Abhängigkeit von den Männern, denen sie sich unterordnen. „Männer haben die Herzen von Frauen schon immer auf eine ganz bestimmte Weise gebrochen. Sie lieben sie oder lieben sie so halb und fühlen sich irgendwann ausgelaugt und ziehen sich innerlich über Wochen und Monate zurück, verschanzen sich in ihrer Höhle, verdrücken eine letzte Träne und rufen dann nie wieder an. Die Frauen aber warten. Je verliebter sie sind und je weniger andere Option sie haben, desto länger warten sie.“ Ist das so? Hätte es nicht auch andere Beispiele gegeben?
„Du bist die Frau“, sagt Jenny, deren Mann mit Sloane eine Affäre hat. „Weißt du denn gar nicht, dass eigentlich du die Macht hast?“ In Taddeos Buch ist von dieser Macht nichts zu finden. Der Piper Verlag hat das Buch in Deutschland – im Gegensatz zu der Originalausgabe – mit einem Cover herausgebracht, auf dem eine Frau in Unterwäsche zu sehen ist. Warum? Wenn „Drei Frauen“ das „Buch der Stunde über weibliche Sexualität“ ist, wie es der Verlag formuliert, lehrt uns das vor allem eines: Wir haben noch einen langen Weg vor uns.