Erfolgsautor Ferdinand von Schirach veröffentlicht einen kurzen Monolog, um damit auf eine Lesereise mit üppigen Eintrittspreisen zu gehen.
Bestseller „Regen“Warum von Schirach mit seinem neuen Buch Etikettenschwindel betreibt
In seinen beiden Erfolgsstücken „Terror“ und „Gott“ presst Ferdinand von Schirach Zuschauer in die Rolle von Schöffen, präsentiert ihnen ein moralisches Dilemma, zu dem sie sich anschließend nicht zwar äußern, aber immerhin ihre Entscheidung kundtun dürfen, indem sie grüne oder rote Kärtchen heben.
Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn von Schirach in seinem neuen Büchlein „Regen“ – der eigentliche Text umfasst nur 57 groß bedruckte Seiten – einen misanthropischen Zeitgenossen davon berichten lässt, wie er versucht, sich vorm Schöffendienst zu drücken: Unter anderem mit dem Argument, dass ihm das Urteilen über Menschen wie eine große Dummheit vorkomme. Das dachte ich mir damals im Theater auch, aber da war es schon zu spät.
Ferdinand von Schirach will erstmals als Schauspieler auf Tournee gehen
Seltsamerweise wird „Regen“ auf dem Buchumschlag als „Eine Liebeserklärung“ untertitelt, auf einer dem Buch beiliegenden Karte jedoch als das „neue Theaterstück“ des Autors angepriesen. Das werde er auf einer „exklusiven Premierentournee“, 29 Termine von Oktober bis April, „erstmals als Schauspieler“ vortragen.
Ob von Schirach den 57 Seiten langen Monolog für diese Auftritte brav auswendig lernen wird? Womöglich verbirgt sich hinter dem Wortgeklingel doch nur eine ganz normale Lesung, wenn auch zum stolzen Preis von bis zu 88,90 Euro (München, Isarphilharmonie).
Dafür kommt von Schirach seinem Publikum aber auch besonders nahe, in mehrfachen Sinne: Der Ich-Erzähler deckt sich zu 99 Prozent mit dem Autor, von Schirach spielt dann also auf der Bühne sich selbst als literarische Figur und vielleicht ist dieses Spektakel ja mit knapp 90 Euro wirklich nicht zu hoch bemessen.
Um das mit der autofiktionalen Deckungsgleichheit zu behaupten, bedarf es übrigens keiner großen Recherche: Den schmalen Text ergänzt ein fast ebenso langes Interview mit dem Autor, das vergangenes Jahr im SZ-Magazin erschienen ist. Eine Notlösung, denn sonst wären die Buchdeckel dicker gewesen als die Seiten dazwischen.
Im SZ-Gespräch redet von Schirach jedenfalls exakt denselben super-abgeklärten, elegant misanthropischen Mist daher – hier ein Bildungszitat von Epiktet oder Goethe, dort eine zünftige Anekdote von Hemingway und F. Scott Fitzgerald –, den er zuvor seinem Erzähler in den Mund gelegt hat.
Das war freilich schon im ersten Durchgang zu viel des Abgenudelten. Wir heben das rote Kärtchen. Das Dilemma war diesmal gar keines, die Anklage lautet auf Zeitverschwendung.
Ferdinand von Schirach: „Regen: Eine Liebeserklärung“, Luchterhand, 112 Seiten, 20 Euro