Beyoncé und KolleginnenFrauen sind die großen Gewinnerinnen der Grammys
Los Angeles – Stell dir vor, du machst Musik mit deinen beiden Schwestern. Das geht auch ohne Masken, ihr seid eine eingeschworene Virengemeinschaft. Du sitzt also hinterm Schlagzeug und singst, hast die Gitarre rückseitig geschultert, die brauchst du noch für die Bridge. Deine ältere Schwester macht irre Bass-Gesichter, die jüngere versucht, mit einem durchsichtigen Kleid die Show zu stehlen. Es scheppert herrlich, wie im abgerocktesten Club.
Nur dass dir heute Abend Billie Eilish und Harry Styles vom Bühnenrand aus zulächeln und Trevor Noah im Smoking zu eurem Song „The Steps“ vorsichtig Tanzschritte übt.
So gesehen in der Nacht auf Montag in der Übertragung der 63. Grammy Awards. Die Drei-Schwestern-Band Haim, Lokalmatadorinnen aus Los Angeles, war mit ihrem programmatisch betitelten dritten Album „Women in Music Pt.III“ für das Album des Jahres nominiert und spielte, wie die meisten Acts der Gala, auf einer von mehreren kleinen Bühnen im Los Angeles Convention Center.
Stars unter Masken
Publikum vor Ort gab es keines, stattdessen guckten sich die Stars gegenseitig bei ihren Auftritten zu. Die goldenen Grammophone, immerhin die wichtigsten Musikpreise der Welt, wurden auf einer schmalen Freiluft-Bühne vergeben, im Hintergrund leuchtete rot der Schriftzug des Staples Center, wo die Show in nicht-pandemischen Zeiten stattfindet. Die Nominierten saßen sozial distanziert vor Champagnerflaschen, die jeweiligen Gewinner durften ihre Masken abnehmen und vortreten.
„Das größte Outdoor-Event seit dem Sturm aufs Capitol“, scherzte Trevor Noah. Der „Daily Show“-Moderator hielt sich ansonsten aber mit kritischen Bemerkungen zurück und führte enthusiastisch und sachkundig durchs Programm.
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Kein Wort auch darüber, dass mit The Weeknd einer der prägenden Künstler des Jahres 2020 komplett und ohne weitere Erklärung von der Jury übergangen wurde und vor ein paar Tagen angekündigt hat, die Preise in Zukunft zu boykottieren.
Die gute Laune war ja prekär genug. Aber sie hielt. Die vier Stunden versprühten den Charme einer sommerlichen Betriebsfeier, es fehlten eigentlich nur die Lampions. Statt Frau Müller aus der Buchhaltung saßen hier allerdings unter anderem Beyoncé und Jay-Z am mit großem Blumenbouquet geschmückten Tisch.
Der „Carpool Karaoke“-Faktor
Ursprünglich hätte die Gala Ende Januar stattfinden sollen, die Verantwortlichen der Recording Academy verschoben auf Mitte März. Die folgenreichere Entscheidung war jedoch, Ken Ehrlich, der die Show 40 (!) Jahre lang produziert hatte, durch den halb so alten Briten Ben Winston zu ersetzen. Winston zeichnet bereits für ein anderes Format verantwortlich, das scheinbar unantastbare Popstars menschlich und nahbar erscheinen lässt: James Cordens „Carpool Karaoke“.
Unter Ehrlich standen die Grammys vor allem für aufwendig produzierte Shownummern, erstmals nominierte Künstler wurden regelmäßig mit Veteranen des Geschäfts kombiniert. Ab und an entstand auf diese Weise wirklich einer der vielbeschworenen Grammy-Momente, etwa als der für seine homophoben Texte gescholtene Eminem im Jahr 2001 gemeinsam mit Elton John seinen Hit „Stan“ performte. Häufiger wirkten die Alt-Neu-Kombinationen jedoch gewollt, als könnte man dem Publikum aktuelle Künstler nur durch den Filter der Nostalgie zumuten.
Album des Jahres
Im Convention Center (und in einigen vorproduzierten Nummern) durfte die wichtigsten Stars des vergangenen Jahres nun endlich für sich allein stehen: Dua Lipa tanzte sich – mit einer kurzen Rap-Einlage von DaBaby – durch eine Revue-Version ihres wunderbar eskapistischen Disco-Albums „Future Nostalgia“, Taylor Swift sang Höhepunkte von „folklore“, dem ganz nach innen gewandten Gegenstück, zuerst auf dem grasbewachsenen Dach einer einsamen Waldhütte liegend, dann zusammen mit ihren Mitstreitern Aaron Dessner und Jack Antonoff in ebenjener Hütte musizierend, ohne weitere Spezialeffekte. Swift war es dann auch, die wie erwartet den Grammy für das Album des Jahres gewann. Es ist ihre dritte Auszeichnung in dieser Kategorie, sie ist die erste Frau, der das seltene Triple gelungen ist.
Überhaupt waren Frauen die großen Gewinner dieser Awards: Beyoncé konnte Grammy Nr. 25-28 entgegennehmen, wurde damit zur meistausgezeichneten Künstlerin in der Geschichte des Preises und zog gleich mit Quincy Jones. Jetzt muss sie nur noch Sir Georg Soltis 31 Grammys einholen, auch wenn der Vergleich selbstredend schwerfällt.
Billy Eilish lobt Konkurrentin
Die „Best Rap Performance“ für „Savage“ teilte sie sich mit Megan Thee Stallion, die auch als „Best New Artist“ ausgezeichnet wurde, übrigens reichlich spät. Gerechterweise hätte die Rapperin aus Beyoncés Heimatstadt Houston dann auch „Record of the Year“ gewinnen müssen, doch der Preis ging an Billie Eilish und ihren Bruder Finneas für „Everything I Wanted“.
Eilish nutzte ihre Dankesrede, um Megan Thee Stallion über den grünen Klee zu loben: „Können wir nicht einfach Megan hochleben lassen?“ Was an Adeles tränenreiches, an Beyoncé gerichtetes „We fucking adore you“ vor vier Jahren erinnerte. Die Britin hatte sich gegen deren epochales „Lemonade“-Album durchgesetzt, was ihr nun sichtlich unangenehm war. Und das ist der Wermutstropfen in Queen Beys Grammy-Rekord: Mit einer einzigen Ausnahme wurde sie in den Hauptkategorien stets übergangen.
Dass die Grammys inzwischen auf dem richtigen Weg sind, zeigt die Überraschungssiegerin für den Song des Jahres („Record“ zeichnet die Gesamtproduktion, „Song“ die Komposition aus): Die Soul- und R’n’B-Sängerin H.E.R. erhielt den Preis für ihre Black-Lives-Matter-Hymne „I Can’t Breathe“.