Mit sofortiger WirkungSpringer entbindet „Bild“-Chefredakteur Reichelt von Aufgaben
Köln/Berlin – Der Medienkonzern Axel Springer hat am Montagabend mit sofortiger Wirkung „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt von seinen Aufgaben entbunden. Das teilte das Unternehmen in Berlin mit.
Als Folge von Presserecherchen habe der Konzern in den vergangenen Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen. Diesen Informationen sei das Unternehmen nachgegangen. Dabei habe der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt habe.
Neuer Vorsitzender der dreiköpfigen Chefredaktion und Mitglied des sogenannten Bild-Boards wird Johannes Boie, 37, derzeit Chefredakteur „Welt am Sonntag“.
Die „New York Times“ hatte am Wochenende einen langen Bericht über den Berliner Medienkonzern auch mit Blick auf die Pläne zur Übernahme der US-Mediengruppe Politico veröffentlicht. In dem Artikel ging es auch um „Bild“-Chef Julian Reichelt und im Frühjahr erstmals öffentlich bekanntgewordene Vorwürfe gegen ihn. In deutschen Medien war damals von Vorwürfen des Machtmissbrauchs und Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen die Rede gewesen.
Kurze Freistellung im Frühjahr
Der Konzern prüfte dann in einem internen Verfahren Vorwürfe. Springer hatte daraufhin im März mitgeteilt: „Der Vorstand ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es nicht gerechtfertigt wäre, Julian Reichelt aufgrund der in der Untersuchung festgestellten Fehler in der Amts- und Personalführung - die nicht strafrechtlicher Natur sind - von seinem Posten als Chefredakteur abzuberufen. In die Gesamtbewertung sind auch die enormen strategischen und strukturellen Veränderungsprozesse und die journalistische Leistung unter der Führung von Julian Reichelt eingegangen.“ Nach einer befristeten Freistellung kehrte Reichelt wieder zu Deutschlands größter Boulevardzeitung zurück.
Die „New York Times“ erwähnte in ihrem Bericht auch, dass das Investigativ-Recherche-Team bei Ippen – das aus dem früheren Deutschlandteam von Buzzfeed News hervorging – über Monate weiterrecherchiert habe und nun eigentlich eine Veröffentlichung mit weiteren Details geplant gewesen sei. Diese sei dann nach Einwirken des Verlegers Dirk Ippen zurückgehalten worden, wie am Sonntag auch das Medienmagazin „Übermedien“ berichtete.
Das Rechercheteam hatte in einem Brief an Verleger und Geschäftsführung seinen Unmut über die Entscheidung geäußert. Im Netz kursierte das Protestschreiben. Darin heißt es: „Wir haben nach allen Standards der investigativen Recherche gearbeitet und wasserdichte, zur Veröffentlichung geeignete, neue und exklusive Informationen recherchiert.“ Dass die Geschichte nicht veröffentlicht wurde, widerspreche allen Regeln der unabhängigen Berichterstattung. „Die Entscheidung ist eine absolute Verletzung des Grundsatzes der Trennung von Redaktion und Verlag.“
Ippen teilte darauf am Montag mit: „Als Mediengruppe, die im direkten Wettbewerb mit 'Bild' steht, müssen wir sehr genau darauf achten, dass nicht der Eindruck entsteht, wir wollten einem Wettbewerber wirtschaftlich schaden.“
Daher sei die Entscheidung gefallen, jeden Eindruck zu vermeiden, „wir könnten Teil eines Versuchs sein, einen solchen wirtschaftlichen Schaden anzurichten. Damit war das Thema einer Erstveröffentlichung dieser Recherchen vom Tisch.“ Es sei keine leichte oder schnelle Entscheidung gewesen, und „es gab eine intensive Diskussion beider Seiten im Haus. Am Ende ist es aber klar das Recht eines Verlegers, Richtlinien für seine Medien vorzugeben.“ Nun hat eben dieser zurückgehaltene Bericht dennoch Folgen für Julian Reichelt.
Rechtliche Schritte
Der Medienkonzern Axel Springer teilte zudem mit, er werde rechtliche Schritte gegen Dritte einleiten, „die versucht haben, die Compliance-Untersuchung vom Frühjahr mit rechtswidrigen Mitteln zu beeinflussen und zu instrumentalisieren, offenbar mit dem Ziel, Julian Reichelt aus dem Amt zu entfernen und 'Bild' sowie Axel Springer zu schädigen.“ Dabei gehe es insbesondere um die verbotene Verwendung und Nutzung vertraulicher Protokolle aus der Befragung von Zeugen sowie die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen und privater Kommunikation. (mit dpa)