BiografieCornelia Scheel setzt ihrer Mutter ein Denkmal
Im Moment, sagt Cornelia Scheel, fühle sie sich wieder sehr stark als die Tochter ihrer Eltern. Vor allem die Mutter, Mildred Scheel, stünde ihrem Herzen näher als je zuvor: „Ich vermisse sie bis heute. Ihre Wärme. Ihre Klugheit. Ihren Geruch. Die Geborgenheit, die ich bei ihr empfunden habe.“ Und so hat sie eben dieser Mutter, die fünf Jahre lang Deutschlands First Lady war, nach langem Zögern ein anrührendes und sehr persönliches Denkmal gesetzt: „Mildred Scheel – Erinnerungen an meine Mutter“, so der Titel ihres Buches, das an diesem Freitag erscheint.
Cornelia Scheel wird 1963 als Cornelia Wirtz in München geboren. Ihr Vater ist der Filmregisseur Robert A. Stemmle, doch der ist bereits verheiratet. Die junge Ärztin muss die gemeinsame Tochter allein großziehen – ein Skandal im erzkatholischen München jener Zeit. Zwei Jahre verbringt Cornelia in einem Kinderheim, eine Notlösung, die die Mutter ihr bis zum Tode verheimlicht. Als Mildred 1969 Walter Scheel heiratet, adoptiert der FDP-Politiker die inzwischen knapp Fünfjährige. Der ohnehin spärliche Kontakt zum leiblichen Vater bricht gänzlich ab.
„Meine Mutter war ein großartiger Mensch“
Der „schwierige Start“ in ein gemeinsames Leben hat Mutter und Tochter zusammengeschweißt. Ihre Beziehung bleibt bis zum Krebstod von Mildred Scheel im Jahr 1985 eng und herzens-innig. „Meine Mutter war ein großartiger Mensch“, schwärmt Cornelia Scheel im Gespräch mit dieser Zeitung. Jahrelang habe sie mit dem Gedanken gerungen, ein Buch über „diese außergewöhnliche Frau“ zu schreiben: „Aber ich war einfach zu feige dafür und hatte zu großen Respekt.“ Bis eine entfernte Verwandte ihr vor einigen Jahren überraschend eine Kiste mit verlorengeglaubten Kinder- und Jugendfotos der Mutter zuschickt, „ein Himmelsgeschenk“ und gleichzeitig „ein Wink von oben. Jetzt hatte ich keine Ausrede mehr. Ich wusste, ich muss anfangen“.
Knapp zwei Jahre braucht sie für das Projekt, das mehr ist als eine Biografie über Mildred Scheel, die Mutter, Ärztin und Politikergattin. Es ist – man kann das getrost sagen – eine mehr als 200 Seiten umfassende Liebeserklärung an eine engagierte Frau und Mutter, die als Gründerin der Deutschen Krebshilfe auch 30 Jahre nach ihrem Tod in den Erinnerungen vieler Menschen präsent ist.
Lesen Sie im Folgenden, wie Mildred Scheel ihren Mann kennengelernt hat und warum sie zur am schlechtesten gekleideten Frau des Jahres gekürt wurde.
Mildred Scheel sind Kleidervorschriften und protokollarische Feinheiten egal
Mildred Scheel, 1931 in Köln geboren, weiß schon früh, dass sie Ärztin werden will. Als kleines Mädchen begleitet sie den Vater, einen Radiologen, regelmäßig in seine Praxis am Habsburger Ring. Schnippelt ihre Puppen entzwei und spielt mit den „Verletzten“ Frau Doktor. Und wird doch vom Leben in eine ganz andere Richtung gelenkt. 1967 lernt sie als junge Ärztin in einem Sanatorium Walter Scheel kennen. Der zwölf Jahre ältere Politiker erholt sich in Bad Wiessee von einer Nierenoperation. Zwei Jahre später heiratet das Paar. Noch im selben Jahr wird Scheel deutscher Außenminister, 1974 zieht die Familie in die Villa Hammerschmidt in Bonn ein: Scheel ist zum vierten Bundespräsidenten der Republik Deutschland gewählt worden.
Die Tochter erinnert sich an ein Familienleben, das von Empfängen, Staatsbesuchen und dem strengen Protokoll des Bundespräsidialamtes bestimmt ist: „Alles so steif und fein. Für eine Elfjährige ist das alles andere als cool.“ Sie erinnert sich auch an das dröhnende Lachen der Mutter, die sich keinen Pfifferling um Kleidervorschriften und protokollarische Feinheiten schert. „Vorsicht Walter, Scheiße“, schallt es durch das „weiße Haus“ von Bonn, wenn Mischlingshündin Vroni wieder einmal den Teppich in der Eingangshalle zweckentfremdet hat. Die First Lady hat kein Problem damit, in Sandalen zu einem Staatsempfang zu gehen – das lange Kleid verdeckt gnädig den modischen Fauxpas. Und lacht, als sie zur am schlechtesten gekleideten Frau des Jahres gekürt wird.
„Warmherzige Löwenmutter“
Mildred Scheel begräbt in dieser Zeit endgültig ihren Traum von einer eigenen Praxis in Bonn. Stattdessen gründet sie am 25. September 1974 die „Stiftung Deutsche Krebshilfe“. Unermüdlich sammelt sie Spenden, kämpft gegen die Stigmatisierung der an Krebs Erkrankten. Und verschweigt, dass es sie selber erwischt hat. Darmkrebs, lautet die Diagnose, die sie im Juli 1983 erhält. „Meine Mutter war sicher, dass sie die Sache überlebt“, erklärt Cornelia Scheel das Schweigen der Mutter. Doch es soll anders kommen: Am 13. Mai 1985 stirbt Mildred Scheel und hinterlässt nicht nur im Herzen ihrer ältesten Tochter eine Leerstelle, die sich nur schwer füllen lässt.
„Es war während meiner Recherchen für das Buch sehr berührend zu spüren, wie viele Menschen meine Mutter bis heute vermissen“, sagt Cornelia Scheel. Den meisten sei sie als eine lebenslustige, kämpferische und willensstarke Person im Gedächtnis geblieben. Für ihre Tochter bleibt sie die „warmherzige Löwenmutter“, die ihr 22 Jahre ihres Lebens wie ein Fels zur Seite stand.