Boris Becker über Köln„Man kann sündigen, dann beichten und bereuen“
Köln – Herr Becker, Sie sind Fotograf – Interessieren Sie sich auch für andere kulturelle Orte in der Stadt?
Boris Becker: Ja. Da ich aber viel unterwegs bin, komme ich nicht so oft dazu, wie ich möchte, leider. Und insgesamt ist es auch so viel, dass ich gar nicht alles wahrnehmen kann.
Wohin gehen Sie denn gern?
Sehr gern ins Theater, ins Schauspielhaus in Mülheim. Bildende Kunst interessiert mich natürlich, Ausstellungen in Galerien, in privaten und öffentlichen Sammlungen.
Welche Sammlungen meinen Sie?
Das Museum Ludwig, das Kolumba Museum, auch die private Sammlung BRAUNSFELDER. Ich versuche, zu deren Ausstellungseröffnungen zu kommen, schaffe es aber nicht immer. Auch in die Galerien von Gisela Capitain oder von Ulf Larsson gehe ich sehr gern.
Die Künstler zahlten pünktlich und kümmerten sich um alles
Sie hatten sich auch am Ebertplatz engagiert.
Ja, ich habe dort partizipiert, ausgestellt und kuratiert und gehe nach wie vor regelmäßig hin. Denn an solchen Orten zeigt sich die Stadt, wie sie sein kann, wenn Projekträume liegengebliebenes Areal aufnehmen. Das ist keine neue Entwicklung, das ist in Köln seit 40 Jahren so. Ob im Stollwerck, in den Clouth-Werken oder KHD Hallen. In den 80er Jahren war ich auf dem brachliegenden Sidol-Gelände in Braunsfeld. Keiner wusste, was damit geschehen sollte, bis es an Künstler vermietet wurde. Die zahlten pünktlich, kümmerten sich um alles, werteten es damit auf und zogen Publikum an. Bis diese Zeit durch einen Investitionsplan ablief. Die Künstler verschwanden wieder ganz schnell.
Sie sind in Köln geboren und aufgewachsen. Was waren denn besondere kulturelle Orte Ihrer Jugend, als Sie begannen zu fotografieren, mit der Kamera die Gegend zu erkunden?
Ich bin in Dellbrück aufgewachsen, aber schon immer ins Museum Ludwig gegangen. Der Kunstverein in der Kunsthalle im damaligen Josef-Haubrich-Forum am Neumarkt, die sang- und klanglos verschwunden ist, waren eine Anlaufstelle. Auch die Art Cologne war ziemlich wichtig, schon als Schüler war ich da.
Fanden Sie die Ihre ersten Fotomotive in der Stadt?
Eher im Rheinisch-Bergischen. Ich bin nicht auf die andere Rheinseite, also die linke Seite, gefahren, um da zu fotografieren. Ich bin eher weiter hinaus gefahren, in die Braunkohlengebiete, die alten Dörfer, was man heute Lost Places nennt, und habe verlassene Häuser, Ruinen, Landschaften aufgenommen.
Waren Sie mit dem Ort Köln als junger Mensch, als angehender Künstler zufrieden oder liebäugelten Sie mit anderen Städten?
Ich wollte nach Berlin. Das war mir schon alles sehr eng hier. Es gab zwar auch damals ein großes kulturelles Angebot in Köln, was die Untergrundszene anbelangt vielleicht sogar mehr, Ingo Kümmel zum Beispiel hat sehr viel initiiert. Aber in Berlin, dachte ich, passiert wirklich was. Und ich wollte mal aus dem Rheinland weg. Außerdem faszinierte mich die politische Situation in Berlin. Erst als ich merkte, dass ich an der Hochschule der Künste Berlin mit dem Studium der künstlerischen Fotografie nicht weiterkam, ging ich nach Düsseldorf.
Ich fand das Rheinland sehr beschaulich
Haben Sie in Berlin und Düsseldorf bemerkt, was für Köln typisch ist?
Ich fand es in Köln, im Rheinland sehr beschaulich. Alles gesettelt, alles aufgeräumt. In Berlin dagegen, wo ich auf beiden Seiten der Mauer fotografierte, wurde die Spaltung der Stadt zu einem großen Reiz für mich.
Wie haben Sie denn die Lockdown-Zeiten während der Pandemie verlebt?
Ich habe diese Zeit zunächst genossen. Diese Ruhe. Ich musste nirgendwohin und ich musste mich nicht rechtfertigen. Alle sagten zu mir, das sei doch super für mich, die sind Städte menschenleer, jetzt könnte ich endlich Orte ohne Personen fotografieren. Aber ich war gerade dabei, mich mit Orten zu beschäftigen, wo Menschen vorhanden sind. Ich habe das als Wink des Schicksals verstanden, bei meinen bisherigen Motiven zu bleiben. Aber dann bot sich mir durch den Lockdown die Gelegenheit, eine lange geplante Fahrt mit unserem Segelboot über die Binnengewässer nach Stettin in Polen zu machen. Zwei Monate war ich mit meiner Familie, mit beiden Kindern unterwegs, und habe währenddessen sämtliche Brücken von der Maas bis an die Oder fotografiert.
Was glauben Sie, hat sich durch Corona in der Stadt verändert?
Es ist sehr schade, dass zum Beispiel die Suppe (monatliches Mittagessen) im Literaturhaus nicht mehr stattfinden kann. Dadurch war doch viel Austausch möglich. Die Internationale Photoszene in Köln hat sehr gelitten, zweimal zersägte Corona deren Programm, und dann wurden auch noch 100.000 Euro von der Stadt gekürzt.
Wenn Sie von Reisen zurückkehren, worauf freuen Sie sich in Köln?
In mein Atelier zurückzukommen. Ich bringe etwas nach Hause mit, was ich in meiner vertrauten Umgebung ausarbeiten kann. Ich habe in Nippes meinen Lebensmittelpunkt und darauf freue ich mich. Aber grundsätzlich verreise ich ungern. Wiewohl es schön ist, auf Köln zufahrend den Dom zu sehen. Man sieht ihn auch aus dem Flugzeug. Nicht so schön ist der Anblick des blauen Musical-Zeltes. Architektonisch ist es seit Jahrzehnten eine Beleidigung. Es wäre der Platz für das historische Archiv und eine Kunsthalle gewesen. Ein kulturelles Portal, auf einer Seite Museum und Dom, auf der anderen Archiv und Kunsthalle
Was zeigen Sie Gästen in Köln?
Eher Orte, die nicht im Reiseführer stehen. Den Ebertplatz zum Beispiel oder die Galerie von Petra Martinetz. Aber durchaus auch den Dom, die Mataré-Türen an der Südseite oder die Domschatzkammer. An weltberühmten Objekten gibt es oft unbekannte Details. Ich habe aber auch schon eine Rhein-Seilbahntour gemacht. Das habe ich schon in meiner Kindheit gemacht.
Wenn jemand in Köln sagt, das kriegen wir irgendwie hin, da weiß man, es ist hoffnungslos
Wenn Sie in der Fremde sind, was erzählen Sie über Köln?
Dass es wieder angenehmer geworden ist. Nach dem Weggang vieler Institutionen, Galerien in den 90er Jahren Richtung neue Hauptstadt Berlin, was fast ein Ausbluten war, lassen sich wieder neue in Köln nieder oder kehren zurück.
Vermissen Sie dann den Dialekt?
Ja. Wenn ich ihn höre, finde ich das gut. Wenn einer jedoch richtig altes Kölsch spricht, versteht kein Mensch was. Ich selbst kann die Mundart ein bisschen imitieren.
Drückt der Dialekt etwas von der Art der Kölner aus?
Die Unverbindlichkeit. Wenn jemand sagt, das kriegen wir irgendwie hin, kein Problem – da weiß man, es ist hoffnungslos. Das ist der rheinische Katholizismus. Man kann sündigen, dann beichten und bereuen, danach es geht wieder von vorne los.
Boris Becker, 61 Jahre alt, in Köln geboren, studierte in Berlin und Düsseldorf Fotografie, neben zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland sind seine Arbeiten auch in Büchern publiziert, zuletzt in „Von der Maas bis an die Oder. Brücken“, Verlag Buchhandlung Walther König Köln