Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Briefwechsel 1923-1956Post zwischen Weigel und Brecht

Lesezeit 3 Minuten

Die Fluppe ins Exil gerettet: Helene Weigel und Bertolt Brecht 1936 in Kopenhagen.

So war er nun mal, der Brecht. Frauen säumten seinen Weg. Voller Zorn schrieb an ihn Helene Weigel, seine Ehefrau seit 1929, im amerikanischen Exil: Dass er für drei Wochen verschwinde, sei „schon ein Fußtritt von besonderer Heftigkeit“. Im Nachwort zum soeben erschienenen Briefwechsel zwischen Bert Brecht und der Schauspielerin und späteren Leiterin des (Ost-)Berliner Ensembles zitiert Herausgeber Erdmut Wizisla einen Satz Helene Weigels an ihre Tochter Barbara: „Dein Vater war ein sehr treuer Mann“, so Weigel, und sie ergänzte: „leider zu zu vielen.“

Trotzdem muss das Thema Brecht und die Frauen, das vor 15 Jahren John Fuegi in „Brecht & Co.“ zu einer Hauptsache gemacht hat, nicht wieder aufgenommen werden. So raffiniert Brecht den Zusammenhang zwischen Erotik/Sexualität und Arbeit der Frau(en) für sein Werk pflegte, Helene Weigel war diejenige, die alles überstehen konnte. Stets hatte sie zentrale Funktion im Brecht'schen Mikrokosmos, wurde unbedingt gebraucht, wuchs endlich aus der Abhängigkeit zur selbstständigen Größe.

Zuerst, noch vor der Emigration der Familie im Februar 1933, war sie die Musterschauspielerin für Brechts Vorstellung von Theater. Im Exil – Dänemark, Schweden, Finnland, Santa Monica/Kalifornien – hielt sie durch sämtliche Nöte hindurch den Clan, zu dem außer den Kindern Barbara und Stefan Brechts Geliebte Ruth Berlau und wechselnde Besucher gehörten, irgendwie in Balance. Bestens kennt sie die Arbeit des Schreibers Brecht, schickt ihm Vergessenes nach. Und er gibt ihr Zucker, Anerkennung, Gefühl: „Ich küsse Dich, Helli“, „Ich denke an Dich“, „vermisse Dich“, „Rauch nicht zu viel!“, „werd nicht zu dünn“, „Ich kratze Dir den Rücken“. Manche Klage der Weigel mag allerdings verhallt sein, weil Briefe von ihr verloren gingen.

Wenn Brecht sich für Monate in New York aufhält, Verlage umwirbt oder den berühmten Charles Laughton für die Uraufführung des „Galilei“-Stücks, erzählen seine Briefe oft von den Schwierigkeiten des Lebens und Überlebens im Exil (aber nur im Ernstfall von seinem Drama mit Ruth Berlau). Aufschlussreicher noch ist die Korrespondenz seit der Rückkehr nach Europa. Man spürt die Energie, mit der Weigel und Brecht ein Theater für sich wollen, sogleich Schauspieler und Regisseure suchend. Schöpferische Ungeduld nach fast 15 vergeblichen Jahren treibt sie, nur gemeinsam können sie schaffen, was dann gelang: ein Theater, das von 1949 an maßgeblich wurde mindestens für die 50er Jahre und weit über die DDR hinaus dank Gastspielerfolgen in Paris.

Brechts frühe Briefe waren schon in der 30-bändigen Werkausgabe zugänglich. Neu ist die Post aus den Amerika-Jahren und der schriftliche Alltagsdialog am Berliner Ensemble. Noch einmal wird höchst anschaulich die Zeitgeschichte samt dem Kulturdschungel „drüben“. Die Funktionäre kontrollieren auch ihr berühmtestes Kulturpferd. „Ständig Haushaltsrevisionen“ stöhnt Chefin Weigel; „wir wissen nicht, wie wir Kohlen bekommen sollen“, schreibt sie, als im Probenhaus alle frieren, März 1956! Eine „Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten“ will das Theater reglementieren. Dem versucht das Bollwerk beruflicher, künstlerischer Gemeinsamkeit zu wehren, deren Krönung Brechts „Mutter Courage“-Inszenierung mit der allzeit vor den Karren gespannten Weigel ist.

Unterminiert ist das private Vertrauen. Ausnahme: Brechts Notiz „Nach meinem Tode zu öffnen“ von 1953. Die Weigel möge veranlassen: „1) dass der Tod sichergestellt wird, 2) dass der Sarg aus Stahl oder Eisen ist, ... 5) dass weder am Sarg noch am Grab gesprochen, höchstens das Gedicht „An die Nachgeborenen“ verlesen wird, ... 8) dass das Grab im Garten in Buckow oder im Friedhof neben meiner Wohnung in der Chausseestraße liegt und nur den Namen Brecht auf einem Stein hat. Danke, Helli! Brecht“. Er starb 1956, Helene Weigel, die das Theater nach seinem Modell bis zur Erstarrung verwaltete, 1971. Bertolt Brecht/Helene Weigel: „Briefwechsel 1923-1956“, Suhrkamp, 402 Seiten, 26,95 Euro.