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Bruce Springsteen wird 75Der Last Man Standing des Rock'n'Roll

Lesezeit 4 Minuten
09.07.2024, Dänemark, Odense: Bruce Springsteen und The E Street Band treten während ihrer 2024 World Tour im Dyrskuepladsen auf.

Bruce Springsteen wird am Montag, dem 23. September 75 Jahre alt

Bruce Springsteen ist Rockstar geworden, um sich selbst zu verlieren. Eine Widmung zum 75. Geburtstag

„Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen ehrlichen Job gehabt“, bekannte Bruce Springsteen vor einigen Jahren in seiner Personality-Show am New Yorker Broadway: „Ich habe nie schwere Arbeit geleistet.“ Dass der Sänger aus dem Küstenstädtchen Freehold in New Jersey Millionen davon überzeugen konnte, in ihrem Namen zu sprechen, ihre Geschichten zu erzählen, Geschichten von Arbeitern mit großen Träumen und kleinen Rücklagen, das ist sein größter Zaubertrick.

Und seine zweitgrößte Illusion wäre dann vielleicht, dass er seinen Führerschein erst nachholte, als er seine besten Songs über Aussteiger, die Gas geben, die Freiheit auf der Landstraße suchen und niemals in den Rückspiegel schauen, längst geschrieben hatte.

Bruce Springsteen flüchtete vor seinem vorbestimmten Leben

Springsteen befand sich ja selbst auf der Flucht vor dem Alltag, der ihm zugedacht war, vor Schichtarbeit in der Fabrik, bis die Seele verkümmert, oder dem rastlosen Wandern von einem aussichtslosen Job zum anderen. Also sang er über Männer wie seinen Vater, Männer, die nachts allein am Küchentisch trinken und rauchen und spüren, wie die Dunkelheit am Rande der Stadt in ihr Herz kriecht. Männer, die ihre Familie terrorisieren, weil das Leben sie verraten hat.

Er hatte die Depressionen seines Vaters geerbt, er kannte die Geister, die Amerika verfolgen, nur zu gut. In seiner Autobiografie „Born to Run“ beschreibt er sich als „bärenstarker und von Psychosen getriebener Rock'n'Soul-Schreihals“, ein Schönsänger war er nie, aber von seinen Dämonen erfuhr das Publikum erst spät, in seinen Songs konnte er die Dunkelheit in funkelnde Triumphe verwandeln, in Mini-Opern mit Glockenspiel und dem röhrenden Saxofon von Clarence Clemons.

22.08.1975, USA, Atlanta: Bruce Springsteen tritt am 22. August 1975 mit der E Street Band im Alex Cooley's Electric Ballroom auf - Szene des Films «Bruce Springsteen, der amerikanische Freund» .

Bruce Springsteen tritt am 22. August 1975 mit der E Street Band im Alex Cooley's Electric Ballroom auf

Hatte der Sänger nicht in seinem Song „No Surrender“ behauptet, dass man von einer Drei-Minuten-Single mehr lernen kann, als einem während der gesamten Schulzeit eingebläut wird? Für seine größten Hymnen brauchte der Boss – seinen Spitznamen kann er übrigens nicht ausstehen – oft ein paar Minuten mehr, es sind amerikanische Epen wie etwa „Backstreets“ von „Born to Run“, dem Album, das Springsteen im Jahr 1975 endlich zum Star machte. Ein Song, von dem der Großkritiker Greil Marcus sagte, es handele sich um eine Rock'n'Roll-Version der „Ilias“.

Wer jemals eine von Springsteens Gottesdienst-ähnlichen, dreieinhalb- bis vierstündigen Shows mit der E Street Band erleben durfte, weiß, wie er individuelles Unglück in ein kommunales Erlebnis verwandeln kann. Von wegen „die Zukunft des Rock'n'Roll“: korrekter wäre die Aussage, dass er den Rock zu seinen Wurzeln im Gospel und im Rhythm and Blues zurückgeführt hat. Springsteen ist ein Erweckungsprediger, seine Konzerte scheint er in den Dienst höherer Mächte zu stellen, beschwört das Gute im Menschen, mit magnetischem Charme und eiserner Kondition. Die hat ihn erst in letzter Zeit häufiger im Stich gelassen. Mal musste er Konzerte wegen Problemen mit Magengeschwüren absagen, mal erstarb sein Löwenbrüllen mitten im Set. Dass selbst der unermüdliche Zauberer ein Sterblicher sein soll, man kann es kaum fassen, „Only the Strong Survive“ hat er 2022 sein letztes Album genannt. Er ist der „Last Man Standing“.

Erste Band mit 15 Als Springsteen das gleichnamige Stück im Sommer vergangenen Jahres in Düsseldorf spielte, erzählte er von seinen bescheidenen Anfängen, wie ihn George Theiss, der Freund seiner Schwester, eines Sommernachmittags einlud, für seine Band vorzuspielen. Wie er mit 15 Jahren in einer kleinen Bruchbude im Schatten der Teppichfabrik von Freehold den Rock'n'Roll fand. Dann erzählte er, wie er 50 Jahre später, an Georges Theiss' Sterbebett stand: „Mir wurde klar, dass ich das letzte lebende Mitglied dieser Band sein würde.“

Im anschließenden Song bat Springsteen inständig darum, dass ihn der Herr noch einmal dorthin hebe, wo es hart und laut rocke, „irgendwo tief in das Herz der Menge“. Gegenüber dem „New Yorker“ hatte er bereits vor ein paar Jahren zugegeben, dass er die Nase gründlich voll von sich habe und auf die Bühne gehe, um sich selbst zu verlieren. Es ist unser aller Gewinn. An diesem Montag feiert Bruce Springsteen seinen 75. Geburtstag.