Lesetipps im FebruarUnsere Buchtipps für gemütliche Abende
Die Tage werden heller, das Wetter jedoch bleibt kalt und ungemütlich. Das Gute daran: wir haben jede Menge Zeit zum Lesen! Mit einem guten Buch lässt es sich auf das Sofa verziehen und in Ruhe schmökern. Thriller, Romane und Kinder- und Jugendliteratur: Wir haben für Sie die besten Buchtipps für den Februar zusammengestellt.
Auf dem Trip
T. C. Boyles Roman erscheint in den USA erst im April. Dort dann unter dem Titel „Outside Looking In“. Der deutsche Titel „Das Licht“ war auch für die englischsprachige Ausgabe im Gespräch, wie Boyle auf seiner Homepage mitteilt, eben in der Variante „The Light“. Auf jeden Fall keine schlechte Wahl für diesen Roman einer Bewegung, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, das Bewusstsein zu befreien und das Licht am Ende des Tunnels zu erblicken. Manche sagten auch „Gott“ dazu.
Alles dreht sich um Tim, der in die Geschichte eingegangen ist unter seinem bürgerlichen Namen Timothy Leary (1920 – 1996). Er ist die Sonne in einem selbst geschaffenen System. Allerdings geht es hier nur um die Zeit von 1962 bis 1964. Erneut widmet sich Boyle also einer historischen Figur, um die er sein kräftiges Erzählgarn spinnt. Leary ist der Gottvater. Auch weil er der Hüter aller Tabletten ist. Ihm folgen die Anhänger auf allen seinen Wegen. (M.Oe.)
T. C. Boyle: „Das Licht“, dt. von Dirk van Gunsteren, Hanser, 384 Seiten, 25 Euro. E-Book: 18, 99 Euro.
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Das Biest im Turm
In Jonathan Lethems neuem Roman „Der Wilde Detektiv“ stellt Phoebe Siegler, Nachforschungen unter Buddhisten an. Die Mittdreißigerin aus New York ist auf der Suche nach der 18-jährigen Tochter ihrer ehemaligen Chefin. Die ist nun schon seit drei Monaten verschwunden, und die einzige Spur weist ins kalifornische Upland. Auf dessen höchster Erhebung, dem Mount Baldy, befindet sich das Zen-Kloster, in dem einst Leonard Cohen Zuflucht fand. Der große Melancholiker ist erst vor ein paar Wochen gestorben – der Roman spielt im Januar 2017, kurz vor der Inauguration Donald Trumps – und die Vermisste war, wie man so sagt, sein größter Fan. (cbo)
Jonathan Lethem: „Der wilde Detektiv“, dt. von Ulrich Blumenbach, Tropen, 336 Seiten, 22 Euro. E-Book: 17,99 Euro.
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Rasende Fahrradfahrt
Klara ist aus Berlin geflohen, wo sie Hauke zurücklässt, ihre abgekühlte Liebe. Ihr Reiseziel: „weg“. So kommt sie in Utrecht an. Eine Art Clash der Kulturen. „So was hatten wir in Deutschland nicht“ lautet eine erste vergleichende Beobachtung, die einem zweistöckigen Fahrradständer gilt. Noch ergiebiger ist ihre Erkundung des Niederländischen, das zunächst vertraut klingt, aber es dann doch nicht ist. Denn was dort „brood“ heißt, ist noch längst nicht unser „Brot“. Das erinnert uns ebenso wie die Ich-Erzählerin an Sofia Coppolas Kultfilm „Lost in Translation“. Nur mit dem Unterschied, dass Klara anders als Bill Murray lernbereit, ja, lernbegierig ist. Ihre Spracherforschung, denken wir uns, entspricht dem Versuch, Abstand zu gewinnen und Neuland zu finden. (M.Oe.)
Julia Trompeter: „Frühling in Utrecht“, Schöffling & Co., 264 Seiten, 22 Euro. E-Book: 17,99 Euro.
Buchpremiere mit Julia Trompeter am 14. Februar um 19.30 Uhr im Kölner Literaturhaus.
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Glückskind in Not
Toby Hennessy, der Ich-Erzähler in „Der dunkle Garten“, ist nicht der, der er auf den ersten Blick zu sein scheint. Toby, 28 Jahre alt und PR-Berater bei einem angesagten Galeristen in Dublin, ist ein smarter Typ, ein Glückskind, wie er selber sagt. „Nicht, dass ich mir viele Gedanken darüber gemacht hätte, aber als es mir irgendwann bewusstwurde, hatte ich das beruhigende Gefühl, dass alles genauso lief, wie es laufen sollte.“ Doch dann gerät sein Leben gehörig aus dem Lot. Als er eines Nachts zwei Einbrecher in seiner Wohnung überrascht, wird er niedergeschlagen und erleidet schwere Kopfverletzungen. Aus dem erfolgsverwöhnten Glückskind ist ein Fall für Chirurgen und Neurologen geworden, die mühsam versuchen, Kopf und Körper des einstigen Strahlemanns wieder in den alten Stand zu versetzen. (P.P.)
Tana French: „Der dunkle Garten“, dt. von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, Scherz, 656 Seiten, 16,99 Euro. E-Book: 14,99 Euro.
Auf der lit.Cologne tritt Tana French am 30. März auf.
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Ein Witz nach dem anderen
Erzählt wird in schneller Schnittfolge und mit üppigem Personal die Genesis einer neuen Show. Ein Abspeck-Wettstreit wird konzipiert, was von der Lippe dazu nutzt, seine Kenntnisse der TV-Show-Szene einzubringen. Mal meint man Hugo Egon Balder moderieren zu sehen, mal wird neckisch auf Von-der-Lippe-Sendungen angespielt, Helmut Thoma und Stefan Raab werden erwähnt. Auch die Freude am guten Essen findet sich gespiegelt in einigen Kochrezepten. Vor allem aber geht es darum, von dieser Roman-Plattform aus einen Witz nach dem anderen abzufeuern. (M.Oe.)
Jürgen von der Lippe: „Nudel im Wind“, penguin Verlag, 240 Seiten, 18 Euro. E-Book: 13,99 Euro.
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Nichts für Feingeister
Was geschieht, wenn sich ein Jugendbuchautor dazu entschließt, einen Thriller zu schreiben? Der im australischen Canberra lebende Jack Heath überrascht uns in „Blake“ mit einem rabenschwarzen Plot sowie mit einem Antihelden, wie man ihn selten in der Spannungsliteratur findet. Der begnadete Profiler Timothy Blake arbeitet inoffiziell für das FBI. Als Honorar vereinbart er etwas absolut Ungeheuerliches. Damit frönt er einem abstoßenden Laster. Als er mit einer neuen Partnerin einen Entführungsfall lösen soll, scheitert die Geldübergabe; und sein geschmackloses Geheimnis droht aufzufliegen. (EvS)
Jack Heath: „Blake“, dt. von Angelika Naujokat, Heyne, 448 Seiten, 12,99 Euro. E-Book: 4,99 Euro.
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Schuld und Sühne in Irland
Seit zehn Jahren sitzt der „Kanal-Killer von Dublin“ in einer psychiatrischen Hochsicherheitsklinik. Als erneut eine Leiche im Wasser auftaucht, fordert der 29-Jährige Will ein Gespräch mit den Ermittlern. Angeblich weiß er etwas über den Täter. Den entscheidenden Hinweis will er aber nur seiner einstigen Liebe Alison geben, deren beste Freundin damals zu den Opfern zählte. Alison lebt inzwischen in den Niederlanden und kehrt erstmals nach Irland zurück. Will beteuert seine Unschuld, sein Geständnis habe man erzwungen. Er fleht sie an, ihm zu helfen. (EvS)
Catherine Ryan Howard: „Ich bringe dir die Nacht“, dt. von Jan Möller, rororo, 444 Seiten, 9,99 Euro. E-Book: 4,99 Euro.
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Genie und Versagen
Ihr zweiter Roman „Ein wenig Leben“ war ein Megaerfolg. Jetzt hat der Hanser Verlag Hanya Yanagiharas Debütroman „Das Volk der Bäume“ aus dem Jahr 2013 hinterhergeschoben, wohl in der Hoffnung, an den Erfolg von „Ein wenig Leben“ anzuknüpfen. Der Plan könnte durchaus aufgehen, denn auch das erste Werk der New Yorker Journalistin ist bereits ein großer Wurf. Intensiv, sprachgewaltig. Und gesegnet mit einem Protagonisten, der – wie Jude St. Francis aus „Ein wenig Leben“ – durchaus als Reizfigur taugt. Norton Perina, so sein Name, ist ein anerkannter US-amerikanischer Wissenschaftler. Auf einer abgelegenen Südseeinsel ist er Anfang der 1950er Jahre dem Geheimnis des ewigen Lebens auf die Spur gekommen. Seine Forschungen über das von ihm entdeckte Selene-Syndrom gelten als bahnbrechend. Doch der Mann aus Lindon, Indiana, hat auch eine dunkle Seite. Er ist pädophil. (P.P.)
Hanya Yanagihara: „Das Volk der Bäume“, dt. von Stephan Kleiner, Hanser Berlin, 480 Seiten, 25 Euro.
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Mauern einreißen
Das Bauhaus-Jubiläum – das auch in NRW gewürdigt werden soll, wenngleich die hiesigen Spuren recht dürftig sind – findet nicht zuletzt auf dem Buchmarkt seinen Niederschlag. Eine Besonderheit ist dabei der Band von Magdalene Droste im Taschen-Verlag. Dabei handelt es sich um die überarbeitete Neuauflage eines Standardwerks. Es entstand in Kooperation mit dem Bauhaus-Archiv in Berlin, der größten Sammlung zur Geschichte der Einrichtung. Die jetzt aktualisierte Fassung punktet mit über 250 zusätzlichen Abbildungen. Es sind „Zeugnisse einer idealistischen Kreativgemeinschaft“, wie es heißt, „die entschlossen war, Gestaltung völlig neu zu denken und eine bessere Zukunft für moderne Menschen zu formen.“ (M.Oe.)
Magdalena Droste: „Bauhaus - 1919 bis 1933“, Taschen, 400 Seiten, 40 Euro.
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Nashorn Jimmys langes Leben
In seinem aktuellen Bilderbuch widmet sich Werner Holzwarth, Schöpfer des Klassikers „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“, wieder einem Thema, das gerne tabuisiert wird: dem Tod. Er erzählt die Geschichte von Nashorn Jimmy und dessen Freund Hacki, dem Madenhacker, einem Vogel, der auf großen Tieren in Afrika lebt und sich von den Insekten und Larven aus deren Fell ernährt. Das Wissen über diese Symbiose vermittelt Holzwarth seinen jungen Lesern ganz spielerisch nebenbei. (aso)
Werner Holzwarth, Mehrdad Zaeri: „Mein Jimmy“, Tulipan Verlag, 40 Seiten, 15 Euro, ab 4 Jahren
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Im Sog der fremden Reiche
Als Jack und August klein waren, haben sie sich dieses Spiel ausgedacht: Die zwei Könige. Jeder von ihnen herrschte über ein Reich, trug eine Krone und saß auf einem Thron. Sie mussten kämpfen und Abenteuer bestehen und mutig sein. Heute sind Jack und August 17 Jahre alt – und das Fantasyspiel wird zur gefährlichen Realität. Denn Jack beginnt diese Welt zu sehen, das Königreich, das er sich als Kind ausgedacht hat. Immer häufiger mischen sich Menschen, Monster oder Gebäude aus dieser Fantasywelt in seinen realen Schulalltag hinein. So lange, bis Jack völlig in dieser Welt versinkt – und sich sicher ist, dass er sie gegen einen bösen König verteidigen muss. (aso)
Kayla Ancrum: „Wicker King“, dt. von Uwe-Michael Gutzschhahn, dtv, 320 Seiten, 16,95 Euro. E-Book: 14,99 Euro, ab 14 Jahren.
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Buch-Tipps aus dem Januar 2019
Michel Houellebecqs faszinierender Abgesang
Doktor Azote versucht sich in Paris an einer Diagnose: „Ich habe den Eindruck, Sie sind schlicht dabei, vor Kummer zu sterben.“ Florent-Claude Labrouste ist darüber wenig bestürzt. Weiß er doch selbst, wie es um ihn bestellt ist. Aber zum Arzt muss er nun mal, wenn er an sein Antidepressivum namens Capotrix gelangen will. Aber wie konnte es nur so weit mit ihm kommen? Davon erzählt Michel Houellebecq in „Serotonin“, seinem neuen, bannenden und womöglich besten Roman. Es ist ein weiterer Abgesang auf Frankreich. Und ein neuerliches Porträt des Mannes als traurige Gestalt. Ein prächtig schillerndes Ereignis. (M.Oe.)
Michel Houellebecq: „Serotonin“, dt. von Stephan Kleiner, DuMont Buchverlag, 330 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Roger Willemsens Musik
Roger Willemsen, der 2016 verstorbene Multi-Intellektuelle, war der Musik genauso enthusiastisch gesonnen wie der Literatur. Mindestens. Dieser Liebe ist der neue Band „Musik! Über ein Lebensgefühl“ gewidmet. Willemsens Herausgeberin Insa Wilke hat darin 100 Texte über Musik aus dessen Nachlass zusammengestellt. Viele davon sind in gedruckter Form unveröffentlicht, weil sie zum Beispiel von Willemsen moderiert wurden. Was die Texte verbindet, ist Willemsens sprachliche Verve, seine Lust am Erforschen unentdeckter Zusammenhänge und der genauen Beschreibung. (sbs)
Roger Willemsen: „Musik!“, herausgegeben von Insa Wilke, S. Fischer Verlag, 512 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Galbraith alias Rowling
Wann kommen Cormoran Strike und Robin Ellacott endlich zusammen? Seit dem ersten Band der britischen Krimireihe knistert es gewaltig zwischen dem raubeinigen Ermittler und seiner rothaarigen Geschäftspartnerin. Doch auch in der gerade erschienenen vierten Folge sieht es zunächst nicht so aus, als hätten die beiden in absehbarer Zeit eine Chance. „Weißer Tod“, so der Titel, kommt in Fahrt, als der britische Kulturminister Opfer von Erpressern wird. Ein Lesevergnügen für die Liebhaber klassischer Krimis, die eine gut erzählte Geschichte zu schätzen wissen. Was nicht überrascht, denn hinter dem männlichen Pseudonym 23558096 (P.P.)
Robert Galbraith: „Weißer Tod“, dt. von Wulf Bergner, Christoph Göhler und Kristof Kurz, Blanvalet, 864 Seiten, 24 Euro. E-Book: 18,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Michelle Obama auf Platz 1
Ehrgeiz ist der Begriff, den Michelle Obamas Autobiografie „Becoming“ (Goldmann) vor allem propagiert. Kein krankhafter Ehrgeiz, der einem die Gesichtszüge verzerrt. Vielmehr geht es der Amerikanerin darum, sich lebenslang zu bemühen, zu streben, sich weiterzuentwickeln. Nun macht Michelle Obama mit ihrer Autobiographie Furore. Eine leichte, aber keineswegs langweilige Lektüre. Und selbstverständlich ein Weltbestseller (bei uns auf Platz 1). Das war sie ihrem Ehrgeiz schuldig. (M.Oe.)
Michelle Obama: „Becoming“, dt. von Harriet Fricke u.a., Goldmann, 544 Seiten, 26 Euro. E-Book: 19,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Der Brexit und die Liebe
Vom Brexit ist hier noch keine Rede. Aber während sie über ihren Roman nachgedacht habe, so die schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy kürzlich in Frankfurt, sei bereits deutlich geworden, dass „wir etwas sehr, sehr Dummes machen würden“. Der Roman „Süßer Ernst“ liest sich wie eine Begleitmusik zu den aktuellen politischen Ereignissen in Großbritannien. Eigentlich ist „Süßer Ernst“ jedoch ein großer Liebesroman, ein erstaunlicher Liebesroman, so dass selbst Feinde des Liebesromans ihn ertragen können. (JvS)
A.L. Kennedy: „Süßer Ernst“, dt. von Ingo Herzke und Susanne Höbel, Hanser, 560 Seiten, 28 Euro. E-Book: 20,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Thriller mit Trump-Faktor
Mit Speck fängt man Mäuse, mit geheimnisvollen Andeutungen Leser. „Der Autor bleibt anonym, um die Quelle zu schützen, die den Roman inspiriert hat“, heißt es im Klappentext von „Codename Eisvogel“. Der Verschwörungsthriller lässt uns zudem einleitend wissen: „Oktober 2016: In Amerika stehen die Wahlen an“. Alles klar! Wir ahnen, nein, wir wissen, um wen es sich hier handelt. Eine spannend geschilderte Story, bei der man mehr als einmal an Donald Trump und seine erste Ehefrau Ivana erinnert wird. (EvS)
Anonymus: „Codename Eisvogel“, deutsch von Luise Filek und Johanna Simon, Heyne, 365 Seiten, 20 Euro. E-Book: 15,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Die Schuld der vier Freundinnen
Vier Freundinnen treffen sich nach vielen Jahren in einem verschlafenen englischen Küstenstädtchen wieder. Sie teilen ein düsteres Geheimnis, das ihr Leben seit 17 Jahren überschattet. In jenem heißen Sommer, der in einer Katastrophe endete, haben sie sich eines Verbrechens schuldig gemacht. Ruth Ware liefert einen hochspannenden und psychologisch überzeugenden Krimi. Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet, der Spannungsbogen stimmt bis hin zum überraschenden Ende. (P.P.)
Ruth Ware: „Wie tief ist deine Schuld“, deutsch von Stefanie Ochel, dtv, 448 Seiten, 15,90 Euro. E-Book 13,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Die dunkle Wahrheit
Officers Lucius Boggs und Tommy Smith gehören 1948 zu den ersten acht schwarzen Polizisten in der Südstaatenmetropole Atlanta. Damit hat sich Thomas Mullen für seinen historischen Kriminalroman „Darktown“ zwei Protagonisten ausgesucht, die im Mordfall eines schwarzen Mädchens offiziell gar nicht ermitteln dürfen. Er treibt seine Geschichte meisterhaft voran: Der Roman bezieht seine Spannung aus dem Steinschlag, der seine verdeckten Ermittler auf dem Weg zur Wahrheit behindert. Boggs und Smith sind keine strahlenden Helden. Aber sie halten zäh an ihrer Idee von Gerechtigkeit fest. Sie sind die richtigen Helden für unsere Zeit. (cbo)
Thomas Mullen: „Darktown“, dt. von Berni Mayer, DuMont, 480 Seiten, 24 Euro. E-Book: 14,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Kinder und Jugend
Opa verändert sich
Es ist ein sehr ernstes Thema, das in den vergangenen Jahren Eingang in die Kinderliteratur gefunden hat: Demenz. Und das zu recht! Im Zentrum steht Nele, die siebenjährige Ich-Erzählerin. Sie hat nicht nur einen Opa, nein, sie hat zwei Opas in einer Person. Der Andersopa malt mit Spinat an die Wand und kann sich keine Namen merken. Doch Nele findet einen guten Weg, sich mit dem Andersopa zu arrangieren. Die wunderbar unaufgeregten Illustrationen passen toll zum Text. Ein sehr gelungenes Bilderbuch, nicht nur für Betroffene. (AS)
Rolf Barth, Daniela Bunge: „Mein Andersopa“, Hanser, 32 Seiten, 14 Euro, ab 5 Jahren.Das Buch und E-Book auf Amazon
Soldat der USA
Morton Rhue, Autor von „Die Welle“, hat in seinen Jugendbüchern noch nie vor harten und kontroversen Themen gescheut. Sein neuestes Werk prangert die Praktik des amerikanischen Militärs an, junge Leute unter fadenscheinigen Versprechen anzuwerben und in den Krieg zu schicken. So wie der Protagonist Jake, der die Schrecken des Krieges nicht vergessen kann. In Jake wächst die Wut, aber auch der Wunsch, etwas zu verändern. Was passiert ohne die Weltpolizei USA? Rhue hat eine Antwort darauf gefunden. (AS)
Morton Rhue: „American Hero“, dt. von Nicolai von Schweder-Schreiner, Carlsen, 176 Seiten, 10,99 Euro. E-Book: 9,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
In aller Kürze
Jan Wagner, 1971 in Hamburg geboren und in Berlin zuhause, hat für seinen Gedichtband „Regentonnenvariationen“ im Jahre 2017 den Büchner-Preis erhalten. Nun legt er mit „Die Live Butterfly Show“ (Hanser Berlin, 104 Seiten, 18 Euro) eine Sammlung neuer Gedichte vor - und wie der Titel es andeutet, findet sich darin manch heiterer Akzent. (M. Oe.)Das Buch und E-Book auf Amazon
Thomas Mann hat 14 Jahre im kalifornischen Exil verbracht - davon handelt eine neue Doppelausgabe des immer wieder attraktiven „Marbacher Magazin“ (20 Euro). Band 163/164 versammelt Stimmen und Dokumente eines spannenden literarisch-historischen Kapitels. (M. Oe.)Das Buch und E-Book auf Amazon
John Keats ist ein Spezialfall, sein Werk ein Angebot an Liebhaber der Lyrik. Der Verlag Das Kulturelle Gedächtnis gibt jetzt Keats‘ in der Antike spielenden Versroman „Endymion“ (32 Euro), vor exakt 200 Jahren erstveröffentlicht, in einer neuen Übersetzung von Mirko Bonné heraus. Die hilfreiche Einleitung steuerte Jan Wagner bei. (M. Oe.)Das Buch und E-Book auf Amazon
Jules Vernes Roman „Die Jangada“ zählt zu seinen weniger vertrauten Werken. Die sympathisch-kreuzbrave Abenteuergeschichte um eine Floßfahrt auf dem Amazonas birgt nicht zuletzt viele topographische und naturkundliche Fakten. Nun legt die Andere Bibliothek eine neue deutsche Bearbeitung vor, die erstmals sämtliche 90 Abbildungen des Originals enthält (42 Euro). (M.Oe.)Das Buch und E-Book auf Amazon
Buch-Tipps aus dem Dezember 2018
Stephen Hawkings Vermächtnis
Als Stephen Hawking im vergangenen März starb, befand er sich mitten in der Arbeit an diesem, seinem letzten populärwissenschaftlichen Buch „Kurze Antworten auf große Fragen“. Es musste mit Hilfe von Kollegen und Familienangehörigen des Kosmologen fertiggestellt werden. Freilich kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Hawking es von Anfang an als sein Vermächtnis an die Menschheit oder doch wenigstens an die Leser seiner populärwissenschaftlichen Bücher geplant hatte. Noch einmal zieht Hawking hier die Bilanz seines Forscherlebens. Und das ist umso reizvoller, da Hawking die ganz großen Fragen mit seinen Lebensumständen verknüpft. (cbo)
Stephen Hawking: „Kurze Antworten auf große Fragen“, deutsch von Hainer Kober, Klett-Cotta, 256 Seiten, 20 Euro. E-Book: 15,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Chronistin der Provinz
Elizabeth Strout ist eine Erzählerin, die sich Zeit lässt, ihre Figuren zu entwickeln. „Alles ist möglich“, heißt das jüngste Werk der Pulitzer-Preisträgerin, die 2007 mit ihrem Episodenroman „Olive Kitteridge“ auch in Deutschland bekanntwurde. Die Charaktere und nicht der Plot treiben die Handlung voran. Die Autorin erweist sich ein weiteres Mal als eine großartige Chronistin der Provinz. Sie verschafft all jenen Menschen Gehör, die viel zu bescheiden sind, um über sich selbst zu reden. (P.P.)
Elizabeth Strout: „Alles ist möglich“, dt. von Sabine Roth, Luchterhand, 256 Seiten, 20 Euro. E-Book: 15,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Damaskus in Trümmern
Der junge syrische Autor Nather Henafe Alali erzählt in seinem Roman „Raum ohne Fenster“ die Geschichte der Freunde Aziz und Salim, von Salims schwangerer Frau Hayat und ihrem Sohn. Wir schreiben das Jahr 2012, Schauplatz ist ein Stadtviertel von Damaskus, das Assad in seinem brutalen Vernichtungskampf gegen die eigene Bevölkerung belagern und bombardieren lässt. „Raum ohne Fenster“ ist stark autobiografisch geprägt, die Erlebnisse des 1989 in Syrien geborenen Autors fließen ein: Seine Zeit in Assads Kerkern, seine Flucht, seine Ankunft in Deutschland. Die Sprache ist poetisch und kraftvoll, dennoch liegt eine große Melancholie über dem Roman. (Hz.)
Nather Henafe Alali: „Raum ohne Fenster“, dt. von Rafael Sánchez Nitzl, S. Fischer, 224 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99.Das Buch und E-Book auf Amazon
Hohnlachen der Hoffnung
László Krasznahorkai erzählt in seinem Roman „Baron Wenckheims Rückkehr“ eine zunehmend ins Apokalyptische kippende Geschichte in einem mitreißenden Strom aus Bandwurmsätzen in indirekter Rede. Das macht die Lektüre anfangs nicht ganz einfach, aber es dauert nicht lange, bis einen das Buch völlig gefangen nimmt. Zum einen weil der Krasznahorkai-Sound (und Christina Viraghs kongeniale Übertragung ins Deutsche) wirklich unwiderstehlich ist, zum anderen, weil das Hohngelächter über die irrsinnig auf einen Sponsor Hoffenden immer auch den Lesenden selbst einschließt. Ach, ginge es nur so leicht über die Lippen wie „kafkaesk“, man müsste unsere heutige Welterfahrung als krasznahorkaiesk bezeichnen. (cbo)
László Krasznahorkai: „Baron Wenckheims Rückkehr“, dt. von Christina Viragh, S. Fischer, 25 Euro. E-Book: 22,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Bollwerk der Nostalgie
Der Norweger Mattias Faldbakken erzählt in seinem neuen Roman „The Hills“ ein „closed room drama“. Auf gut 240 Seiten findet die Handlung ausschließlich im Restaurant, der Küche und dem Vorratskeller statt. Der Kellner, Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, kultiviert eine „ausdrucklose, aber diensteifrige Miene den Gästen gegenüber“ – emotional zurückgenommen, unfassbar pflichtbewusst und ohne ein Eigenleben jenseits vom Arbeitsplatz. „The Hills“ ist jenseits des Speiselokals auch ein Museum des 20. Jahrhunderts, ein Bollwerk gegen die Zumutungen der Gegenwart. Ob das gut oder schlecht ist, bleibt in Faldbakkens Roman in der Schwebe. (ThK)
Matias Faldbakken: „The Hills“, dt. von Maximilian Stadler, Heyne, 238 S., 22 Euro. E-Book: 19,99 Euro. Das Buch und E-Book auf Amazon
Der Autor als junger Mann
Hatte Hans Magnus Enzensberger vor vier Jahren in „Tumult“ über sein eigenes Leben während der 68er Zeit berichtet, so führen die erneuten autobiografischen Tiefenbohrungen den fast 90-jährigen in seine Anfänge zurück: „Eine Handvoll Anekdoten. Auch Opus incertum“ reichen von der Kindheit in den 30ern bis zum frühen Erwachsenendasein in den 50ern. Den Schlusspunkt setzt seine Erlanger Dissertation. M. musste sie nach eigener Auskunft zweimal schreiben, weil der Doktorvater die erste Fassung verbummelt hatte. Dies eine Anforderung, die M. spielend bedienen konnte – was denn sonst, möchte man raunen. Keine Frage, wir sehen hier eine Hochbegabung im Aufgang, und darüber etwas mitgeteilt zu bekommen, ist völlig in Ordnung. Stören mag jene kleine Portion, mit der die Selbstgewissheit über die Sättigungsgrenze geht. (MaS)
Hans Magnus Enzensberger: „Eine Handvoll Anekdoten. Auch Opus incertum“, Suhrkamp, 240 S., 25 Euro. E-Book: 21,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Wenn Goethe das gewusst hätte
An eine Hybrid-Ausgabe des „Faust“ war selbst für den Großklassiker Goethe kein Denken. Und uns ist es heute zumindest noch eine Novität. So liegt nun also eine Ausgabe vor, die zum einen Teil im Netz und zum anderen in traditioneller Buchform erscheint. Die digitale Edition versammelt unter dem Link faustedition.net alle einschlägigen Handschriften. Hinzu kommen zwei Folio-Bände in einer Kassette, von denen der eine ein sorgfältiges, auch alle eingeklebten Zetteln dokumentierendes Faksimile des von Goethe freigegebenen „Faust II“ bietet. Während die Netz-Präsentation ein Paradies für Goethe-Philologen ist, die am Entstehungsprozess des Werks interessiert sind, kann sich der Goethe- und Buchfreund an einer bibliophilen Kostbarkeit erfreuen. (M.Oe.)
Johann Wolfgang Goethe: „Faust – Der Tragödie zweiter Teil“, Gesamthandschrift mit Transkription, hrsg. von Anne Bohnenkamp, Silke Henke und Fotis Jannidis, Wallstein Verlag, zwei Folio-Bände in Kassette, 796 Seiten, 199 Euro. - Johann Wolfgang Goethe: „Faust. Eine Tragödie“, hrsg. von Anne Bohnenkamp, Silke Henke und Fotis Jannidis, Wallstein Verlag, 574 Seiten, 49 Euro. - Die komplette „Faustedition“ gibt es für 224 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Alles andere als ein Held
Wilfried Wils ist 90 Jahre alt und notiert seine Erinnerungen an das flämische Antwerpen zur Zeit der deutschen Besatzung. Für einen fiktiven Urenkel. Wils war alles andere als ein Held. Er hat sich arrangiert. Als belgische Hilfspolizisten werden er und sein Kumpel Lade eines Tages von der SS dazu gezwungen, eine jüdische Familie zu verhaften, um sie in ein Vernichtungslager zu bringen. Dieser Befehl bringt Wils an seine Grenzen. Jeroen Olyslaegers ist ein berührendes Buch gelungen. Besondere Aufmerksamkeit verdient der sprachgewaltige Stil des flämischen Romanciers, der diese Geschichte eines moralischen Dilemmas auf subtile Weise entwickelt. (JoB)
Jeroen Olyslaegers: „Weil der Mensch erbärmlich ist“, dt. von Isabel Hessel und Gregor Seferens, DuMont, 368 Seiten, 24 Euro. E-Book: 18,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Martin Walser räumt auf
Martin Walser legt in „Spätdienst“ legt er eine Sammlung von Notaten und Gedichten vor, die über eine lange Zeitspanne hinweg entstanden sind. So sind sämtliche Motive und Stimmungen des Bandes vertraut: Der Lebensblues und die Lebensfreude, die feindliche Außenwelt und die überlebensnotwendige Anpassung, dann noch die unabweisbare Vergänglichkeit und die Reize der Natur mit Rosen, Himmel und Bodensee. Aber gerade weil jetzt eine Summe aufgelegt wird, nämlich „Bekenntnis und Stimmung“ einer langen Schriftsteller-Existenz, ist dies ein besonderes Buch. Eine literarische Zeitreise. (M. Oe.)
Martin Walser: „Spätdienst“, mit Arabesken von Alissa Walser, Rowohlt, 208 Seiten, 20 Euro. E-Book: 19,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Goldgier im spanischen Bürgerkrieg
Der spanische Bestseller-Autor Arturo Pérez-Reverte siedelt seinen Roman „Der Tod, den man stirbt“ im Jahr 1937 an. Es ist das zweite Jahr des beiderseits äußerst brutal geführten spanischen Bürgerkriegs. Ein republikanisches Schiff auf dem Weg nach Odessa hat sich vor seinen nationalspanischen Verfolgern in den Hafen des neutralen marokkanischen Tanger geflüchtet. An Bord: der Rest vom Goldschatz der spanischen Nationalbank, mit dem Stalins Waffenlieferungen an die Republik bezahlt werden sollen. Ein heftiges Tauziehen, in dem auch die Geheimdienste mitmischen, setzt ein. Pérez-Reverte hat das Geschehen um das Schiff erneut in den Tiegel einer nervenzehrenden Spannung getaucht, die durch die Farben der nordafrikanischen Lebenswelt noch intensiviert wird. (MaS)
Arturo Pérez-Reverte: „Der Tod, den man stirbt“, dt. von Petra Zickmann, Insel, 476 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Norwegens „Deutschenkinder“
Hannelore Hippe, die unter dem Pseudonym Hannah O’Brien als Verfasserin stimmungsvoller Irland-Krimis bekannt ist, erzählt in „Die verlorenen Töchter“ eine Liebes- oder Familiengeschichte. Die Autorin entführt ihre Leser in das Norwegen des Zweiten Weltkriegs. Die Deutschen halten das Land besetzt – und die blutjunge Åse Evensen verliebt sich in einen jungen deutschen Soldaten. Es kommt, wie es kommen muss. Åse wird schwanger, der Kindsvater muss an die Front. Eindrucksvoll schildert Hippe den Lebensweg des Kindes, das aus der deutsch-norwegischen Verbindung hervorgeht, und arbeitet ein prekäres Stück Zeitgeschichte auf.
Hannelore Hippe: „Die verlorenen Töchter“, dtv, 224 Seiten, 14,90 Euro. E-Book: 14,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Mit Ortheil übers Mittelmeer
Anfang Juli 1967 bricht Johannes Ortheil, ein 16-jähriger Kölner, zusammen mit seinem Vater zu einer (damals) großen Reise auf: Im Hafen von Antwerpen besteigt man den Frachter Albireo, der die „zivilen“ Passagiere im Zuge einer mehrwöchigen Fahrt durch den Atlantik und die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer führt, nach Griechenland und schließlich nach Istanbul. Johannes, das ist selbstredend Hanns-Josef Ortheil, der mit dieser „Mittelmeerreise“ die Reihe seiner literarischen „Reisen mit Vater“. Wer sich dem Erlebnis der „Mittelmeerreise“ aussetzt, kann allemal die Erfahrung machen, dass ihn Stil und Gegenstand einem sanften, aber unwiderstehlichen Sog aussetzen. Den Willen, sich „ansaugen“ zu lassen, muss der Leser allerdings mitbringen. (MaS)
Hanns-Josef Ortheil: „Die Mittelmeerreise. Roman eines Heranwachsenden“, Luchterhand, 640 Seiten, 24 Euro. E-Book: 18,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Meisterin des Verlustes
Eines ihrer bekanntesten Gedichte hat Elizabeth Bishop schlicht „One Art“ – „Eine Kunst“ – überschrieben. Fast beiläufig beschreibt sie darin, wie leicht das Verlieren doch sei: „Verlieren, diese Kunst zu lernen ist nicht schwer;/ so viele Dinge, scheints, sind geradezu bereit / für das Verlorengehn, sie fehlen dir nicht sehr.“ Ja, man müsse das Verlieren üben. Elizabeth Bishop kannte sich mit Verlusten aus, das Leben zwang sie, darin eine Meisterin zu werden. Sich auf ihre Gedichte einzulassen, die hier in einer zweisprachigen Ausgabe erscheinen, lohnt allemal. Sie hat unsere Aufmerksamkeit mehr als verdient. (amb)
Elizabeth Bishop: „Gedichte“, zweisprachige Ausgabe, dt. von Steffen Popp, Hanser, 352 Seiten, 32 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Schalansky rettet Verschollenes
„Am Leben zu sein bedeutet, Verluste zu erfahren“ schreibt Judith Schalansky. Mag dieser Satz aus dem Vorwort noch wenig überraschend sein, so sind es dann doch viele Belege, die die Autorin in ihrem rundum verlockenden „Verzeichnis einiger Verluste“ vorstellt. Das gilt für die Geschichten, die sie erzählt, wie auch für die Gestaltung des Buches, die von der Liebe zum Werk kündet. Schalansky, 1980 in Greifswald geboren, gibt zwölf Verlustmeldungen auf, in denen es um Herausragendes und auch um Randständiges geht. Was die Autorin in diesem vibrierend schönen Band in Erinnerung ruft, bleibt zwar verloren, aber nicht vergessen. (M.Oe.)
Judith Schalansky: „Verzeichnis einiger Verluste“, Suhrkamp, 252 S., 24 Euro. E-Book: 20,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Mit Niebuhr nach Arabien
Carsten Niebuhr (1733-1815) fasst zusammen: „Überhaupt muss man eine Reise nach Arabien nicht als eine Lustreise ansehen.“ Wer die drei Bände gelesen hat, in denen Niebuhr von genau einer solchen Reise erzählt, weiß, was der Forschungsreisende damit gemeint hat. Am 7. Januar 1761 war er in Kopenhagen als Mitglied einer sechsköpfigen Spezialistengruppe aufgebrochen und erst am 20. November 1767 zurückgekehrt – als einziger Überlebender. Die Ausgabe der „Anderen Bibliothek“ folgt dem Ursprungstext, in dem von „Egypten“ und „Dännemark“ die Rede ist. Die zeitgenössischen Illustrationen sind komplett integriert. Wunderbar. (M.Oe.)
Carsten Niebuhr: „Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern“, mit einem Vorwort von Frank Trende, Die Andere Bibliothek, Folioband mit 668 Seiten, 79 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Böse Mächte
Diese Geschichte geht unter die Haut und ans Herz, wo sie Unruhe auslöst: Ein Psychopath entführt einen sechsjährigen Jungen. Ein Jahr später stellt die Polizei die Suche ein. Obwohl die Ermittler mit ziemlicher Sicherheit wissen, wer der Täter ist: Guido Tramnitz wird in einer forensischen Klinik in Berlin behandelt und suhlt sich dort in der Erinnerung an seine Verbrechen. Ein derart böser Plot kann eigentlich nur aus der Thriller-Werkstatt Sebastian Fitzeks stammen: Gewaltfantasien, Schock-Momente und Psychopathen mit Identitätsproblemen bestimmen die Handlung. (EvS)
Sebastian Fitzek: „Der Insasse“, Droemer, 378 Seiten, 22,99 Euro. E-Book: 14,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Tod eines Diakons
Ein Diakon erhängt sich nach seiner Festnahme in einer Arrestzelle. Doch hat Ian Druitt tatsächlich Selbstmord begangen, weil er den Vorwurf, ein Kinderschänder zu sein, nicht ertragen konnte. Elizabeth George entführt ihre Leser in „Wer Strafe verdient“, dem 20. Krimi ihrer Inspector-Lynley-Reihe, tief in die englische Provinz. Man merkt George an, dass sie Spaß am Erfinden von Geschichten und am üppigen Erzählen hat. Sicher, man braucht Zeit und ein wenig Geduld für ihre Bücher. Es sind Winterabend-Krimis, in die man sich hineinkuscheln kann wie in eine warme Decke. Was nicht das Schlechteste ist. (P.P.)
Elizabeth George: „Wer Strafe verdient“, dt. von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann, Goldmann, 864 Seiten, 26. E-Book: 25,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Bombe in der Zentralmoschee
Der Kölner Leon Sachs, der eigentlich Marc Merten heißt, geht aufs Ganze: Eine Bombe legt die Kölner Zentralmoschee in Schutt und Asche. Als mutmaßlicher Attentäter wird ausgerechnet ein Rabbi verhaftet, der Mitglied einer jüdischen Terrororganisation sein soll. Leon Sachs hat seinen Thriller „Mein ist die Macht“ tief im Hier und Jetzt verankert. Damit liefert er einen mitreißenden Kommentar zur aktuellen Weltlage – hintergründig, atemberaubend. (EvS)
Leon Sachs: „Mein ist die Macht“, Emons, 320 Seiten, 14,95 Euro. E-Book: 9,49 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Grusel-Türen geöffnet
Markus Heitz stößt mit „Doors“, drei gleichzeitig erscheinenden Taschenbüchern, neue literarische Türen auf. Der Knaur Verlag nennt es in seiner Ankündigung recht unprätentiös ein Projekt: „Drei gleichzeitig erscheinende Romane führen den Leser in drei ganz unterschiedliche Welten“. Heitz selbst, einer der erfolgreichsten deutschen Fantasy-, Mysterie- und Thriller-Autoren, erklärt auf seiner Homepage: „Die Romane bauen nicht in dem Sinne aufeinander auf, dass es einen Teil eins bis drei gäbe, jedes Buch funktioniert einzeln für sich“. Doch am meisten Spaß bereitet die Lektüre, wenn man mit dem Mittelalter-Plot beginnt, die 1940er Jahre folgen lässt und mit dem etwas unbefriedigenden Dämonen-Auftritt endet. (EvS)
Markus Heitz : „Doors“, drei Bände, Knaur, ca. 300 Seiten pro Band, 9,99 Euro. E-Books: jeweils 9,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Briefwechsel I: Arno Schmidt und Hans Wollschläger
Der Kontakt bricht Anfang des Jahres 1971 unvermittelt ab. Enttäuscht teilt Hans Wollschläger (1935–2007) einem Bekannten mit: „Nee, das kann er mit mir nun und nimmermehr machen, und so war denn mein Brief auch das Letzte, was ich ihm schrieb“. Der Ärger über „Arno of Arnoheim“ war wohl zu groß. Tatsächlich hatte Arno Schmidt (1914–1979) seinem langjährigen Briefpartner zuletzt nur noch mit einem kargen „Dank & Gruß – Arno Schmidt“ geantwortet. Der nun komplett edierte Briefwechsel ist so speziell wie seine Autoren es sind. Ein Monstrum. Aber ein liebenswertes. Eine Spezialität. Aber eine mit vielen Zugängen. Die Korrespondenz der beiden so hellen wie eigensinnigen Köpfe ist ein Gewinn und auch ein Spaß. Erst recht dann, wenn sich Schmidt und Wollschläger über alle, wirklich alle anderen das Maul zerreißen. (M. Oe.)
„Arno Schmidt – Der Briefwechsel mit Hans Wollschläger“, hrsg. von Giesbert Damaschke, Suhrkamp, 1034 S., 68 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Briefwechsel II: Hermann Lenz und Hanne Trautwein
Als „Fremdling“ und „erledigt“ hatte sich der Schriftsteller Hermann Lenz lange Zeit selbst gesehen. Und in der Tat schien dieser Autor, den heute viele bewundern und als „schwäbischen Proust“ bezeichnen, für die Gegenwart nicht geschaffen. Und ohne seine Frau Hanne Trautwein, die sich als Kunsthistorikerin und Verlagslektorin nach den bitteren Kriegsjahren eine eigene Position und Anerkennung erarbeitet hatte, wäre seine Geschichte sicherlich nicht so glücklich verlaufen. Jetzt ist zum ersten Mal der Briefwechsel zwischen beiden aus den Jahren 1937 bis 1946 erschienen, der nicht nur ihren tiefen inneren Zusammenhalt bezeugt. Die fast 600 Briefe und Karten zeigen zwei Persönlichkeiten, die sich ihren Lebensmut auch in der Zeit der Trennung durch Krieg und Gefangenschaft nicht nehmen lassen. (WoS)
Hermann Lenz und Hanne Trautwein: „Der Briefwechsel 1937 – 1946“, Suhrkamp, 1074 Seiten, 48 Euro. E-Book: 39,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Alles auf Anfang
Im Anfang. Nicht erst seit Hermann Hesse wohnt diesen Worten ein Zauber inne. Mit ihnen hebt die vielleicht bedeutendste Textsammlung der Weltliteratur an: die Bibel. Als „eine große Erzählung“ über Gott, die Menschheit und ihre Geschichte charakterisiert sie das Buch „73 Ouvertüren“. 50 Bibelwissenschaftler, Frauen und Männer, haben sich damit etwas vorgenommen, worauf man eigentlich längst einmal hätte kommen können: sämtliche Einzelschriften des Alten und Neuen Testaments von ihren ersten Sätzen her zu erschließen. Doch keiner der Beiträge zu den 46 alttestamentlichen und 27 neutestamentlichen Büchern hält sich allein mit den jeweils ersten Sätzen auf. Stattdessen weiten sie den Blick auf Aufbau, inhaltliche Akzente, erzählerische Höhepunkte und – in knapper Form – Wirkungsgeschichte. Was wäre denn auch ein Anfang, auf den nichts folgte? (jf)
„73 Ouvertüren“, hrsg. von Egbert Ballhorn und Georg Steins, Gütersloher Verlagshaus, 704 Seiten, 39 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Revolution an der Wupper
Revolution im Tal der Wupper im Jahre 1918! Es ist ein spannendes Kapitel Zeitgeschichte, das der Historiker Reiner Rhefus plastisch erzählt. „Schauplätze, Ereignisse und Akteure“, heißt es im Untertitel des Buches, akribisch recherchiert, mit aufschlussreichen Hintergründen, ausführlich zitierten Zeitzeugen und Zeitdokumenten. Rhefus nimmt seine Leser auf eine chronologisch erzählte Zeitreise: von der Ankunft der revolutionären Matrosen am 8. November, der Bildung der Arbeiter- und Soldatenräte bis hin zu den ersten freien Kommunalwahlen in den Wupperstädten. Allein die Foto-Dokumente ergeben einen historischen Stadtführer, mit dem sich der Besucher im Wuppertal auf die Spur der Arbeitergeschichte begeben kann. (hch)
Reiner Rhefus: „Empor aus Nacht zum Licht“, Klartext Verlag, 456 Seiten, 24, 95 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Frühe Fotografien vom Niederrhein
Der Düsseldorfer Fotograf Erwin Quedenfeldt (1869-1948) hat einen schwarz-weißen Bilderschatz hinterlassen. Der zeigt Städte, Landschaften und Menschen am Niederrhein zu einer Zeit, die vom Ersten Weltkrieg noch nichts wusste. Nicht die Idylle wird hier gefeiert, sondern die Alltagsrealität mit Backsteinbau und Feldarbeit. All das gibt es nun in einem so schönen wie bewegenden Bildband. (M. Oe.)
„Am Niederrhein“, hrsg. von Helge Drafz (u.a.), Greven, 296 Seiten, 40 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Zur See mit Jacques Devaulx
Als die Welt noch nicht per GPS zu erkunden war, kam es auf zuverlässige Karten an. Dass dabei die Ästhetik eine großartige Rolle spielen kann, beweist die Handschrift „Les premières œuvres de Jacques Devaulx“ von 1583. Nun zeigt uns ein Prachtband all die Illustrationen des Kosmografen und Kartografen Devaulx aus Le Havre. Ein Schaustück erster Güte. (M.Oe.)
Jacques Devaulx: „Nautische Werke“, dreisprachige Ausgabe, Taschen, 264 Seiten, 100 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
In aller Kürze
Nora Bossong, 1982 in Bremen geboren, reist dichtend um die Welt und packt jetzt ihren Lyrik-Koffer aus in dem Band „Kreuzzug mit Hund“, ihrem ersten bei Suhrkamp (102 Seiten, 20 Euro). Es sind wunderbare Miniaturen aus Nah und Fern, mit sanfter Ernsthaftigkeit, gelegentlicher Spitzzüngigkeit, erheiternden Entdeckungen und stets im historischen Bewusstsein. Ein Gewinn. (M. Oe.)Das Buch und E-Book auf Amazon
Hiltrud Kier Brevier „Köln – Architektur und Kunst“ (Reclam, 12,80 Euro) gibt es jetzt in einer aktualisierten und wieder ansehnlich gestalteten Ausgabe. Wer sich auf die Stadt einlässt, ist bei der ehemaligen Stadtkonservatorin und Generaldirektorin der Kölner Museen bestens aufgehoben. (M. e.)Das Buch und E-Book auf Amazon
Ford Madox Ford hat sich für „Die allertraurigste Geschichte“ (Diogenes, im Schuber, 29 Euro) mächtig ins Zeug gelegt, wie er sagte. Ein Roman über zwei Paare und ihre sich kreuzenden Beziehungslinien, erstmals 1915 erschienen und heute ein Klassiker der modernen englischen Literatur. (M. Oe.)Das Buch und E-Book auf Amazon
Neil Mac Gregor war in den vergangenen Jahren ein viel gefragter Museums-Mann – in London wie in Berlin. Dennoch hat er zudem Zeit für einige Bestseller gefunden. Darunter „Die Geschichte der Welt in 100 Objekten“. Ähnlich populär und bilderreich präsentiert er nun „Leben mit den Göttern“ (C.H. Beck, 39,95 Euro). Ein Reise zu den Religionen und Ideologien einst und jetzt. (M. Oe.)Das Buch und E-Book auf Amazon
Buch-Tipps aus dem November 2018
Das Gift der Spinne
Intuition bestimmte schon häufig das Handeln des Pariser Kommissars Jean-Baptiste Adamsberg. Doch seit er aus einem Islandurlaub zurückbeordert wurde in die französische Metropole, scheint der schmächtige Südfranzose abgedrehter denn je. Der Chef sieht Gespenster – das jedenfalls glauben die Mitglieder seiner Brigade Criminelle, allen voran sein Stellvertreter Danglard.
So kommt es im jüngsten Roman von Fred Vargas alsbald zur Palastrevolution, und dem Kommissar bleiben nur einige wenige Getreue, um den vermeintlichen Mörder zur Strecke zu bringen. Das alles liest sich – nicht zuletzt dank der hervorragenden Übersetzung von Waltraud Schwarz – höchst vergnüglich. Die französische Krimischriftstellerin, die beste ihres Fachs im Nachbarland, läuft in „Der Zorn der Einsiedlerin“ sprachlich wie inhaltlich zur Höchstform auf. (P.P.)
Fred Vargas: „Der Zorn der Einsiedlerin“, dt. von Waltraud Schwarze, Limes, 512 Seiten, 23 Euro. E-Book: 18,99Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Die ganze Welt ist Pop
Gleich das erste, seitenfüllende Panel ist eine Wucht: Ein mit Popkulturikonen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollgepfropftes Städtepanorama. Einen besseren Auftakt hätte sich der niederländische Zeichner und Szenarist Typex, bürgerlich Raymond Koot, unmöglich für seine gewaltige Comic-Biografie des Andy Warhol ausdenken können „Andy – A Factual Fairytale“.
Er erzählt – mit einer Fülle optischer Sidegags – die Geschichten hinter den Bildern, von denen der Künstler stets behauptet hatte, dass sie nicht existieren, dass die Oberfläche nichts verberge. Hier begegnet uns auch der verletzte und verletzende Mensch Warhol. Allerdings verrennt sich Typex nie in die Schlüssellochperspektive. Kurz: „Andy“ umfasst die ganze Welt, und die ganze Welt ist Pop. (cbo)
Typex: „Andy – A Factual Fairytale: Leben und Werk von Andy Warhol“, dt. von Cornelia Holfelder-von der Tann, Carlsen, 568 S., 48 Euro.Das Buch auf Amazon
Am Ende ist es Liebe
Der Tod ist die immerwährende Herausforderung des Lebens, ihn zu besiegen ein Urtraum des Menschen. So forschen Wissenschaftler an der Kreation eines optimierten Menschen, der kein Alter mehr kennt. Der französische Autor Frédéric Beigbeder, im Jahre 1965 in Neuilly-sur-Seine geboren, geht in seinem neuen Roman diesen Versprechen nach. Beinahe endet der Roman in einem Science-fiction-Szenario, das Bram Stoker zur Ehre gereicht hätte: die Aussicht auf Lebensverlängerung durch frisches Blut lässt „Best Agers“ Jagd auf ihre Nachkommen machen.
Aber dann entscheidet sich der Schriftsteller doch noch für ein versöhnliches Ende. „Meine Romane sind ein Mix aus Reportage und Delirium“, hat Frédéric Beigbeder einmal gesagt. Das charakterisiert auch dieses Buch recht gut. Ein Parforceritt durch die Labore der Gen-Sequenzierer und ihrer Geldgeber gepaart mit der Getriebenheit und dem Selbstmitleid eines mittelalten Mannes, der doch noch die Erfüllung einer späten Liebe und Vaterschaft erfährt. (bie)
Frédéric Beigbeder: „Endlos leben“, Piper Verlag, 384 S., 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Auftragskiller in Köln
Mein Mann ein Auftragskiller? Dorit Zeiner schließt diese Möglichkeit nicht aus, nachdem sie die Fotos von mehreren Toten und eine Waffe in der Garage ihres Partners gefunden hat. Martin Zeiner, der langweilige Verfassungsschützer, ist offensichtlich ein Mann mit vielen Talenten.
„Engels Tod“ ist der dritte Band einer Reihe um Lena Larcher. Reinhard Rohn hat die Serie 2015 aufgelegt, und wie auch zwei weitere Krimireihen des Autors spielt sie in Köln. Rohn erzählt eine psychologisch stimmige Geschichte über eine verirrte Seele, die schon früh auf Abwege gerät. Interessanter Plot, viel Spannung, viel Kölner Lokalkolorit. (P.P.)
Reinhard Rohn: „Engels Tod“, dtv, 316 Seiten, 10,95 Euro. E-Book: 9,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Heiße Ware aus Meißen
Es gibt Grund zu Frohlocken. Denn hier geht es um einen neuen Roman von Martin Suter und einen neuen Fall für und um Johann Friedrich von Allmen, die beide rundum geglückt sind. Nicht dass uns die letzten beiden Bände um den kultivierten Lebemann gelangweilt hätten. Doch bei diesem nun insgesamt fünften Fall geht es nicht überambitioniert zu. Nicht meint man, die Anstrengung zu spüren, die das Tüfteln und Feilen am Text erfordert haben.
Vielmehr ergänzen sich in „Alllmen und die Erotik“ Finesse und Witz, Logik und Spannung vortrefflich, so dass dem Leser ein Lesevergnügen bereitet wird. Im besten Sinne atmet dieser Krimi, der eher eine Gesellschaftssatire ist, den Charme der alten Krimiwelt: Es ist ein gleichermaßen entspanntes wie souveränes Erzählen. (M. Oe.)
Martin Suter: „Allmen und die Erotik“, Diogenes, 268 S., 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Schule des Lebens
Der neue Roman von Wolf Haas ist schon wieder kein neuer Brenner-Krimi, sondern das mittlerweile vierte brennerfreie Buch vom Haas. „Junger Mann“ beweist abermals: Haas braucht den Brenner nicht, um ein brillanter Romancier zu sein.
Der 13-jährige Ich-Erzähler läuft seit einem frühkindlichen Skiunfall als Pummelchen herum, trägt dafür aber einen für sein Alter und für sein österreichisches Heimatdorf ziemlich gescheiten Kopf auf den Schultern. Um bei Mädchen anzukommen, ist das eine allerdings so hinderlich wie das andere nutzlos. „Junger Mann“ ist gleich zwei Dinge in einem: ein absurd schlaues Jugendbuch über die erste Liebe und eine Geschichte über junge Erwachsene, deren Verlorenheit sich in den verständnislosen Augen des Erzählers spiegelt. (KoM)
Wolf Haas: „Junger Mann“, Hoffmann & Campe, 240 Seiten, 22 Euro, E-Book: 16,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
Menschenhandel in Köln
Als auf einem Arbeiterstrich in Köln zwei junge Roma ermordet werden, decken der türkischstämmige Kriminalhauptkommissar Can und seine Chefin Simone ein undurchdringliches Geflecht aus Korruption, Ausbeutung und Menschenhandel auf. Ein prominenter Baulöwe hält die Fäden in der Hand, erscheint jedoch unangreifbar.
Für ihren semidokumentarischen Thriller „Feinde“ recherchierte Susanne Saygin die beklemmende Lage von Dumping-Löhnern im Baugewerbe sowie die Szene südosteuropäischer Zwangsprostitution. Die Figuren der emotionalen Handlung sind minuziös gezeichnet und bleiben in Erinnerung, das Lokalkolorit ist stimmig. Ein beachtlicher Debütroman! (EvS)
Susanne Saygin: „Feinde“, Heyne, 352 Seiten, 12,99 Euro. E-Book: 9,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
1913: Das Jahr einer unglaublichen Fülle
Das meistverkaufte Sachbuch war vor einigen Jahren Florian Illies’ „1913 – Der Sommer des Jahrhunderts“. Jetzt legt der Autor nach und präsentiert „1913 – Was ich unbedingt noch erzählen wollte“. Kann so etwas gut gehen? Selbes Jahr, selbe Machart? Ja, es kann und es ist in diesem Fall auch gut gegangen.
Wer sich von den Geschichten und Anekdoten des ersten Bandes hat faszinieren lassen, den wird auch der zweite begeistern. Es trägt wesentlich zur Unterhaltsamkeit der Lektüre bei, dass „1913“ das Buch eines Feuilletonisten ist, nicht das eines an strengere Regeln gebundenen Historikers. Gerade diese freiere Form, die Beschreibung der kleinen Schwächen, menschlichen Unzulänglichkeiten und teils bizarren Kuriositäten macht einen Großteil der Leselust aus, schließlich geht es um Epoche-prägende und bis heute wirksame Figuren, um Promis, wenn man so will. (Hz)
Florian Illies: „1913 – Was ich unbedingt noch erzählen wollte“, S. Fischer, 304 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.Das Buch und E-Book auf Amazon
In aller Kürze
Wolf Wondratschek , mittlerweile 75 Jahre alt, hat sein umfangreiches lyrisches Werk gesichtet. Nicht alle Texte aus der Frühzeit konnte er auffinden, wie er schreibt, und dennoch liegt jetzt eine schöne Kassette mit 13 schmalen Bänden vor. Es sind Verse voller Lebenslust – und damit sind nicht nur die vielen gemeint, in denen von der Liebe die Rede ist. Da liest man sich gerne fest: „Gesammelte Gedichte“ (Ullstein, 58 Euro). (M.Oe.)Das Buch auf Amazon
Der „Tausend-Zeichen-Klassiker“ (dt. von Eva Lüdi Kong, Reclam, 24 Euro) ist Chinas älteste Schulfibel – und zuweilen noch heute im Einsatz. Die Schrift aus dem 6. Jahrhundert führt nicht nur ein in die Kalligraphie, sondern informiert in 250 mal 4 Zeichen über alles Wichtige der (damaligen) Welt. (M.Oe.)
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Im April 1933 eröffnet Ferdinand Ostertag, aus Berlin geflohen, die erste deutsche Exilbuchhandlung in Paris. Ein Gästebuch mit vielen prominenten Namen ist die Basis einer historischen Recherche von Inge Thöns und Herbert Blank: „Librairie Au Pont de l’Europe“ (Wallstein, 39 Euro). (M. Oe.)
Süffig, süffisant, diplomatisch erzählt Knut Bergmann eine Geschichte der Bundesrepublik entlang der Staatsbankette: „Mit Wein Staat machen“ (Insel, 25 Euro). Was wurde aufgetischt, was kredenzt, wenn hoher Besuch anstand? Dabei erweist sich der Autor als kundiger Önologe, der weiß, dass der Rotwein für Haile Selassie anno 1954 aus einem „schrecklichen Jahrgang“ stammte. (M. Oe.)
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Buch-Tipps aus dem Oktober 2018
Belletristik
Alex Capus: Erzähler in einer Winternacht
Der Roman „Königskinder“ des Schweizer Schriftstellers Alex Capus, der 1961 in Frankreich geboren wurde, ist in der Schweiz so gut angekommen, dass der Titel dort die Bestsellerliste stürmte. Sein moderner Heimatroman taugt aber auch weit über die Alpen hinaus für entspannte Unterhaltung. Schnell fühlt sich der Leser eingebunden in die intime Erzählsituation. Er sitzt gleichsam auf der Rückbank eines eingeschneiten Wagens und erfährt viel über das eheroutinierte Paar aus dem Hier und Heute – und noch mehr über das junge Glück einer Bauerstochter und eines Viehhirten aus der Vergangenheit. Alex Capus erzählt sein Schweizer Märchen leichtfüßig und anschaulich, mit sanften Brüchen und intensivem Sog. (M.Oe.)
Alex Capus: „Königskinder“, Hanser, 188 Seiten, 21 Euro. E-Book: 15,99 Euro.
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Maria Cecilia Barbetta: Argentinische Geschichte
Zehn Jahre nach dem markanten Debüt „Änderungsschneiderei Los Milagros“ erscheint der zweite Roman von Maria Cecilia Barbetta. Die Autorin erzählt jetzt in „Nachtleuchten“ argentinische Geschichte von unten, hält sich aber von einer Geschichtsstunde fern. Es geht nicht zuletzt um die wesentlichen, wenn auch ungreifbaren Wahrheiten: Dass Menschen in ihrem Mikrokosmos selten mitbekommen, was sich an großer Entwicklung im Nachhinein so klar abgezeichnet hat. Und dass sie, selbst wenn sie es mitbekommen, wenig dagegen tun können. Dass der große Schrecken noch bevorsteht, grundiert die leichtsinnige Fröhlichkeit von „Nachtleuchten“ rabenschwarz. (JvS)
Maria Cecilia Barbetta: „Nachtleuchten“, S. Fischer, 522 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.
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Inger-Maria Mahlke: Geschichte läuft rückwärts
Dieser Roman ist wie eine Filmspule, die gegen die Laufrichtung der Kamera rebelliert. Die Geschichte läuft rückwärts. Wirkungen werden zu Ursachen. Ausgänge zu Aufbrüchen. Resultate zu Erwartungen. Ein literarisches Experiment, das es in sich hat. Die Berliner Autorin Inger-Maria Mahlke, die ihre Kindheit teilweise auf Teneriffa verbrachte, erzählt die Geschichte der Kanareninsel von 2015 bis 1919. (JoB)
Inger-Maria Mahlke: „Archipel“, Rowohlt, 432 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.
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Francesca Melandri: Italien in Afrika
Francesca Melandri nimmt den Leser in „Alle, außer mir“ mit durch acht Jahrzehnte italienischer und äthiopischer Geschichte, erzählt die kleinen und großen Dramen einer Familie aus dem Provinznest Lugo in der nebeldurchzogenen Po-Ebene. Es gelingt ihr, einen weiten historischen Bogen äußerst lebendig und unterhaltsam mit Figuren zu bevölkern. Aber, und das ist wohl die größte Leistung ihres großartigen Buches: Durch den Kunstgriff, einen Migranten aus Subsahara-Afrika mit offenbar halb-europäischen Vorfahren vor die Tür einer linksliberalen Bildungsbürgerin zu setzen, verbindet sie eine tiefernste Auseinandersetzung mit der an Grausamkeiten reichen italienischen Kolonialvergangenheit mit einem schonungslosen Blick auf den Zynismus der italienischen Migrationspolitik heute. (ps)
Francesca Melandri: „Alle, außer mir“, dt. von Esther Hansen, Wagenbach, 608 Seiten, 26 Euro. E-Book: 23,99 Euro.
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Delphine de Vigan: Kindheitstrauma
Die französische Bestseller-Autorin Delphine de Vigan nimmt sich mit „Loyalitäten“ wieder eines ihrer großen Themen an. Es geht um Kindheitstraumata. Ihre eigenen Lebensbrüche – den Suizid der Mutter, die eigene Magersucht – hat sie bereits literarisch verarbeitet. Jetzt ist es erstaunlich zu bemerken, wie es ihr auf gerade einmal knapp 180 Seiten gelingt, vier unterschiedliche Sichtweisen glaubwürdig abzubilden. Ihre Sprache ist dabei klar, geprägt durch Hauptsätze. Sie beschreibt präzise, drückt nicht auf die Tränendrüse und findet dennoch Formulierungen, die lange nachwirken. Ein Roman, der dazu auffordert, genauer hinzuschauen, ehrlich zu sich und anderen zu sein. Ein Appell, nicht aus unhinterfragter Loyalität die Augen vor Missbrauch und Vernachlässigung zu verschließen. (amb)
Delphine de Vigan: „Loyalitäten“, dt. von Doris Heinemann, DuMont, 176 Seiten, 20 Euro. E-Book: 15,99 Euro.
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Ursula Krechel: Auf der Achterbahn durch die Republik
Ursula Krechels „Geisterbahn“ umspannt Nationalsozialismus und 50er Jahre. Im Grunde poltert die Achterbahn des Lebens in diesen Jahren durch so viele Schrecken und entpuppt sich die Erzählfülle als so wild und unüberschaubar, dass sie sich unmöglich zwischen zwei Buchdeckel bändigen lässt. Doch Krechel versucht sich als Dompteurin. Und am Ende spielen die Mühen der Komplexität keine Rolle mehr. Zu stark ist der Sog, ein Strudel, der einen mit Gewalt mit diesen Familiengeschichten verwirbelt. Lyrische Härte von gut 600 Seiten. Wer es überlebt, wird es nie mehr vergessen. (cle)
Ursula Krechel: „Geisterbahn“, Jung und Jung, 650 Seiten, 32 Euro. E-Book: 24,99 Euro.
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Charlotte Link: Die Suche nach Amelie
Saskia Morris ist tot. Die Polizei von Scarborough ist alarmiert. Umso mehr, als wenig später ein weiteres junges Mädchen vermisst wird: Amelie Goldsby verschwindet von einem Supermarktparkplatz. Sie sollte im Auto auf ihre Mutter warten. Es ist anzunehmen, dass auch „Die Suche“, der jüngste Kriminalroman von Charlotte Link, ein Bestseller wird. Das Zeug dazu hat er allemal. Es ist ein erfreulich handfester, breit erzählter Krimi, den man locker in einem Stück wegliest, ohne sich auch nur eine Minute zu langweilen. (P.P.)
Charlotte Link: „Die Suche“, Blanvalet, 656 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.
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Jonas Jonasson: Der Hundertjährige muss noch mal ran
Jonas Jonasson, dem mit „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ einst ein Super-Bestseller gelungen war, schickt den alten Herrn erneut auf die Reise: „Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten“. Das Abenteuer führt ihn zunächst nach Nordkorea, wo er als vermeintlicher Experte Machthaber Kim Jong-un beim Atombombenbau helfen soll. Weil er aber eigentlich lieber Weltfrieden will, muss er danach auf eine Mission, die ihn über New York und Schweden bis nach Afrika führt und neben Kim Jong-un auch Donald Trump und Angela Merkel ins Geschehen integriert. Das alles erzählt Jonasson mit der gewohnt unterhaltsamen Lust am Fabulieren. Schade ist aber, dass die krude Mischung aus Albernheiten und offensichtlich sehr ernst gemeinten politischen Botschaften nicht so recht zu überzeugen vermag. (amb)
Jonas Jonasson: „Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten“, dt. von Wibke Kuhn, C. Bertelsmann, 448 Seiten, 20 Euro, E-Book: 15,99 Euro.
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Helene Hegemann: Stress in der Nachbarschaft
Dass der Roman „Bungalow“ von Helene Hegemann auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand, ist auf der sprachlichen Ebene gerechtfertigt. Wie in ihrem Debüt „Axolotl Roadkill“ – damals war die in Berlin lebende Hegemann gerade einmal 17 Jahre alt – und ihrem Zweitwerk „Jage zwei Tiger“ (2013) erweist sich die Autorin als enorm bildmächtig. Auf den fast 300 Romanseiten aber nutzen sich der Zynismus und die Langeweile ab, dass fortwährend geflucht, gekotzt, gepisst und allerlei mehr wird, ebenfalls. Der Leser bleibt am Ende merkwürdig unberührt zurück. (sbs)
Helene Hegemann: „Bungalow“, Hanser Berlin, 283 Seiten, 23 Euro. E-Book: 16,99 Euro.
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Viet Thanh Nguyen: Vietnamesen nach dem Krieg
Der Abflug der letzten Hubschrauber vom Gelände der US-Botschaft in Saigon am 30. April 1975 hat sich als Sinnbild des schmählichen Davonmachens tief eingebrannt ins kollektive Gedächtnis vieler Amerikaner und Vietnamesen. Auch in Viet Thahn Nguyens preisgekrönten Romandebüt „Der Sympathisant“ setzt die Handlung kurz vor dem Fall von Saigon ein, ehe sich der Spionagethriller in die Staaten verlagert. 1975 ist auch das Jahr, in dem Nguyens Eltern mit ihrem 1971 geborenen Sohn in die USA übersiedelten. Die Hoffnungen und Härten der Migration sind für den Autor also nicht nur ein literarisches Sujet, das er aus sicherem Abstand betrachten könnte, sondern höchstpersönliche Familiengeschichte. Thahn Nguyen ist längst angekommen in den USA. Für viele Figuren in seinem neuen Erzählband „Die Geflüchteten“ gilt das aber nur eingeschränkt. (ThK)
Viet Thanh Nguyen: „Die Geflüchteten“, deutsch von Wolfgang Müller, Blessing, 224 Seiten, 22 Euro.
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Juli Zeh: Überforderte Eltern
Schon Juli Zehs Roman „Leere Herzen“, 2017 erschienen, überzeugte nicht. Und auch „Neujahr“, das frisch erschienene Werk, wirkt stellenweise wie eilig und unter Zeitdruck hingeschrieben. Schade ist das, denn spätestens seit dem Megaerfolg ihres Romans „Unterleuten“ (2016) gilt Juli Zeh als eine der führenden Autorinnen Deutschlands. Vielleicht hätte sie sich mehr Zeit nehmen sollen für einen Stoff, der durchaus Potenzial hat. Überforderte Eltern, ein moderner Vater, dem das Leben zu viel wird. Vielleicht auch sind 200 Seiten einfach zu wenig für so viel Chaos und so viele Katastrophen. (P.P.)
Juli Zeh: „Neujahr“, Luchterhand, 194 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro.
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Andreas Eschbach: Das Internet der Nazis
Es ist nur eine verrückte Fantasie, aber sie lässt uns das Blut in den Adern gefrieren: Angenommen, in der Zeit des Nationalsozialismus hätte es bereits das Internet gegeben, E-Mails, Mobiltelefone sowie soziale Medien. Wie hätten die Nazis diese Technologie genutzt? Vermutlich zur totalen Überwachung und zur Durchsetzung ihrer menschenverachtenden Ideologie. Genau diese Idee spielt Andreas Eschbach in seinem fesselnden Roman „NSA – Nationales Sicherheits-Amt“ bis ins Letzte Detail durch. (EvS)
Andreas Eschbach: „NSA – Nationales Sicherheitsamt“, Lübbe, 796 Seiten, 22,90 Euro. E-Book: 16,99 Euro.
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Guram Dotschanaschwili: Erschaffung der Welt
Hinaus aus seinem Dorf will der 19-jährige Domenico, die Welt kennenlernen, ermutigt durch ein pralles Geldsäcklein vom Vater. Wer erwartet, Guram Dotschanaschwili werde nun von einer Reise durch Georgien erzählen, wird auf oft hinreißende Weise enttäuscht. Sein Roman „Das erste Gewand“ spielt im Irgendwo. Entfesselte Phantasie erschafft sich die „Welt“, durch die Domenico geschleust wird, und setzt sie doch in Beziehung zur Realität. (RH)
Guram Dotschanaschwili: „Das erste Gewand“, dt. von Susanne Kihm und Nikolos Lomtadse, Hanser, 688 S., 32 Euro. E-Book: 25,99 Euro.
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Nino Haratischwili: Gewalttat in Tschetschenien
Nino Haratischwili, die zunächst als Dramatikerin bekanntwurde und mit den Zwängen und Beschränkungen einer Bühnenarbeit vertraut ist, neigt als Romanautorin zum Ausufernden. Zuletzt 2014 mit dem Epos „Das achte Leben (für Brilka)“, jetzt mit dem Titel „Die Katze und der General“, der auf der Liste der letzten sechs Kandidaten für den Deutschen Buchpreis steht. Im Zentrum steht dabei eine Vergewaltigung während des Tschetschenien-Kriegs – und wie versucht wird, dieses Verbrechen aufzuklären. Dabei ist markant, dass vieles von dem, was der Autorin vor vier Jahren mit scheinbar so leichter Hand gelang – das Verschlungene des Schicksals aufzuzeichnen und den Fortgang der Dinge von Generation zu Generation –, diesmal schwerfälliger wirkt, konstruierter. (JvS)
Nino Haratischwili: „Die Katze und der General“, Frankfurter Verlagsanstalt, 766 Seiten, 30 Euro. E-Book: 22,99 Euro.
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Sachbücher
Dave Eggers: Heißer Kaffee
Dave Eggers’ koffeinhaltige Abenteuergeschichte „Der Mönch aus Mokka“ ist kein weiterer Roman wie „Ein Hologramm für den König“ oder „Der Circle“. Den jungen Amerikaner im Zentrum der Geschichte gibt es wirklich, Eggers hat mit ihm hunderte lange Interviews geführt. Mokhtar Alkhanshali hat nicht nur verdammt viel Glück gehabt, dass er 2015 von seiner Reise in den Jemen, der Heimat seiner Eltern, wohlbehalten zurückgekehrt ist nach Kalifornien. Er hat auch seine Mission, den Jemen wieder auf der Weltkarte des außergewöhnlichen Kaffees zu platzieren, mehr als erfüllt. Eggers feiert, indem er Mokhtar Alkhanshalis Geschichte erzählt, die USA als ein „Land elementarer Chancen und unbegrenzter Offenheit“. Was für eine Schande, dass das den Präsidenten nicht die Bohne interessiert. (ThK)
Dave Eggers: „Der Mönch von Mokka“, dt. von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, Kiepenheuer & Witsch, 384 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.
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Tanjev Schultz: Standardwerk über den NSU-Terror
Dieses Buch hat das Zeug zum Standardwerk über die beispiellose Mordserie der rechtsradikalen Terrorzelle und die Frage, warum Beate Zschäpe und ihre Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos so lange unentdeckt bleiben konnten. Ausführlich und mit großer Sachkenntnis leuchtet Tanjev Schultz, der an der Universität Mainz lehrt und sich als Redaktionsmitglied der „Süddeutschen Zeitung“ jahrelang mit innerer Sicherheit beschäftigt hat, die rechte Szene und deren Abgründe aus. Dass das Buch einige Wochen nach dem Ende des NSU-Verfahrens vor dem Oberlandesgericht München erscheint, mindert weder seine Aktualität noch beschleunigt es sein Verfallsdatum. (bk)
Tanjev Schultz: „NSU – Der Terror von rechts und das Versagen des Staates“, Droemer, 576 Seiten, 26,99 Euro. E-Book: 23,99 Euro.
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Adam Zamoyski: Napoleons Leben
Der Historiker Adam Zamoyski vermeidet es, dem Leser eine neue Hagiographie von Napoleon vorzulegen. Er zeigt vielmehr die Vielseitigkeit eines Mannes auf, der mit seiner krächzenden Stimme Soldaten Dinge tun ließ, die sie wohl sonst nie in ihrem Leben getan hätten. In diesem Buch ist jedes Kapitel pure Unterhaltung. Eine lesenswerte Biografie. (MH)
Adam Zamoyski: „Napoleon – Ein Leben“, dt. von Ruth Keen und Erhard Stölting, C.H. Beck, 864 Seiten, 29,95 Euro. E-Book: 24,95 Euro.
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Kent Nerburn: Unterwegs mit Dan vom Stamme der Lakota
Dies ist ein großes Buch, inhaltsschwer, angefüllt mit Erinnerungen an die Zeit der unglaublichen Gewalt, die den Ureinwohnern Nordamerikas widerfuhr, als die Weißen ihnen ihr Land entrissen. Die Überfallenen zählten zur Zeit des Mordens – so ist es zu lesen in Kent Nerburns mitreißendem Werk „Nicht Wolf nicht Hund“ – weniger als Hirsche oder Fische. Das sagt Dan, ein Lakota-Indianer. Er lebt in einem Reservat mitten in der Prärie im Norden der USA. Er ist unglücklich, unversöhnt, unleidlich, aber mitteilungsbedürftig, weil er geschliffen und scharf reden kann, eindrücklich und einprägsam.
Kent Nerburn: „Nicht Wolf nicht Hund: Auf vergessenen Pfaden mit einem alten Indianer“, dt. von Sky Nonhoff, C. H. Beck, 350 Seiten, 24,95 Euro. E-Book: 19,99 Euro.
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Massimo Listri: Bildband über die schönsten Bibliotheken
Fast meint man die Bibliotheken zu riechen, durch die man hier geleitet wird. So nah kommt man den Buchrücken, den Regalreihen, den Folianten bei Massimo Listris Führung zu den „schönsten Bibliotheken der Welt“. Der Prachtband bietet eine bibliophile Bilderstrecke vom Feinsten. Massimo Listri hat einige der schönsten Bibliotheken in Europa und Amerika fotografiert. In New York, Rio, Schussenried, im Detail und in der Totalen. Auf diese Weise hat er Kathedralen des Geistes dokumentiert, deren Schönheit überwältigend ist. Von ihrem Wissenswert für die Menschheit wollen wir erst gar nicht reden. (M.Oe.)
Massimo Listri: „Die schönsten Bibliotheken der Welt“, mit Aufsätzen von Georg Ruppelt und Elisabeth Sladek, Taschen Verlag, dreisprachig, Hochformat, 560 Seiten, 150 Euro.
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Lewis W. Hine: Bildband über Kinderarbeit in den USA
Als der Lehrer Lewis W. Hine im Jahr 1908 begann, die Kinderarbeit in Fabriken, auf Farmen oder den Straßen amerikanischer Städte zu dokumentieren, gab es in den USA eigentlich längst Gesetze gegen die Ausbeutung von Minderjährigen. Es kümmerte sich nur kaum jemand darum, ob sie auch eingehalten wurden. Erst das Nationale Komitee gegen Kinderarbeit setzte sich für die Einhaltung und Verschärfung der Gesetze ein und beauftragte Männer wie Hine damit, Beweise für den millionenfachen Raubbau an der Kindheit zu beschaffen. Hine brachte tausende Beweisaufnahmen mit heim, die heute teilweise zu den Ikonen der Fotografie-Geschichte zählen. (KoM)
Lewis W. Hine, Wilfried Kaute: „The Boss don't care – Kinderarbeit in den USA 1908–1917“, mit circa 300 Fotografien von Lewis W. Hine, Emons Verlag, 320 Seiten, 39,95 Euro.
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Kinder- und Jugendbücher
Renn‘ um dein Leben
Ghost krempelt die Jeans hoch, steckt die Schnürsenkel in die Schuhe, rennt los. Als der Jugendliche eines Nachmittags ein Lauftraining beobachtet, macht er kurzerhand mit. Denn Rennen, das kann Ghost, seit sein Vater die Mutter und ihn erschießen wollte. Jetzt sitzt der Vater im Gefängnis, die Mutter kann kaum den Lebensunterhalt finanzieren und Ghost boxt sich so durch. Doch dann, nach dieser Sportplatznummer, wird Ghost in das Läuferteam aufgenommen – unter der Prämisse, dass er sich in der Schule nichts mehr zu Schulden kommen lässt. Das klappt natürlich hervorragend.
Mit Ghost hat Jason Reynolds einen Jungen erschaffen, wie es ihn wohl hundertfach an amerikanischen, aber auch deutschen Schulen gibt: Eigentlich ein netter Typ, der aber durch seine Lebensumstände so voller Wut ist, dass er sich nicht mehr kontrollieren kann – und immer weiter abrutscht. Für Ghost ist die Laufmannschaft die Rettung. Und nicht nur für ihn. In den Nachfolgeromanen wird Reynolds noch andere Jugendliche aus der Laufmannschaft porträtieren. (aso)
Jason Reynolds: „Ghost: Jede Menge Leben“, deutsch von Anja Hansen-Schmidt, dtv, 224 Seiten, 14,95 Euro. E-Book: 12,99 Euro, ab 12.
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Aufbruch in die Märchenwelt
Als eines Tages ihre Mutter Ella verschwindet, ist Alice Unglück schon lange gewohnt. Es verfolgt die Siebzehnjährige, seit sie denken kann. Um ihre Mutter wiederzufinden, bricht Alice entgegen aller Warnungen mit ihrem Mitschüler Finch auf nach Hazel Wood, dem Anwesen ihrer verstorbenen Großmutter. Althea Proserpine war eine berühmte Märchenerzählerin – und je näher die beiden Hazel Wood kommen, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen den Welten. Bis Alice in eine Welt tritt, die gefüllt ist mit all den Geschichten, die sie ihr Leben lang verfolgt haben.
Ein Teenager, der sich deplatziert (und wütend) fühlt und die Suche nach einer verschwundenen Mutter – was nach einer zu oft gelesenen Jugendbuch-Prämisse klingt, erzählt Melissa Albert in ihrem Debüt mit so viel Fantasie, dass es sich nie abgegriffen anfühlt. Die Geschichte lebt vom Umgang mit Märchen, von der düsteren Fantastik, die im Augenwinkel immer mitläuft. (elb)
Melissa Albert: „Hazel Wood: Wo alles beginnt“, deutsch von Fabienne Pfeiffer, Dressler, 352 Seiten, 19 Euro. E-Book: 14,99 Euro, ab 14.
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Ein erfundener Zwilling
Jule lügt überhaupt nicht – zumindest nicht mit Absicht. Sie ist einfach nur gut im Geschichtenerzählen. Und sehr spontan. Manchmal passiert es da einfach, dass die ein oder andere Unwahrheit entsteht. Zum Beispiel, als sie am ersten Tag in ihrer neuen Schule Sophie trifft – das Mädchen, das Jule am Vortag auf der Straße angezickt hat. Um es sich mit Sophie nicht zu verscherzen, erfindet Jule kurzerhand eine Zwillingsschwester, die all die gemeinen Dinge zu Sophie gesagt haben soll. Eine Zwillingsschwester, die bei Jules Vater wohnt und die sie nicht treffen darf. Dabei sind ihre Eltern überhaupt nicht geschieden! Jule und Sophie werden schnell beste Freundinnen. Problematisch wird Jules kleine Erfindung, als Sophie sich in den Kopf setzt, sie mit ihrer nicht existierenden Zwillingsschwester zu vereinen…
Luise Holthausen hat mit „Wie Jule einen Zwilling erfand und ihn nicht mehr loswurde“ ein Kinderbuch geschrieben, das auf unterhaltsame Weise eine einfache und altbekannte Botschaft vermittelt: Lügen haben kurze Beine. Belehrend wird die Geschichte dabei zum Glück aber an keiner Stelle. Stattdessen muss jeder selbst mitfühlen, wie Jule sich immer tiefer in ihren sogenannten „Fantasieaufsätzen“ verheddert. (elb)
Luise Holthausen, Eli Bruder: „Wie Jule einen Zwilling erfand und ihn nicht mehr loswurde“ Sauerländer, 144 S., 10 Euro. E-Book: 9,99 Euro, ab 8.
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Das hässliche Entlein reloaded
Als Frau Amsel zu ihrem Nest zurückkehrt, liegt neben den drei Eiern noch ein viertes, großes, rotes Ei. Frau Amsel ist irritiert und befragt die Tiere des Waldes. Die mutmaßen, dass es sich um ein Kuckucksei handeln könnte. Frau Amsel ist schockiert und versucht vergeblich, das fremde Ei aus dem Nest zu schubsen. Doch als eines Tages ein kleiner Drache daraus schlüpft und Frau Amsel „Mama“ nennt, ist jede Abscheu dahin – Frau Amsel liebt den kleinen Drachen und verzeiht ihm all seine Unzulänglichkeiten. Doch der leidet darunter, ein Außenseiter zu sein. So lange, bis der Winter kommt, und er den anderen Tieren des Waldes das Leben rettet.
Spätestens seit Hans Christian Andersen wissen wir, dass aus jedem hässlichen Entlein ein wunderschöner Schwan werden kann. Autor Michael Engler und Illustratorin Joelle Tourlonias greifen das berühmte Märchenmotiv in ihrem neuen Bilderbuch auf – mit einer altbekannten Botschaft: Jeder ist in seiner Individualität toll. Und die Illustrationen von Joelle Tourlonias sind es übrigens auch. (aso)
Michael Engler, Joelle Tourlonias: „Ein komischer Vogel“, Annette Betz, 32 Seiten, 14,95 Euro, ab 4
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Kurztipps
Krimi West-Berlin im Jahr 1968. Horst Mahler sitzt in U-Haft, bei einer Demo vor dem Landgericht fliegen die ersten Pflastersteine. Und im Wannsee wird eine Leiche gefunden. „Die Tote im Wannsee“ (Ullstein, 16 Euro) ist das vielversprechende Debüt von Lutz Wilhelm Kellerhoff alias Martin Lutz, Uwe Wilhelm und Sven Felix Kellerhoff. Der Roman des Trios zeichnet sich nicht nur durch eine gute Story aus – er lebt nicht zuletzt von der intensiven Recherche und der Fähigkeit der Autoren, den Zeitgeist jenes Schicksalsjahrs wieder lebendig werden zu lassen. (P.P.)
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Krimi Lisa Gardner, eine der besten amerikanischen Autorinnen von Spannungsliteratur, reiht in dem Thriller „Das zweite Opfer“ (deutsch von Bettina Zeller, rororo, 9,99 Euro) Rätsel an Rätsel – ohne die Übersicht zu verlieren. Jede Enthüllung verblüfft und wirft weitere Fragen auf. Das Finale übertrifft alle Erwartungen. (EvS)
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Böll-Preis Der Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln zum Nachlesen! In einem Bändchen der Reihe „lik“, erstellt von Gabriele Ewenz und veröffentlicht im Verlag der Buchhandlung Klaus Bittner, sind die Reden anlässlich der Preisverleihung an Ilija Trojanow im vergangenen Jahr versammelt (10 Euro). (M.Oe.)
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Köln-Literatur Die Kölner Parasitenpresse startet eine Reihe mit Stadtteilbüchern. Zum schönen Auftakt buchstabiert Peter Rosenthal das „Ehrenfeld Alphabet“ (8 Euro) – von A wie Ameisenhotel bis Z wie Zeit. Poetische Notizen sind das, die mal anekdotisch und mal historisch fokussiert das Areal erschließen. (M.Oe.)
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Fontane Norbert Mecklenburg, Kölner Germanistik-Professor, legt die Neubearbeitung seiner Studie zu Theodor Fontane (Metzler, 39,99 Euro) vor. Dabei stellt er dessen „Unterhaltungswert“ und „die Modernität seines Realismus“ heraus. Nicht zuletzt ist das ein kundig-kritischer Anreiz, Fontane zu lesen. (M. Oe.)
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Lyrik Bela Chekurishvili, geboren 1974 in Gurjaani (Georgien), arbeitet als Kulturjournalistin und studiert an der Universität Bonn. In „Barfuß“ (Wunderhorn, 112 Seiten, 19,80 Euro) versammelt sie Gedichte, die auf sanfte Weise von der Ungewissheit, dem Zweifel, dem Risiko des Verlustes handeln, von der Liebe und von Georgien. Ihr Kollege Norbert Hummelt hat die Gedichte ins Deutsche übertragen. (M.Oe.)