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Buch über Deutschlands Umgang mit MigrantenNicht erwiderter Wunsch nach Liebe

Lesezeit 4 Minuten
Stephan Anpalagan ist Autor und Theologe.

Stephan Anpalagan ist Autor und Theologe.

Stephan Anpalagans Buch „Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft“ ist genau das richtige Rüstzeug für die überhitzte Migrationsdebatte. Im März kommt er zur lit.Cologne.

Und plötzlich ist sie wieder in der öffentlichen Debatte: Die Leitkultur. Als Begriff erfunden wurde sie vor rund 25 Jahren, jetzt erlebt sie mit der Vorstellung des neuen CDU-Programmentwurfs eine Renaissance. Kein Wunder, das Zuwanderungs- und Integrationsthema rangiert auf einem Spitzenplatz einer oft stark emotionalisierten politischen Diskussion und die Umfrage-Konjunktur der AfD tut ein Übriges. Da kommt das Buch des Wuppertaler Theologen und Autors Stephan Anpalagan gerade recht, gewissermaßen als Text der Stunde.

Was ist deutsch, wer ist das „Wir“ im Slogan „Wir sind das Volk“, wer gehört dazu und wer nicht? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der vor knapp 40 Jahren in Sri Lanka geborene Anpalagan, der als Kleinkind mit seinen Eltern vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen ist. Die Frage nach Identität musste er nicht stellen, sie stellte sich ihm schon sehr früh, sah er doch anders aus als die Peters, Lennarts oder Julians in seiner Wuppertaler Grundschule. Anders eben, nicht so hellhäutig und blauäugig.

Anpalagan setzt sich intensiv mit der Integrationsgeschichte in Deutschland auseinander

Identität ist stark mit Gefühl verbunden, Zugehörigkeit oder Ausgrenzung, sie entscheiden über den eigenen Gemütshaushalt, über die seelische Balance. Angeregt von seinen eigenen Erfahrungen setzt sich Stephan Anpalagan intensiv mit der Integrationsgeschichte in Deutschland auseinander, einem durchaus schwierigen, auch schmerzhaften Prozess. In einer Rückschau schildert er, wie in den Wirtschaftswunderjahren wegen des Hungers nach billigen Arbeitskräften Italiener in großer Zahl angeworben wurden, später auch Griechen und Spanier.

In den Bergwerken und Stahlwerken waren sie hochwillkommen, dort leisteten sie ihren Beitrag zum wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands. Als Menschen, denen man beim Einkaufen, in der Kneipe oder beim Sport begegnen könnte, galten sie als Problem. Zu dunkel die Haut, das Temperament zu hitzig, das Messer zu locker - so die verbreitete Auffassung. Na ja, und außerdem mussten die heimischen Frauen vor den glutäugigen Verführern geschützt werden. Deshalb wohnten sie – häufig unter erbärmlichen Bedingungen und gleichzeitig zu Wucherpreisen – in Baracken.

Anders als – auch von ihnen selbst - gedacht, waren sie gekommen, um zu bleiben. Doch sie haben ganz überwiegend ihren Weg in die Mitte der Gesellschaft gemacht, haben das Land, nicht zuletzt kulinarisch, bereichert, sind akzeptierter Teil der deutschen Gesellschaft, als Nachbarn in der Reihenhaus-Siedlung oder Fans der Nationalmannschaft. Wenn man so will, gilt ihre Deutsch-Werdung weitestgehend als abgeschlossen.

Nicht so jedoch bei denen, die danach kamen. Der Lockruf der Wirtschaft zog weitere Menschen an, diesmal aus der fernen Türkei, dazu kamen Kriegsflüchtlinge aus anderen, oft muslimischen Ländern. Sie blieben fremd, nicht nur in der ersten, sondern auch in der zweiten und dritten Generation, die längst schon in Köln oder im Ruhrgebiet geboren war.

Hier geboren und Staatsbürger zu sein, bedeutet eben nicht, dazuzugehören

Anpalagan schildert anschaulich, wie selbst die große Integrationsmaschine Fußball bei Deutschen mit türkischen Wurzeln versagt. Er zitiert Hassmails, Tweets und verbale Attacken selbst auf Spitzenathleten, und die kommen teilweise – wie im Fall Özil oder Gündogan – selbst von Personen des öffentlichen Lebens. „Ich bin Deutscher, wenn wir gewinnen, aber Einwanderer, wenn wir verlieren“, klagt etwa Mesut Özil, „obwohl ich hier Steuern zahle, für Schulen spende und mit dem deutschen Team Weltmeister wurde.“ Anders als seine Kollegen Lukas Podolski oder Miroslav Klose, Spieler mit polnischen Wurzeln, ist er bestenfalls Deutsch-Türke. Hier geboren und Staatsbürger zu sein, bedeutet eben nicht, dazuzugehören.

„Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft“ hat Stephan Anpalagan sein gut lesbares Buch genannt. Er hat den Blick auf die Integrationsdebatte umgedreht: Es ist nicht der Blick der Mehrheitsgesellschaft auf die Zugewanderten, es ist der Blick desjenigen, der von außen kommt und liebend gerne dazugehören möchte – wenn man ihn nur ließe. Es ist, zusammengefasst, ein nicht erwiderter Wunsch nach Liebe, der aus Sicht Anpalagans zum Kern des Problems geworden ist.

Diese Perspektive ist reizvoll: Die sorgsam zusammengetragenen Fakten sind selten unbekannt, aber sie erscheinen in einem anderen Licht und lassen sich damit neu bewerten. Gleichzeitig formuliert Anpalagan mal spitz, mal humorvoll und immer klug. Das macht die Lektüre zu einem wichtigen Erkenntnisgewinn und einem guten Rüstzeug für die überhitzte Migrationsdebatte. Damit ist sie vermutlich ein tauglicherer Beitrag zur Integration als die aufgewärmte Forderung nach einer Leitkultur.


Stephan Anpalagan: „Kampf & Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft“, S. Fischer Verlag, 320 Seiten, 24 Euro, E.Book: 18,99 Euro.

Anpalagan ist im März bei der lit.Cologne zu Gast. Er spricht am 15. März, 20 Uhr, in der Kulturkirche in Nippes mit dem Extremismus-Experten Peter R. Neumann über „Logik der Angst - Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft“. Es moderiert Ferdos Forudastan. Tickets erhalten Sie hier.