Barbara Peveling beschreibt in ihrem Buch „Gewalt im Haus“, wie Gewalt gegen Frauen entsteht. Ein Gespräch über das Politische im Privaten.
Buch über häusliche Gewalt„Ich wollte, dass es eine politische Erzählung wird“
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Autorin Barbara Peveling mit ihrem Buch ‚Gewalt im Haus‘
Copyright: Alexander Schwaiger
Frau Peveling, bereits in den 60er Jahren machten Feministinnen in den USA mit dem Slogan „The private is political“ darauf aufmerksam, dass traditionelle Geschlechterrollen eine politische und keine private Angelegenheit sein sollten. Auch Ihr Buch vermittelt diese Botschaft. Wie erfolgreich waren die feministischen Kämpfe der letzten Jahrzehnte?
Als junge Frau war ich begeistert vom Feminismus. Dann habe ich am eigenen Körper Gewalt erfahren, die ermöglicht wurde, weil ich die typische Rolle einer Hausfrau eingenommen hatte. Die MeToo-Bewegung war für mich ein richtiger Widerstand. Aber letztens habe ich Trumps Inaugurationsrede gehört und gedacht, dafür haben wir das alles gemacht? Plötzlich sind alle Bemühungen wie weggefegt. Denn es gibt auch Widerstand von der anderen Seite, um die alten Strukturen weiter aufrechtzuerhalten.
Ihr Buch trägt den Untertitel „Intime Formen der Dominanz“. Bedeutet dieser Titel, dass die männliche Dominanz im Haus noch immer als eine private, intime Angelegenheit gesehen wird?
Ja, mein Buch konzentriert sich auf die Machtverhältnisse im familiären Bereich. Der Begriff „intim“ im Untertitel beschreibt den Mikrobereich der männlichen Dominanz. Die wird auf der Makroebene durch gesellschaftliche Strukturen etabliert und geht daher alle etwas an. Der „intime Bereich“ dieser Dominanz besteht aus den Geschlechterrollen in einer heteronormativen Mann- und Frau-Beziehung. Das Haus, das sich auch im Titel meines Buches wiederfindet, ist ein Symbol für das Zusammenleben eines solchen Paars – das in der Tat mitnichten eine rein private Angelegenheit ist.
Inwiefern?
Indem die Gesellschaft Figuren im Haus bestimmte Räume zuordnet, wie zum Beispiel der Frau die Küche, wird Gewalt strukturiert und gefördert. Das Haus ist wie ein Käfig, in dem sich Frauen befinden, und wenn sie versuchen auszubrechen, gibt es Sanktionen: Schon allein, wenn eine Frau keine Kinder will, ist sie oft gesellschaftlicher Kritik ausgesetzt. Ich sehe Gewalt im Haus nicht als etwas, das von einem individuellen Täter ausgeht, sondern als Strategie, um Frauen zu unterwerfen. Die amerikanische Architektin Alice Constance Austin hat mal einen Stadtplan für eine Kommune in den USA entworfen, in dem die Häuser keine Küchen hatten, sondern alle mit einer kollektiven Küche verbunden waren. Sie wollte Frauen so von der Hausarbeit befreien, aber ihr Konzept wurde nie umgesetzt.
Das Haus ist wie ein Käfig, in dem sich Frauen befinden
Dann beginnt häusliche Gewalt also schon bei der Zuschreibung von Geschlechterrollen?
Für mich beginnt häusliche Gewalt dort, wo sich Menschen Zwängen unterordnen müssen, weil sie keine Wahl haben. Weil man eine Frau ist, muss man sich um die Kinder kümmern; weil man ein Mann ist, muss man einen erfolgreichen Job haben – zum Beispiel. Wenn das Kind krank ist, muss sich die Frau kümmern. Macht sie das nicht, wird sie beschämt. Das ist schon der erste Moment von Gewalt für mich.
Haben Sie ein Beispiel?
Die französische Feministin und Autorin Titiou Lecoq beschreibt in einem ihrer Bücher, wie sie sich einmal weigerte, mit ihrem Kind zum Arzt zu gehen, weil eigentlich ihr Partner damit an der Reihe gewesen wäre. Das Kind entwickelte daraufhin eine Trommelfellperforation und die Mutter, nicht etwa der Vater, bekam eine Strafanzeige wegen Kindesmisshandlung. Sie hatte ihre Rolle nicht erfüllt. Aber Männer sind auch Opfer von Geschlechterrollen, genauer gesagt: von toxischer Männlichkeit. Sie reflektieren sich nur oft weniger. Es sollten keine Unterschiede gemacht werden zwischen einem Mann, der zu Hause bleibt und einem, der arbeiten geht.
Die Geschichte mit dem Arztbesuch erinnert mich an den Begriff der „negative care“, den Sie in Ihrem Buch erwähnen. Dabei geht es um bestimmte Vorsichtsmaßnahmen, die Frauen ergreifen, um Konflikten und Gewalt aus dem Weg zu gehen – etwa, nachts nicht allein rauszugehen. Ist dieses Verhalten auch eine Form von Unterwerfung?
Das ist fast schon wie vorauseilender Gehorsam. Man wendet bestimmte Taktiken an, um sich zu schützen. Nehmen wir wieder das Beispiel mit dem kranken Kind: Wenn ich nicht mit ihm zum Arzt gehe, gibt es Streit mit meinem Partner und ich werde nicht schlafen können. Gehe ich zum Arzt, habe ich dadurch vielleicht drei Stunden Arbeit, doch im Vergleich zu einem langen Streit und schlaflosen Nächten habe ich etwas gewonnen. Aber gleichzeitig habe ich auch aufgegeben, nicht weitergekämpft. Ich habe mich untergeordnet, und an den Strukturen wird sich nichts ändern.
Ihr Buch enthält viele Metaphern, die das Haus als einen von der Öffentlichkeit abgetrennten Bereich erscheinen lassen. Hat Ihnen das literarische Schreiben geholfen, Ihre Botschaft zu vermitteln?
Auf jeden Fall. Für mich ist kreatives Schreiben eine Art und Weise, sich von einem Leiden zu befreien. Es hat mir lange geholfen, die Gewalt auszuhalten. Die menschliche Kreativität ist ein Mittel, um Beziehungen und Gefühle zu regulieren und Fortschritt zu generieren. Auch nicht-fiktionale, autobiographische Geschichten sind für mich Kunst, denn Kunst wird immer aus dem eigenen Erleben und Material geschöpft.
Als Sie anfingen, Ihr Buch zu schreiben, war es noch ein Roman, in dem das Wort „Ich“ nicht vorkam. Wie wurde daraus ein Essay, in dem Sie sich selbst als Betroffene outen?
Ich hatte ursprünglich vor, eine fiktive Geschichte zu schreiben, aber dann habe ich gemerkt, dass ich damit nicht gehört werde, weil ich in der Sparte „Frauenliteratur“ lande. Doch ich wollte meine private Geschichte öffentlich machen. Ich wollte, dass es eine politische Erzählung wird. Das Fiktionalisieren birgt das Risiko, zu verschleiern, denn man versteckt sich selbst hinter einem Vorhang. Ich wollte aber so viel Transparenz wie möglich.
Ich wollte meine private Geschichte öffentlich machen
War es schwer, über die eigenen Erfahrungen zu schreiben?
Es ist natürlich so: Wenn man das eigene Erleben für einen Roman verfremdet, kann man leichter darüber schreiben. Man erzählt etwas und befreit sich so von der Wahrheit, aber niemand wird wissen, dass es die eigene Wahrheit ist. Wenn man mit der eigenen Geschichte an die Öffentlichkeit geht, gibt es reale Konsequenzen für einen selbst, und das macht Angst. Aber in Frankreich, wo ich auch lebe, ist das Thema häusliche Gewalt viel weniger tabu. Es gibt viele Frauen, die öffentlich machen, dass sie missbraucht wurden oder unter Gewalt leiden. Mir hat auch Mut gemacht, dass der Direktor der Pariser Uni Sciences Po zurückgetreten ist, weil ihm häusliche Gewalt vorgeworfen wurde. Wenn man die französische Presse durchforstet, finden sich viele Geschichten von Abgeordneten, denen ähnliche Vorwürfe gemacht werden. In Frankreich funktioniert das Schweigen nicht mehr. In Deutschland leider schon. Wenn ich nur in Deutschland gelebt hätte, hätte ich das Buch so nicht geschrieben.
Ihr Vater und Ihr Ex-Partner waren beide gewalttätig. Die Justiz in Deutschland urteilt trotz Gewalt aber oft, dass es im Sinne des Kindeswohls sei, wenn Kinder mit beiden Elternteilen aufwachsen.
Für Frauen ist die Gefährdung ihrer Kinder in einer gewalttätigen Partnerschaft eine schreckliche Situation, die sie gesundheitlich zerstört. Als Mutter muss ich mein Kind vor dem gewalttätigen Vater schützen, aber wenn ich es dem Vater wegnehme, heißt es oft, ich würde es vom Vater entfremden. Doch die Kinder müssen auch gehört werden und ihr Bedürfnis danach, eine ganze, einheitliche Person zu sein, die so lebt wie die anderen und dafür nicht beschämt wird. Solange ein Kind Mobbing ausgesetzt ist, weil es nur mit einer Person aufwächst oder mit gleichgeschlechtlichen Eltern, haben wir ein Problem.
Was würde helfen?
Ohne das Konzept des Hauses, ohne diese Strukturen der heteronormativen Kleinfamilie, müssten wir uns nicht schämen, wenn wir mit anderen Bezugspersonen aufwachsen als mit Mutter und Vater. Dann befänden sich Paare nicht mehr in dieser Arena des Kampfes, weil sie nicht mehr das Gefühl hätten, eine bestimmte Rolle im Haus bedienen zu müssen. Männer würden nicht mehr denken, sie müssten dominant sein, um ihre Rolle erfüllen zu können.
Bei der Lektüre musste ich an viele Situationen denken, in denen ich selbst Sexismus ausgesetzt war. Wollten Sie dieses Bewusstsein bei Ihrem Publikum wecken?
Unter anderem. Aber vor allem wollte ich Betroffenen die Botschaft vermitteln, dass sie nicht allein sind, dass ihr Leiden gehört wird und dass sie nicht selbst daran schuld sind. Ich hätte so ein Buch gebraucht. Und ohne die vielen anderen Bücher von verschiedenen Feministinnen hätte ich es nicht schreiben können.
Am Dienstag, den 04. Februar, spricht Barbara Peveling mit der Autorin Simone Scharbert im Literaturhaus Köln über den Akt des Erzählens als Möglichkeit, Gewalt zu entkommen. Am Gespräch nimmt auch Anne Korth teil, die den Roman „Protokoll einer Annäherung“ über die Gewalterfahrungen einer jungen Frau geschrieben hat. Beginn ist um 19.30 Uhr. Der Eintritt kostet elf Euro, ermäßigt neun Euro und für Mitglieder sieben Euro.