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Buch von Isabel SchayaniDie Schicksale hinter den Schlagzeilen

Lesezeit 4 Minuten
Touristen und Flüchtlinge vergangene Woche am Hafen von Lampedusa.

Touristen und Flüchtlinge vergangene Woche am Hafen von Lampedusa.

Die Weltspiegel-Moderatorin Isabel Schayani bringt mit ihrem bewegenden Buch "Nach Deutschland" die Empathie zurück in die aufgeheizte Debatte.

Viel zu viele Menschen in kleine Schlauchboote gequetscht, überfüllte Flüchtlingslager – wir alle haben uns an die Nachrichten und die Bilder gewöhnt. Lampedusa, Moria, Calais – die Brennpunkte wechseln, das Problem bleibt gleich: Die EU hat keine gemeinsame Lösung für den Umgang mit Migration.

„Die Toten an den Außengrenzen scheinen eine europäische Normalität geworden zu sein“, schreibt Isabel Schayani. Mit ihrem Buch „Nach Deutschland“ leistet sie etwas extrem Wichtiges in der aufgeheizten Debatte: Sie gibt der anonymen Masse der Migranten ein Gesicht. Erzählt die Geschichten von fünf ganz unterschiedlichen Geflüchteten und lässt uns wenigstens ein bisschen verstehen, warum sie all diese Qualen der Flucht auf sich nehmen: Hunger, Kälte, Ungewissheit, Lebensgefahr und Lager. Wir lesen über die Schicksale hinter den Schlagzeilen. Und was bürokratische Begriffe wie „Schengen-Raum“ oder „Dublin-Verfahren“ für das Leben dieser Menschen bedeuten.

Da ist zum Beispiel der junge Afghane Safi – Isabel Schayani ist ihm vor fünf Jahren auf der Balkanroute in einem bosnischen Grenzort begegnet. Als er versucht hatte, die Grenze nach Kroatien zu überqueren, schlug die kroatische Polizei mit Schlagstöcken auf seine Füße ein, damit er nicht mehr weiter laufen konnte. „Ich fiel zu Boden. Sie hatten mir mein Geld abgenommen. Ich wusste in diesem Augenblick nicht mehr, ob ich tot bin oder lebe.“ Isabel Schayani schreibt: „Ich war mir eigentlich sicher, so was kann nicht in der EU passieren“.

Aber Safi ist kein Einzelfall. Und Kroatien ist kein Einzelfall in Europa. Auch in Frankreich werde mit den Flüchtlingen „robust“ umgegangen, wie die Journalistin das formuliert. In Calais nimmt ihnen die Polizei regelmäßig Zelte, Planen, Schlafsäcke, Handys ab. Dort stranden viele „Gescheiterte“ – Menschen, die in der EU kein Asyl bekommen. Ihre letzte Hoffnung ist die illegale Überfahrt nach Großbritannien.

Ich wollte einfach weg. Egal wie. Ich hatte mit allem abeschlossen.
Ein Vater über seine Fahrt mit seiner Tochter im überfüllten Schlauchboot über den Ärmelkanal

Als sie im vergangenen November hörte, dass 27 Flüchtlinge im Ärmelkanal ertrunken sind, musste sie sofort an den Iraner Omid und seine dreijährige Tochter Nika denken, die sie in Calais kennengelernt hatte. Und tatsächlich sind Vater und Tochter an demselben Vormittag in ein überfülltes Schlauchboot gestiegen. Sie hatten Glück. Warum Omid ihr Schicksal auf diese eine lebensgefährliche Karte setzte? „Ich war erschöpft. Wir hatten es zwölfmal probiert und es hatte nicht geklappt. (…) Mir war alles egal. Ich wollte einfach weg. Egal wie. (…) Ich hatte mit allem abgeschlossen“, berichtet er.

Oft sind die Flüchtlinge schon durch Erlebnisse in ihren Heimatländern traumatisiert: Folter, Vergewaltigung, Krieg, Unterdrückung. Aber die Flucht selbst kann ebenfalls zum Horrortrip werden. „Möge Gott uns aus dieser Hölle retten“ – das ist eine der Nachrichten, die Isabel Schayani aus dem griechischen Flüchtlingslager Moria bekam, das wegen menschenunwürdiger Zustände traurige Berühmtheit erlangt hat.

Sie beschreibt eine Reihe von Dixi-Klos, die sich dort 90 Menschen teilen sollten und die „man auch mit Verlängerungsstock und Handschuhen nicht öffnen wollte. “ Frauen, die nachts auf Toilette mussten, hatten Angst vor Vergewaltigung – auch das Mädchen Melika, deren Weg Isabel Schayani unter anderem porträtiert. „Je länger wir in Moria waren, desto mehr Fragen hatte ich: Warum galt hier anscheinend kein europäisches Recht? Ging es Griechenland und der EU einzig um Abschreckung?“

Ging es Griechenland und der EU einzig um Abschreckung?
Isabel Schayani

Bei ihren Recherchen erfährt sie, dass eine Art Unterbietungswettkampf der europäischen Länder gibt – wer schafft es, die meisten Migranten abzuschrecken? Griechenland ist dabei offenbar sehr erfolgreich: „Auf den Inseln verhindert die Küstenwache weitere Zugänge durch Pushbacks, auf dem Landweg warten bewaffnete Sicherheitkräfte und jene, die im Land sind, drängt die Regierung durch Verelendung gen Norden, damit sie weiterziehen. Da will keiner bleiben.“

Isabel Schayani verklärt in ihrem Buch nichts. Macht auch auf Widersprüche und Probleme auf Seiten der Flüchtenden aufmerksam, hat keine Patentrezepte. Deswegen lässt sie am Ende ihres Buchs auch noch vier ganz unterschiedliche Akteure zu Wort kommen – darunter den Außenminister Ungarns, das für seine kompromisslose Flüchtlingspolitik bekennt ist. In einem Punkt ist sich die Journalistin sicher, nach allem, was sie erlebt hat: Das Leid der Menschen auf ihrem Weg in die EU kann nicht richtig sein.


Am Mittwoch, 27. September stellt Isabel Schayani um 20 Uhr ihr Buch mit dem luxemburgischen Außenminister Jean Asselborn im Schauspielhaus vor. Die Veransteltung ist ausverkauft.

„Fünf Menschen, fünf Wege, ein Ziel“

„Fünf Menschen, fünf Wege, ein Ziel“

Isabel Schayani:„Nach Deutschland – Fünf Menschen, fünf Wege, ein Ziel“, C.H. Beck, 319 Seiten, 26 Euro.