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Carly Rae Jepsen in KölnZiemlich perfekte Popsongs

Lesezeit 3 Minuten

Carly Rae Jepsen in der Essigfabrik

Köln – „Ich habe schon viele verrückte Dinge in meinem Leben gemacht“, bekennt Carly Rae Jepsen. Und man fragt sich unweigerlich, wie verrückt diese Dinge wohl wirklich waren, auf einer Skala von Helene Fischer bis Ozzy Osbourne. Denn auf der Bühne der Kölner Essigfabrik wirkt die frisch erblondete Sängerin von der kanadischen Westküste wie ein Postergirl für unkomplizierte Herzlichkeit, in ihrem rosa Plastikanzug mit pinken Boa-Federn an den Bündchen und dem überschwänglich-albernen Dauerlächeln, das offensichtlich ihr neutraler Gesichtsausdruck ist.

„Ich habe“, jetzt folgt sie, die große Enthüllung, „meinem Freund das Fahrrad gestohlen, als er mit mir Schluss gemacht hat.“ Worüber Carly Rae Jepsen nun prompt ein Lied („Fever“) singt, das in jedem Anwesenden den dringenden Wunsch wachruft, von ihr das Fahrrad gestohlen zu bekommen. Weil die Vorstellung, dass die knuffige Carly auf einem solchen lauthals singend einen Hügel herunter rast fast noch schöner ist, als dies selbst zu tun.

Sie generiert keinen Klatsch

Und so fühlt sich diese gute Stunde ungetrübter Pop-Seligkeit an, als könnte man jeden Berg mühelos erklimmen und die Abfahrt umso länger genießen. Rae Jepsen hat einen zweistelligen Millionenbetrag an Tonträgern verkauft, in Deutschland ist sie trotzdem kein Star, vielleicht, weil man die Sängerin allzu leicht vergisst, während man ihre Songs mitsummt. Sie generiert keine Kontroversen und keine Modetrends, keinen Klatsch und kein musikalisches Neuland. Im Video zu ihrem 2015er Hit „I Really Like You“ sieht man Tom Hanks, den nettesten Mensch Hollywoods, beschwingt durch Manhattan laufen, lippensynchron zu ihrer Stimme mimend. Hanks (zu „Big“-Zeiten) wäre — Geschlecht egal — die perfekte Besetzung für ein Carly-Rae-Jepsen-Biopic: Supersympathisch, ein wenig farblos.

Die Fans sind textsicher

Aber ihre Popsongs sind ziemlich perfekte Popsongs, wirklich alle, und Carly Rae Jepsen ist der perfekte Popstar für eine perfekte Welt, in der „Boy Trouble“ schon das Schlimmste ist, das einem widerfahren kann. Für die Länge eines Konzertes gibt man sich dieser Illusion willfährig hin. Carly eröffnet mit „No Drug Like Me“, der Rapport zwischen ihr und dem Publikum funktioniert von der ersten Sekunde an. Die Fans sind textsicher und absolut bereit, die Sängerin stimmlich zu unterstützen, die an diesem Abend mit einer Erkältung hadert und den Inhalt ihres Medizinschranks zu Füßen ihres Keyboarders und Saxofonisten ausgebreitet hat. Ihren Auftritt am Sonntag in Hamburg wird sie später absagen, doch in Köln hält Carly durch, verzichtet nur auf eine von drei Zugaben, gibt sonst aber alles, und schon beim fünften Stück, „Call Me Maybe“, fragt man sich, wie das noch schöner werden kann.

Mit „Call Me Maybe“, dem poppigsten, ohrwurmigsten Song aller Zeiten, wurde Rae Jepsen 2012 zum Star, ein Welthit, auf den leider nie ein zweiter folgte. Vielleicht gerade weil die 34-Jährige anschließend, auch mit Hilfe ausgesucht hipper Produzenten wie Ariel Rechtshaid, Jack Antonoff und Dev Hynes, hart daran arbeitete, ihrer Musik eine Reife und Raffinesse zu verleihen, die in hyperkapitalistischen Zeiten eigentlich niemand mehr mit Pop assoziiert. Jede Strophe lädt zum Mitsingen ein, jede Bridge klingt wie ein Refrain, und jeder Refrain klingt wie das Erdnussbutter-Banane-Pflaumenmus-Sandwich aller Refrains.

Selbst ein Titel wie „Everything He Needs“, irgendwo in der Mitte ihres aktuellen Albums „Dedicated“ versenkt, ist popmusikalisch so viel befriedigender, als vieles, was in den amerikanischen und alles, was in den deutschen Top Ten zu hören ist.

Und als sich die Sängerin schließlich mit der triumphalen Wohlfühlen-Hymne „Cut to the Feeling“ von Köln verabschiedet, möchte man all die oben angeführten Argumente, warum aus dem Star nie ein Superstar geworden ist, durch ein dickes, fettes Fragezeichen ersetzten. Klau mein Fahrrad, Carly Rae Jepsen!