Theaterpremiere im LentparkRassismuskritik als Eislaufrevue
Köln – Zuerst steht man noch ein wenig wacklig auf den Kufen. Ist lange her, dass man sich aufs glatte Eis begeben hat. Aber nach ein paar armrudernden Runden geht es wieder, der Körper erinnert sich. Dabei soll er das gar nicht, sagt Sarah (Azizé Flittner), die Eislauf-Trainerin, über Funkkopfhörer. In ihrem Schnupperkurs „Manchmal tut’s auch weh“ will sie im Kölner Lentpark noch einmal die Basics zeigen, auch für Fortgeschrittene und solche, die sich nur dafür halten.
Dazu gehört, die Angst vor der Fallhöhe abzulegen. Es sei viel weniger schlimm sich aufs Eis zu legen, sagt Sarah, als etwa auf Asphalt. Der Aufschlag werde schon dadurch abgemildert, dass man sogleich ins Rutschen kommt.
Die Geschichte der Eisrevue ist mehr als hundert Jahre alt, dass die Zuschauer mitlaufen, dürfte eine echte Weltpremiere sein. Freilich ist „Colonia on Eis“ kein Holiday, in die munteren Anweisungen der Trainerin mischen sich plötzlich ganz andere Stimmen. Man vernimmt – „Der Himmel über Berlin“-mäßig – die Gedanken seiner Mitläufer.
Kölns kolonialistisches Erbe
Ängstliche, wütende Gedanken, die sich alle um die Hautfarbe drehen, die sich am deutlichsten vom Weiß der Eisfläche abhebt, also ums Schwarzsein, ums angeglotzt- oder bemitleidet werden, um das Auffallen in einer Gesellschaft, die daraus einen Unterschied macht, weil sie das Erbe des Kolonialismus noch lange nicht abgeschüttelt, beziehungsweise unter einer dicken Eisschicht verborgen hat.
Die Eislauftrainerin – aus Nebenbemerkungen kann man auf eine Vergangenheit im DDR-Eislauf-Kader schließen – und ihre Pirouetten drehende Assistentin sind im Übrigen auch People of Color, da soll man nun nicht so tun, als wäre einem das nicht sofort aufgefallen. Und die klassische Eisdisko-Beschallung von DJ Erwin? Stammt von schwarzen Entertainern, die weiße Beine ins Schwingen bringen sollen.
Amazonen aus Togo in der Hohe Straße
Zum Gedankenstrom der Schlittschuhfahrer kommen jetzt andere Stimmen hinzu, lesen aus Quellen vor, etwa aus der „Kölnischen Zeitung“, die von Amazonen aus Togo berichtet, die in Castans Panoptikum in der Hohe Straße zur (erotischen) Unterhaltung der Kölner Bürger vorgeführt wurden, von deren Taufe im Kölner Dom, oder dem Lungenentzündungstod einer erst 16-jährigen „Amazone“ im Krankenhaus im Weyertal.
Man erfährt zudem von der Berliner Afrikakonferenz, auf der die europäischen Mächte den Kontinent unter sich aufteilten, vom deutschen Wüten in Westafrika, vom Unwillen der deutschen Regierung, Verantwortung für den Völkermord an den Herero und Name zu übernehmen, den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts.
Und man hört noch einmal den 2019 in Köln verstorbenen Theodor Wonja Michael – dem ersten Schwarzen in einer Laufbahn des höheren Dienstes in Deutschland – erzählen, wie er während der Nazi-Diktatur so gut alle schwarze Deutsche als Statisten auf Dreharbeiten von Kolonialfilmen kennenlernte, wie er stets fürchtete, sogleich nach Ende des Drehs abtransportiert zu werden.
Das alles, während man durch den Lentpark gleitet oder stakst, oder auch mal innehält, wenn Hausmeister Karadağ (Baris Ar) erklärt, wie man eine stabile Eisschicht anlegt. Was im ersten Moment fast lachhaft absurd erschien – Kolonialismuskritik on Ice – erweist sich nach 90 Minuten als Großmetapher Moby Dick’schen Ausmaßes.
Ja, das ungewöhnliche Projekt von Karin Frommhagen, Azizé Flittner, Putiaire Lionel Somé und Philine Velhagen kratzt nur an der Oberfläche, ist in Schnupperkurs in Sachen Rassismus und Kolonialverbrechen, aber auch einer, den man nicht so schnell vergessen wird. „Es gibt keinen Ort der Unschuld“, ruft eine schwarze Läuferin zum unversöhnlichen Abschluss ins Mikrofon, noch nicht einmal auf der mit Marmorstaub weiß gefärbten Eisfläche.