Der Kölner Comedian Maxi Gstettenbauer ist seit vielen Jahren an Depressionen erkrankt. Nun hat er ein Buch geschrieben, mit dem er anderen Betroffenen Mut machen will.
Comedian Maxi Gstettenbauer„Depressionen sind eine gemeine Krankheit“
Herr Gstettenbauer, wie kommt man eigentlich als Sohn von Gastronomen in Bayern auf die Idee, direkt nach der Schule nach Köln zu ziehen, um Comedy zu machen?
Maxi Gstettenbauer: Ich bin rückblickend selbst über meine Hybris erstaunt. Ich war immer großer Michael-Mittermeier-Fan. Er war meine Madonna. Ich war mit 16, 17 ein großer Fan von Stand-Up-Comedy. Ich habe dann im Internet Videospiele kommentiert. Ich habe Messen moderiert, dann hat mich jemand von Giga gesehen, das war ein Fernsehsender, der erste aus Düsseldorf und dann aus Köln gesendet hat. Das passte für mich gut, denn in Köln findet immer viel Comedy statt. Ich habe das nicht als geraden Weg erlebt, aber rückblickend war das schon alles sehr klar. Wie hat sich Ihr Verhältnis zur Stadt in den Jahren entwickelt? Köln ist meine Heimat. Ich komme aus Bayern, aber ich bin in Köln zu Hause. Ich habe in Köln, egal wo ich gewohnt habe, immer sofort Freundschaften in der Nachbarschaft geschlossen. Du kannst dich irgendwo in eine Kneipe setzen und der Kölner will sich sofort auf deinen Schoß setzen und einen Heiratsantrag machen. Das hat mir immer gut gefallen. Ich bin in Köln dahoam.
In Deutschland gibt es immer wieder Diskussionen darüber, was Comedy und was Kabarett ist. Wer darf politisch sein, wer darf albern sein? Ist das eher eine akademische Diskussion oder treibt Sie das um?
Das ist schon ein akademisches Thema. Ich kann auch die politischen Sachen, aber meine Tendenz geht zum gehobenen Gemächts-Witz. Das wird dann in manchen bildungsbürgerlichen Kreisen als präpubertär verstanden. Aber das ist eine Auszeichnung, die ich mit Stolz trage. Trotzdem habe ich in meinem Programm auch ganz klar gesellschaftskritische Sachen, die bringe ich aber auf eine Art und Weise, die dem klassischen Kabarett-Publikum wahrscheinlich nicht so nahe liegt. Klassisches Kabarett ist: Mann steht auf der Bühne und erklärt die Welt. Bei mir ist es: Junger weißer Mann geht auf die Bühne und scheitert an der Welt. Ich habe nicht den Anspruch, dass ich alles weiß. Ich bin der Welt hoffnungslos ausgeliefert. Die Stand-Up-Comedy gibt mir ein Gefühl von Kontrolle über den Wahnsinn.
Sie haben ein Buch über Ihre Depression geschrieben, das gerade erschienen ist. Da sagen doch bestimmt manche, dass Sie auf den Zug aufspringen wollen, der schon Torsten Sträter und Kurt Krömer viel Aufmerksamkeit und Preise beschert hat. Hatten Sie diese Sorge oder war Ihnen egal, was die Leute denken?
Das ist eine Realität, die ich akzeptiere. Ich war mitten im Schreibprozess, als ich die Ankündigung von Kurt Krömer gesehen habe. Und dann gab es die Folge von Thorsten Sträter und ihm. Ich habe mich gefreut, weil ich auch ein komisches Gefühl gehabt hätte, wenn ich alleine auf weiter Flur gewesen wäre. Als ich vor zehn Jahren diagnostiziert wurde, sagte man mir: Sprich nicht drüber! Das hat Nachteile in der Branche. Deswegen fand ich es super, dass von zwei bekannteren Kollegen das Tor aufgemacht wurde. Da nehme ich gerne in Kauf, wenn Leute sagen, jetzt springt er auf den Zug auf. Das zeigt ja auch, dass die Krankheit nicht ernst genommen wird. Diese Kritik ist nur ein weiterer Grund, warum man solche Bücher schreiben sollte.
Sie sagen, Künstler seien nicht häufiger depressiv als die restliche Bevölkerung, man werde lediglich nicht so schnell dafür bestraft, darüber zu sprechen.
Künstler gehen oft mit ihren mentalen Problemen in die Öffentlichkeit, weil da eine Belohnung stattfindet auf einer gewissen Ebene. Der Grund für dieses Buch und der Grund für mein Auftreten in der Öffentlichkeit ist, dass die Selbstverurteilung der Betroffenen gelindert wird. Viele Leute spüren, da ist was nicht in Ordnung, aber sie können es nicht thematisieren. Dann kommen wir in die perfide Lage, dass an jeder Ecke irgendwo ein Promi ist, der über seine Depression spricht. Das ist gut und wichtig, aber dadurch entsteht der Anschein, dass das in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.
Und das stimmt nicht?
Nein, die Tabuisierung, die Stigmatisierung in der Gesellschaft wird dadurch verfestigt, weil es ja heißt, es reden doch alle drüber. Was stellst du dich denn so an? Der Umgang mit der Krankheit hat sich in den Medien auf jeden Fall gewandelt, im Miteinander führt er aber ganz oft noch zu Problemen, weil es eine unsichtbare Krankheit ist. Man ist immer auf sich zurückgeworfen und hat als Betroffener ständig die Beweislast, sein Umfeld davon überzeugen zu müssen, krank zu sein.
Sie vergleichen die Depression mit einem Barkeeper, der nur halbtags arbeitet. Wie meinen Sie das?
Das ist medizinisch natürlich sehr zusammengedampft, aber es geht darum, einen Vorgang zu erklären. Wir haben verschiedene Botenstoffe, die ständig von unserem Gehirn neu zusammengemixt werden, um unser momentanes Erleben zu generieren. Wenn das Gehirn dir nicht den richtigen Botenstoff zusammen mixt, findet das in deinem Erleben einfach nicht statt. Bei einem depressiv Erkrankten arbeitet dieser Barkeeper nur halbtags, er hat auch nicht alle Cocktails zur Verfügung, dem fehlen ein paar Zutaten. Das Erleben ist eingeschränkt. Man spricht von einem Gefühl der Leere, von der Abwesenheit von Gefühlen. Man denkt: Ich bin falsch, mein Charakter ist falsch, ich habe einen Fehler gemacht. Man grübelt ständig, man ist gestresst, aber der Barkeeper macht einfach seinen Job nicht richtig. Allein diese Erkenntnis, dass nicht ich das Problem bin, sondern dass das eine Krankheit ist, war der größte Schritt auf meinem Weg, damit umzugehen. Deswegen ist mir Aufklärung bei diesem Thema so wichtig.
Und wenn diese Erkenntnis ausbleibt?
Wenn dieser Schritt ausbleibt, tötet diese Krankheit Menschen. Es ist eine gemeine Krankheit. Sie versteckt sich und ist hinterlistig. Sie sorgt dafür, dass man Schuldgefühle hat, dass man zu der tiefen Überzeugung kommt, vielleicht sind meine Freunde, meine Familie und auch die Welt besser dran, wenn ich nicht mehr da wäre. Ich weiß noch ganz genau, wie logisch und vernünftig sich das für mich angefühlt hat. Es ist wirklich grausam.
Es hat acht Jahre gedauert, bis die Krankheit bei Ihnen diagnostiziert wurde.
Das Bild ist ja auch nicht klar definiert. Es gibt Menschen, die ein bisschen traurig sind und sagen, ich bin depressiv. Das wird sehr schnell verwendet. Menschen, die wirklich betroffen sind, sagen erst nach der Diagnose, dass sie es haben. Vorher ist einem das überhaupt nicht klar, vorher denkt man, man ist einfach zu schwach. Betroffene benutzen ihre Krankheit auch nie als Ausrede. Bei mir war es in einem Meeting: Ich wollte aufstehen, und es hat mich umgehauen. Gott sei Dank hatte ein guter Freund die Weisheit zu sagen: Maxi, das ist nicht normal. Red“ mal mit jemandem. Ich hatte also das Glück, dass ich jemanden in meinem Umfeld hatte, der mich darauf hingewiesen hat, der jemanden kannte, der mir den Kontakt zu einem Therapeuten geben konnte, und der auch gepasst hat. Das sind schon mal drei Schritte, die nicht selbstverständlich sind.
Maxi Gstettenbauer (34) stammt aus Bayern. Er zog nach seinem Schulabschluss nach Köln, um Comedian zu werden. Ab Januar ist er mit seinem neuen Programm „Gute Zeit“ auf Tour. Sein Programm „Next Level“ hat er gerade als Album veröffentlicht. Das Buch „Meine Depression ist deine Depression“ ist bei Rowohlt erschienen.
Das deutlich ausführlichere Gespräch gibt es in unserem Podcast „Talk mit K“. Sie können ihn bei Spotify, Apple und anderen Podcast-Plattformen kostenfrei hören – oder auf unserer Internetseite.
Sie haben einmal zu Ihrer Mutter gesagt, wenn es mit der Comedy nichts wird, könnten Sie sich ja immer noch umbringen.
Wenn man die Krankheit ausblendet, ist das ein kranker Anfall von Narzissmus. Aber ich habe das ernst gemeint, das war für mich wirklich eine Alternative. Heute würde ich sagen, das ist unverantwortlich. So etwas sagt man nicht, aber dieses Verständnis hat mir damals gefehlt. Ich wollte das im Buch haben, um zu zeigen: Man ist ein schwieriger Fall, wenn man in einer Depression hängt. Man ist kein angenehmer Typ. Man ist für sich selbst und für die anderen eine Herausforderung.
Für Angehörige ist das natürlich sehr schwierig.
Deswegen ist der erste Schritt für alle Betroffenen, und für die Angehörigen, die auch darunter leiden, zu erkennen: Es ist eine Krankheit. Wenn der Betroffene anders könnte, würde er es anders machen. Keiner hat Bock auf Depression, niemand sucht sich das aus, niemand möchte das. Oft wird ja gesagt, Künstler brauchen das doch. Das ist toxischer Blödsinn. Ich kann meine Programme nur schreiben, wenn es mir gut geht. Ich schöpfe auch nichts aus meiner Depression. Dieses Buch ist auch nicht durch meine Depression entstanden, sondern obwohl ich sie habe. Ich werde mein Leben lang gegen diesen Mythos ankämpfen.
Das letzte Kapitel hat Ihre Frau geschrieben, um die Perspektive der Angehörigen zu zeigen.
Ja. Es ist überhaupt nicht schlimm, dass man den anderen nicht heilen kann. Die Betroffenen dürfen sich keine Schuld geben, weil sie krank sind und die Angehörigen brauchen sich auch keine Schuld geben, weil sie sie nicht heilen können. Das ist nicht deren Job. Das Entscheidende ist: Dasein, Krankheit anerkennen, wissen, dass dahinter immer noch der Mensch ist, den man ja eigentlich mag. Und man muss auch Grenzen ziehen: Sorry, ich weiß, du hast die Krankheit, aber an dem Punkt ist es mir einfach zu viel, ich gehe jetzt. Da darf man dann als Betroffener auch nicht böse sein.
Sie erzählen in Ihrem Programm, dass Sie während des Lockdowns Ihren Therapeuten anriefen, weil sie merkten, Sie müssen drüber reden. Und der bot Ihnen ein Termin in sieben Monaten an. Sie erzählen das sehr lustig, aber eigentlich ist es ja tragisch.
Natürlich ist diese Situation tragisch. Das ist für mich auch der große Widerspruch an meinem Beruf. Die schlechten Dinge der Welt sind gut für meinen Beruf, das ist für mich der Humor, der wirklich spannend und interessant ist. Aber wenn man die Humorebene entfernt, ist es einfach ein großes Problem.
Nun ist es ja so, dass auch depressive Menschen manchmal lachen. Wie oft begegnet Ihnen die Reaktion, dass Menschen sagen: So schlimm kann es ja nicht sein, wenn er Witze erzählt?
Da kann ich mir den Mund fusselig reden, das ist einfach so. Was glauben Sie, wie viele Hunderttausende es in diesem Land gibt, die ihren Job machen und denen man es einfach nicht ansieht? Und natürlich gibt es Varianten von Depressionen. Es gibt die schwere Depression, es gibt eine manische Depression, es gibt hochfunktionale Depression. Aber am Ende des Tages gilt: Leid ist Leid ist Leid.
In den sozialen Netzwerken thematisieren auch viele Influencer Depressionen. Allerdings stehen die da oft perfekt ausgeleuchtet unter Palmen und posten vielleicht noch einen Rabattcode. Ist das nicht kontraproduktiv?
Es ist der Fluch der Influencer, dass alles perfekt sein muss. Das ist ja auch unser Anspruch an sie. Aber auch ich denke viel über Außenwirkung und Image nach. Es ist schon hochinteressant, wie eigene Erlebnisse zu Waren und Marken werden. Ja, es besteht die Gefahr, dass Mental Health ein Marketing-Gedöns wird. Es wird Menschen geben, die sagen, der Gsettenbauer macht das, weil er Aufmerksamkeit will. Und natürlich kriege ich Aufmerksamkeit dafür. Das ist ja die Krux an der ganzen Sache. Aber ich kenne die Gründe, warum ich das mache.
Viele Menschen glauben vermutlich, man kann nur auf der Bühne stehen, wenn man selbstbewusst ist und in sich ruht?
Ich bin der unsicherste Mensch, den man sich vorstellen kann. Aber ich hatte einen Moment in der Therapie, der mir geholfen hat. Der Therapeut hat gesagt: Herr Gstettenbauer, Sie wollen das so sehr, dass nicht mal Sie selbst sich das ausreden können. Da war ich baff, weil es gezeigt hat, irgendwo ist da noch was in mir, das mich anscheinend dazu treibt. Ich soll das einfach machen, und mit dieser Tatsache müssen wir leider alle leben. Viele denken, man muss ein Mordsselbstbewusstsein haben. Ich glaube, echter Humor hat auch etwas mit Verletzlichkeit zu tun. Gewinnen ist nicht lustig, alles im Griff haben ist nicht lustig. Lustig ist, wenn man merkt: Kenn ich. Passiert mir auch. Die Sachen, die wir uns voreinander verheimlichen, weil wir immer gut rüberkommen wollen. Comedy ist die Möglichkeit, dass wir diese unausgesprochenen Dinge thematisieren - und niemand muss Schaden erleiden.