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Comedy-Autorin Giulia Becker„Ich finde es lächerlich, dass manche behaupten, sie könnten nicht mehr alles sagen“

Lesezeit 10 Minuten
Giulia Becker

Giulia Becker

Giulia Becker ist eine der erfolgreichsten Podcasterinnen und Comedy-Autorin Deutschlands. Doch der Weg zum Erfolg war steinig, wie sie im Interview erzählt.

Frau Becker, Sie sind ein großer Fan von Quatsch. Was gefällt Ihnen daran? Und wann haben Sie gemerkt, dass Sie besser Quatsch machen können als andere?

Quatsch ist für mich vor allem Fantasie, und ich habe eine sehr lebhafte Fantasie. In meinem Kopf passiert viel. Das muss ich regelmäßig stimulieren, sonst werde ich traurig. Ich habe schon als Kind mein Umfeld unterhalten. Und ich habe schnell gemerkt, dass das funktioniert und die Leute über Dinge lachen, die ich sage und tue. Daran habe ich Gefallen gefunden, und dann habe ich das ab dem Kindesalter immer weiter ausgebaut.

In Ihrem neuen Buch starten die Geschichten oft mit alltäglichen Situationen, die dann immer wilder werden. Passiert es Ihnen oft, dass Sie plötzlich gedanklich ganz woanders sind?

Mein Hirn verselbstständigt sich. Dann stelle ich mir vor, was wäre, wenn jetzt das und das passieren würde. In der Realität muss ich mich irgendwann stoppen und sagen: „Hey, du springst jetzt nicht aufs Bahngleis. Das ist nur in deinem Kopf.“ Aber in meinem Buch kann ich das alles so schön ausleben.

Quatsch ist für mich vor allem Fantasie, und ich habe eine sehr lebhafte Fantasie. In meinem Kopf passiert viel. Das muss ich regelmäßig stimulieren, sonst werde ich traurig
Giulia Becker

Ihr erstes Buch war ein Roman, nun sind es einzelne Erzählungen und Beobachtungen. Sie sagen, diese neue Form habe auch mit Ihrem eigenen Leseverhalten zu tun.

Ich hatte eine große Lesekrise in den letzten Jahren. Dann habe ich versucht, mir das Leben einfacher zu machen, indem ich angefangen habe, Kurzgeschichtenbände zu lesen - unter anderem von Ella Carina Werner und alles von Fran Lebowitz. Ich habe sofort gespürt, das ist genau das, was ich machen will. Das ist mein Humor, das ist, was ich kann. So wurde aus dem Kurzgeschichtenlesen, um wieder ans Lesen zu kommen, der Entschluss, selbst ein solches Buch zu schreiben. Man kann so vieles darin unterbringen. In einem Roman geht das nicht. Da muss man sich festlegen und es durchziehen. Das ist manchmal ein Krampf. Aber Kurzgeschichten kommen meinem Hirn sehr entgegen.

Auch weil Sie gemerkt haben, dass Ihre Aufmerksamkeitsspanne sich verkürzt hat?

Ja, das ist total krass. Ich mache manchmal drei Sachen gleichzeitig, ohne es zu merken. Ich schaue eine Serie, spiele ein Spiel auf dem Handy und esse dabei. Und dann verlässt mein Geist meinen Körper, beobachtet mich von außen und sagt: Was ist eigentlich bei dir los? Wir trainieren uns sehr dahin, dass wir verschiedene Sachen gleichzeitig wahrnehmen können, aber eben nichts mehr zu 100 Prozent. Es ist schwierig.

Sie schreiben nicht nur Bücher, sondern machen auch Fernsehen, sind etwa in der Show von Carolin Kebekus zu sehen. In Deutschland fremdeln viele mit Unterhaltungsformaten. Woher kommt das?

Unterhaltung hat in Deutschland ein komisches Schmuddelimage. Ich sehe das auch in der Literaturbranche. Ganz viele Leute, die Unterhaltungsliteratur schreiben, wollen das nicht zugeben. Wir müssen den Begriff rausholen aus dieser Ecke. Es ist doch super, Leute zu unterhalten. Gerade in diesen Zeiten, wo wir wirklich jeden Lacher gebrauchen können. Ich finde daran nichts verwerflich. Ich bin Unterhalterin, das ist genau mein Ding. Ich gucke super gern Fernsehen. Das machen andere Leute auch, aber die gucken es auf dem Laptop und haben dann ein besseres Gefühl, weil sie denken, sie haben keinen Fernseher, aber in Wirklichkeit machen sie sich nur die Augen kaputt.

Unterhaltung hat in Deutschland ein komisches Schmuddelimage. Ich sehe das auch in der Literaturbranche. Ganz viele Leute, die Unterhaltungsliteratur schreiben, wollen das nicht zugeben
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Aber haben Sie manchmal beim Lauf der Welt das Gefühl, jetzt hilft auch Humor nicht mehr weiter?

Ich habe das ganz oft. Und wenn solche Dinge wie die US-Wahl passieren, kommt es vor, dass ich den ganzen Tag kein Wort sage. Ich merke das erst abends. Dann ist auch mir nicht danach, witzig zu sein. Das ist eine Zeit, die ich mir nehme, dann gebe die Hoffnung für einen Moment komplett auf und versinke im Weltschmerz. Aber dann ist es auch wieder gut, und ich mache weiter. Denn es ändert ja nichts, ob ich traurig bin oder nicht.

Sie haben kürzlich gesagt, Sie wünschen sich, dass Humor in Deutschland zum Schulfach wird. Welche Note würden Sie denn dem Humorstandort Deutschland aktuell geben?

Wenn ich einen Mittelwert ermitteln müsste, wäre es eine wohlwollende Vier: „Du hast eigentlich Potenzial. Aber räum doch bitte endlich mal die schimmlige Brotdose aus deinem Schulranzen, die Mortadella ist schon zu Staub verfallen.“ Es ist sicherlich nicht alles schlecht, aber ich merke schon, dass viele Leute ein bisschen anspruchslos sind und gerne über den erstbesten Witz lachen.

Der von Ihnen beschriebene Humor funktioniert meist dadurch, auf andere herabzuschauen und über Abgrenzung, oft von Schwächeren. Ist das ein Problem?

Ja, ein großes. Das ist nicht mein Humor-Konzept. Ich verstehe, warum Leute das machen. Es sind günstige Lacher, die immer noch funktionieren. Es ist diese Schulhof-Dynamik und der einfachste Weg, für den man am wenigsten Talent mitbringen muss. Das kannst du dir bei allen anderen abgucken. Und es wird immer jemanden geben, der darüber lacht. So ist Deutschland einfach oft. Aber für mich ist das billig und nicht erstrebenswert. Ich grenze nur Superreiche aus, das aber mit Leidenschaft.

Wie stehen Sie denn zur Cancel-Culture-Debatte, in der manche behaupten, man dürfe ich ja über vieles gar keine Witze mehr machen?

Das Gefühl habe ich noch nie gehabt. Und ich bin auch schon übers Ziel hinausgeschossen. Dann habe ich eine E-Mail bekommen von jemandem, der das kritisiert hat. Und das ist völlig in Ordnung. Ich finde es absolut lächerlich und auch amüsant, dass manche wirklich behaupten, sie könnten nicht mehr alles sagen. Das ist der allergrößte Quatsch. Vor allem, wenn das die sagen, die eine eigene Show in der ARD haben und viermal im Jahr mit dem Robinson Club verreisen können.

Fühlen Sie sich denn der Comedy-Branche in Deutschland zugehörig?

Ich habe das Gefühl, ich habe eine Outsider-Rolle. Es gibt hier nicht diese eine Community, ich habe meine eigene kleine Bubble. Es laufen viele verschiedene Sachen nebeneinanderher. Es gibt immer noch die alteingesessenen Comedy-Leute, die alle Sendeformate besetzen auf Sat. 1 und RTL. Und dann gibt es junge Leute, die da gar nicht stattfinden, weil sie ihr eigenes Ding machen. Durch Social Media sind sie auch nicht mehr darauf angewiesen, in eine Show eingeladen zu werden. Die schaffen sich ihre eigenen Bubbles, verständlicherweise.

Wie schwer war es vor diesem Hintergrund für Sie, Ihren Weg zu finden?

Anfangs eher schwierig. Ich musste oft aus meiner Komfortzone herauskommen. Ich war bei der bildundtonfabrik angestellt, da hatten wir nur einen großen Writers Room, wo alle an einem Tisch gesessen haben. Da musstest du laut sein, wenn du eine Idee hattest. Aber ich wusste, ich will das machen, deshalb musste ich da durch. Und ich hatte ein sehr wohlwollendes Umfeld, das mich gefördert hat. Ich glaube, ich hatte auch das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Aber es war auf jeden Fall nicht leicht, den Fuß in die Tür zu kriegen.

Ich würde mir wünschen, dass man sieht, dass man als Frau 150 Prozent der Arbeit machen muss, wo Männer nur 100 Prozent geben müssen. Es ist manchmal wirklich frustrierend
Giulia Becker

Sie sollten vor einigen Jahren eine eigene Show bei einem öffentlich-rechtlichen Sender bekommen, dann hat man Ihnen doch abgesagt und ein Kollege erhielt ein eigenes Format. Wie haben Sie diesen Rückschlag verkraftet?

Also für mich ist es jetzt total in Ordnung, weil wir dann mit unserem Podcast „Drinnies“ angefangen haben, was die allerbeste Entscheidung war. Aber das war natürlich nicht das erste Mal, und es wird mir wahrscheinlich noch zwanzigmal mehr in meinem Leben passieren. Man hat schon andere Kämpfe als männliche Kollegen zu kämpfen. Das ist anstrengend. Ich würde mir wünschen, dass man sieht, dass man als Frau 150 Prozent der Arbeit machen muss, wo Männer nur 100 Prozent geben müssen. Es ist manchmal wirklich frustrierend. Und ich bin noch eine weiße Frau. Wie die Chancen für Nicht-Weiße Frauen stehen, kann man sich ausrechnen.

Woran liegt das? Tun sich Männer in Entscheider-Positionen immer noch schwer mit lustigen Frauen?

Ich kann das fast schon empirisch belegen. Ich habe gerade Promo-Phase für mein Buch und sehe, wer mich anfragt und Interviews mit mir führt. Das sind zu 99,9 Prozent Frauen. Ich kriege ja auch Anfragen für Projekte mit Sendern. Auch da sind es immer Frauen, die mich anfragen, nie Männer. Wenn diese Frauen nicht in diesen Machtpositionen wären, würde ich gar nicht stattfinden, das ist erschreckend. Vor 20 Jahren war das noch anders, da hätte ich wahrscheinlich gar nicht den Fuß in die Tür bekommen. Ich möchte daher auch mal das Wort an die Männer richten: Ihr könnt mich ruhig interviewen oder anfragen, das ist erlaubt.

Wie erklären Sie sich das?

Ich kann mir das nicht erklären. Ich verstehe es nicht, auch nicht beim Podcast. Wir können ja sehen, dass wir überwiegend Hörerinnen haben. Wir haben einen sehr universellen Humor, wir lachen über alles Mögliche, bei uns gibt es keine Frauen- oder Männer-Themen. Das ist alles sehr breit gefächert. Aber sobald eine Frau dabei ist, ist es für die allermeisten Männer uninteressant. Daher ist es auch kein Wunder, dass die erfolgreichsten Podcasts von zwei Männern gemacht werden. Die haben eine doppelte Zielgruppe. Aber gemischte Podcasts oder Bücher von Frauen werden in den allermeisten Fällen nicht von Hetero Cis-Männern konsumiert. Das ist gruselig. Ich weiß nicht, woran das liegt. Aber es ist mein zweites Buch, und es hat sich nichts geändert.

Sie bezeichnen sich selbst als introvertiert, als Drinnie – so heißt ja auch Ihr Podcast mit Comedy Autor Chris Sommer. Ich glaube, viele Menschen verstehen nicht, wie Sie es dann schaffen auf einer Bühne zu stehen oder im Fernsehen vor der Kamera zu stehen.

Die Erklärung ist einfach. Das ist keine Interaktion, sondern ich mache mein Ding. Die anderen gucken mir zwar zu, was durchaus Respekt einflößend ist, aber ich muss mich nicht mit 2000 fremden Leuten unterhalten. Ich könnte nach einer Show kein „Meet and Greet“ im Foyer machen. Aber die künstlerische Seite hat mir schon immer Spaß gemacht. Das fällt mir viel leichter, als wenn man mich zu einer Gruppe fremder Menschen stellt und sagt: Jetzt unterhaltet euch doch mal nett. Da bin ich viel angespannter und nervöser. Auf der Bühne hat man eine Rolle, die man ausfüllt. Das ist einfacher als sozialen Situation ausgesetzt zu sein, die man nicht vorhersehen kann.

Ihr Podcast ist sehr erfolgreich. Hat Sie überrascht, wie viele Drinnies es offensichtlich da draußen gibt?

Total. Wir haben gehofft, dass es gut ankommt und vielleicht 1000 oder 2000 Leute den Podcast hören. Dann hat sich das aber wie ein Schneeball verselbstständigt. Es gibt auf jeden Fall eine große Community. Es geht vielen Leuten so, das hat uns geholfen, mit Stolz zu sagen, dass wir introvertiert sind und für uns und unsere Bedürfnisse einzustehen. Es freut uns, dass wir anderen ein bisschen helfen können, obwohl wir den Podcast nicht machen, um aufzuklären oder Selbsthilfe zu leisten. Wir machen einfach nur Comedy.


Giulia Becker, geboren 1991, lebt in der Nähe von Köln. Zusammen mit Autor Chris Sommer ist sie Host des erfolgreichen Podcasts „Drinnies“, der seit 2021 dreimal mit dem Deutschen Podcastpreis ausgezeichnet wurde.

Sie arbeitete unter anderem im Autorenteam von Jan Böhmermann, als Drehbuchautorin für die ZDF-Sitcom „Ruby“ und ist regelmäßig mit ihren eigenen Sketchen in der „Carolin-Kebekus-Show“ zu sehen. 2019 erschien ihr Roman „Das Leben ist eins der Härtesten“. Ihr neues Buch „Wenn ich nicht Urlaub mache, macht es jemand anderes“ ist gerade bei Rowohlt erschienen (224 Seiten, 22 Euro)