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Subkultur der Computer GamesWie man mit Machinimas sogar Grand Theft Auto kapert

Lesezeit 4 Minuten
Ein Mann im weißen T-Shirt wird massenhaft vervielfältigt und verzerrt.

Aus Brody Condons Film „Adam Killer“ (1999)

In der Welt des Machinima werden Computerspiele gehackt, um Filme mit ihnen zu machen. Die Kurzfilmtage Oberhausen stellen diese subversive Kunstform vor.

Was machen eigentlich all die Hintergrundfiguren in Computerspielen, wenn gerade niemand hinschaut? Das ist keine Frage, die Spieler von Grand Theft Auto, Red Dead oder anderen populären Games für gewöhnlich umtreibt, die Mitglieder der österreichischen Künstlergruppe Total Refusal aber schon.

Statt das Spiel zu spielen wie alle anderen, schauten sie den Statisten zu, die der Westernwirklichkeit von Red Dead Redemption im Hintergrund den letzten Schliff verleihen. Also den Stallburschen, Tischlern oder Mägden, mit denen man buchstäblich nicht spielen kann, und die, wie uns Total Refusal in ihrem Machinima-Film „Hardly Working“ vorführen, den ganzen Tag immer wieder dieselben Dinge tun. Sie verkörpern unseren Alltag, dem wir im Spiel entfliehen wollen, ihr Hyperrealismus lässt beim Zuschauen ein mulmiges Gefühl der (digitalen) Ausbeutung zurück.

Als würde man sein eigenes Hollywood-Studio leiten

Es ist eine Binsenweisheit, dass Computerspiele ihre Nutzer dazu bringen wollen, die Zeit zu vergessen und sich in ihren künstlichen Welten zu verlieren. Dazu investieren die Hersteller Unsummen in immer aufwendigere künstliche Wirklichkeiten, die hinter dem Horizont noch lange nicht aufhören und von einer schier unendlichen Schar an Spielfiguren bevölkert werden. Kein Wunder, dass viele Künstler hinter die Kulissen dieser künstlichen Paradiese (oder auch Höllen) blicken wollen – oder sie als Sets für ihre eigenen Produktionen nutzen.

Diese spezielle Kunstform, Machinima genannt, gehört zu den interessantesten Subkulturen innerhalb der Welt der Computerspiele und wird ab dem 26. April auf den Oberhausener Kurzfilmtagen auf großer Bühne vorgestellt. Die ersten Machinimas entstanden Mitte der 1990er Jahre und wurden rasch populär, sagt Vladimir Nadein, einer der Kuratoren des Themenprogramms. „Es war wie: Drück einen Knopf und der Film beginnt. Man konnte Filme machen, ohne mit dem Spielen aufzuhören, und sich fühlen, als würde man sein eigenes Hollywood-Studio leiten.“

Ein Cowboy reitet durch die Wolken im Film The Grannies von Marie Foulston.

Aus Marie Foulstons „The Grannies“ (2019)

Das englische Wort Machinima ist eine Kombination aus Machine und Cinema, wobei mit der Maschine der Grafik-Motor gemeint ist, auf dem die Spiele basieren. Kino wird daraus, wenn sich jemand nach eigenem Drehbuch durch die Spielwelt bewegt und das Geschehen am Bildschirm mitschneidet. Machinima ist also eine demokratische Do-it-yourself-Kunst, die sich die Vorleistungen einer Milliardenindustrie zunutze macht. „Allein die Idee, ein Videospiel nicht nur zu spielen, sondern ein Kunstwerk daraus zu machen, ist im Kern subversiv“, sagt Dmitry Frolov, der zweite Kurator des Programms. „In einem gewissen Sinn kapert man das Spiel für seinen Film.“

Es gibt Machinima-Filmer, die sich gänzlich eigenständige Welten bauen, aber im Kern geht es nach wie vor doch darum, die Welt der Computerspiele zu erkunden, ihre Regeln zu verstehen und zu hinterfragen – etwa, indem man Spielfiguren umprogrammiert, um sie (und uns) aus ihren Zwängen zu befreien. So verstrickt Chris Brandt in „Dance Voldo Dance“ zwei mit Scherenhänden bewehrte Duellanten zu den Klängen von Nellys Disco-Hit „Hot in Herre“ in einen lasziven, am Breakdance geschulten Tanz.

Ein häufiges Thema von Machinimas ist die Darstellung von Geschlechtern, Ethnien oder Minderheiten

Grayson Earle wiederum lässt in Grand Theft Auto Polizisten in Massen aus dem Himmel stürzen, weil ihm aufgefallen war, dass Gesetzeshüter im Spiel niemals gegeneinander kämpfen. In „Why don‘t the cops fight each other?“ befiehlt er zunächst Zivilisten aufeinander einzuprügeln, was diese, dem Spielprinzip „Jeder gegen jeden“ folgend, auch prompt tun. Die mit dem gleichen Auftrag ins Spiel geladenen Cops rennen stattdessen in entgegengesetzte Richtungen davon. Ist hier ein programmierter Korpsgeist am Werk?, fragt Earle in seinem verblüffenden Experiment.

Ein häufiges Thema von Machinimas ist die Darstellung von Geschlechtern, Ethnien oder Minderheiten in den Spielen. Die Künstler beleuchten die Auswahlmöglichkeiten bei der Gestaltung von Avataren, nationale Klischees oder die kommerzielle Aneignung von Persönlichkeitsrechten, etwa wenn sich reale College-Basketballer in virtuellen Spielfiguren wiedererkennen.

Auch klassische Filmemacher haben die Möglichkeiten von Machinima entdeckt: Phil Solomon besucht in Grand Theft Auto die „verborgenen“ Gegenden des Spiels, kleine Hinterhöfe oder Seitengassen, die eigentlich überflüssig sind, um Ruhe in die hektische, lärmende und gewalttätige Welt des Spiels zu bringen, und, wie Nadein sagt, in Grand Theft Zen zu verwandeln. „Er hat die Gewalt im Spiel angehalten, auch das ist ein rebellischer Akt.“

Am weitesten treibt die Erkundung der Spielwelt aber Marie Foulston. Sie lässt in „The Grannies“ mehrere Avatare in Großmuttergestalt (ohnehin eine Seltenheit in Games) so lange aus dem eigentlichen Spielfeld von Red Dead laufen, bis sie dessen Ränder erreicht haben. Hier, wohin sich eigentlich niemand verlieren sollte, wird die fotorealistische Spielwelt irreal - mit eckigen Formen, unsichtbaren Himmelsleitern und Abgründen ins ungestaltete Nichts, in dem, wie auf vorkopernikanischen Weltkarten, vermutlich Drachen lauern.


„Against Gravity - The Art of Machinima“, Kurzfilmtage Oberhausen, 26. April bis 1. Mai

Der Autor ist freier Mitarbeiter des Festivals.