Marco Goecke hatte mit seinem Hundekot-Angriff auf eine Kritikerin für Schlagzeilen gesorgt. Nun wurde eine seiner Choreografien in Köln aufgeführt.
Aufführung nach Hundekot-AttackeKölner Publikum bejubelt Marco Goecke
Ein Zittern der Hände wie... Kolibri- oder Libellenflügel? Bewegungen, die diesen Vergleich nahe legen, finden sich in so ziemlich jeder Choreografie von Marco Goecke. Schon immer scheint bei ihm Mensch davonflattern zu wollen, fort von der eigenen emotionalen Erregung. Diesmal aber drängen sich bei den sich hochschwingenden Armen der Tänzerin, dem in den Nacken gelegten Kopf, dem langsamen Trudeln abwärts, andere Bilder auf: Vielleicht eine Dirigentin, die mit hochgehobenen Armen an die Pose des höchsten Triumphs, den Applaus, die Liebe ihres Publikums erinnert? Und: Ikarus. Der geniale griechische Schöpfer, der im Rausch des Erfolgs seine Selbstbeherrschung verliert und dessen Hybris tödlich endet. „Tué“, töten, so der Titel des Solos.
Marco Goecke attackierte eine Kritikerin mit Hundekot
Die Assoziationen mögen pure Projektion sein, Ausdruck der eigenen Erwartungen an einen Abend, der sich ganz dem Oeuvre eines zuletzt tief gefallenen Branchen-Stars widmet. Fast genau ein Jahr ist es her, dass Choreograf und damals noch Hannoveraner Ballettdirektor Marco Goecke für einen der größten Skandale der jüngeren Tanzgeschichte sorgte: mit einer Hundekot-Attacke auf eine Kritikerin.
Tagelang berichteten die Medien, von den ARD Tagesthemen bis zur New York Times. Mittlerweile hat Goecke seine Entgleisung mit einem Burnout erklärt, der das Corpus Delicti verursachende Dackel ist tot - Klappe zu? Für das Kölner Publikum definitiv: Ein ausverkaufter Saal, langanhaltende Standing Ovations, auch Marco Goecke selbst, der zum ersten Mal zu einem Gastspiel angereist ist und sich zum Applaus zeigte, wurde bejubelt. Und wie so oft gilt ja auch: Die Kunst ist größer als der Künstler, die Tanzwelt wäre deutlich ärmer ohne Goeckes choreografisches Genie.
Die Aufführung von „Dark Matter II“ in Köln
Sensibel und selbstironisch, wie man ihn früher auch in der persönlichen Begegnung erlebt hatte - so zeigt sich der Choreograf nun in „Dark Matter II“, dem eigens für sein Kölner Gastspiel clever ausgewählten fünfteiligen Programm. Es geht zurück an seine Anfänge, als Goecke mit seinem Signatur-Solo „Äffi“ die Sparte bezauberte und zum brüchigen Gesang des alten Johnny Cash einen jungen Mann sich sein kraftstrotzend-eitles „Äffi-tum“ aus dem Leib schütteln ließ, fantastisch getanzt vom Stuttgarter Solisten Matteo Miccini.
Auch sein Ensemblestück „Whiteout“ wirkt, als blicke man ins - vielleicht Goecke'sche? - Jugendzimmer der 1980er Jahre, wo Bob Dylan knarzt und ein Tänzer auf dem Rücken liegend eine Choreografie durchzappelt, die deutlich für die Vertikale geschaffen ist - ein grandios komischer Einfall. Dazu dicker Räucherstäbchen-Qualm als gelte es mittels Räucherritual die Dämonen auszutreiben. Und gelegentlich kreisen die Handflächen so hektisch als wollten sie eine Fläche putzen. „Whiteout“ - das ‚Haus‘ ausweißen, reinigen und von vorn beginnen? Ob gewollt oder nicht: „Dark Matter II“ wirkt wie eine Katharsis. Und wie ein Fanal ist es auch, wenn beim Trip durchs Goecke-Oeuvre mehrere Kompanien involviert sind, darunter das Staatsballett Hannover und das Saarländische Staatsballett: Die Tanzszene hat Marco Goecke seit jeher geliebt. Sie liebt ihn noch immer.
Zur Aufführung
Nächste Vorstellung bei Tanz Köln: 09./10.03.2024 „Infamous Offspring“ von Wim Vandekeybus und Ultima Vez im Depot 1