2024 ist fast zu Ende, Pop geht immer weiter. Doch an diese Trends und Höhepunkte des Jahres werden wir uns noch lange erinnern.
Die größten Pop-Momente 2024Comeback in Paris, Auftritt nach Schlaganfall, Zerstörung von Drake

Céline Dion singt zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele auf dem Eiffelturm.
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Swiftonomics
Mitte Juli 2024 taufte sich Gelsenkirchen in Swiftkirchen um: Die erfolgreichste Tour aller Zeiten machte für drei Abende Station Auf Schalke. Anfang Dezember schloss Taylor Swift ihre Eras-Tour nach 152 Konzerten und mehr als zwei Milliarden Dollar Umsatz in Vancouver ab, Premierminister Justin Trudeau hatte die Singer-Songwriterin bekniet, doch auch in Kanada zu spielen.
Den Eras-Zirkus beschreibt man am besten als global-ökonomische Einsatztruppe. Wo er seine Zelte aufschlug, blühte die örtliche Wirtschaft auf, „Swiftonomics“ tauften das die Ökonomen. Und das Fiasko, das Ticketmaster beim Vorverkauf der Tournee verursacht hatte, brachte dem Unternehmen letztlich eine Kartellklage des US-Justizministeriums ein. Ja, das Thema vereinte selbst Demokraten und Republikaner im US-Senat: „Eine Nation, unter Swift“ titelte CNN.
Das Wunder von Recklinghausen
Vielleicht sollte sich auch Recklinghausen umbenennen, in Aylivahausen. Denn Ayliva, bürgerlich Elif Akar, ist in der Ruhrgebietsstadt aufgewachsen und ihr 2024er-Album „In Liebe“ streamte Deutschland noch häufiger als Swifts „The Tortured Poets Department“. Ihre Debütsingle „Deine Schuld“ begann die rappende Sängerin mit der Sprachnachricht eines Ex, der ihr drohte, falls sie das folgende Stück veröffentlichen würde.
Seitdem hat die Angstlose zwei Nummer-Eins-Alben herausgebracht und ihr Duett mit Apache 207, „Wunder“, brach in diesem Jahr ebenfalls Streaming-Rekorde. Der analoge Lohn von so viel Chuzpe und offensiver Gefühlsarbeit: Im September 2025 tritt Ayliva gleich viermal hintereinander in der Lanxess-Arena auf.
Der Mut der Antilopen
Dass er keine Angst vor politischen Liedern hat, bewies Antilopen-Gang-Rapper Danger Dan bereits 2021 mit „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“, einer Klavierballade als Kampfansage gegen Rechts. Mit „Oktober in Europa“ wendet sich die Antilopen Gang gegen die eigene linke Blase und deren Schweigen nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023.
„Heute sind die größten Antisemiten/ Alle Antirassisten, gegen Hass und für Frieden“, ätzt Rapper Koljah im Stück. Und Danger Dan wählt ein drastisches Bild für die ausbleibende Positionierung der Antifaschisten zum Terrorangriff: „Ist auch kompliziert, muss man einfach beide Seiten seh'n/ Wenn Terroristen Frau'n in Leichenhaufen vergewaltigen.“
Applaus von der falschen Seite und die Empörung von Teilen ihrer Fans nahmen die Antilopen in Kauf. Sie wollten eben nicht schweigen und veröffentlichten das mutigste Lied des Jahres 2024.
Als wir alle „brat“ waren
Charlotte Aitchison alias Charli XCX hat bereits mit 14 ihre erste Platte aufgenommen – aber sie musste bis zu ihrem 31. Lebensjahr warten, um endlich als das Pop-Phänomen wahrgenommen zu werden, dass sie schon lange war. Zwei Jahre zuvor hatte die Engländerin auf „Crash“ ihre experimentelle Seite eingehegt und sich als Kandidatin für den Mainstream empfohlen. Der große Durchbruch blieb aus.
Er folgte stattdessen mit dem ungleich kompromissloseren „Brat“: Charli kombinierte eine schonungslos ehrliche Bilanz eines Lebens am Rande des Rampenlichts mit hochgekoksten Club-Sounds und galt plötzlich als Top-Pop-Girl des Jahres. Der Sommer wurde zum „Brat Summer“: Kamala Harris eignete sich das lindgrüne Coverdesign des Albums an, Lorde antwortete auf Charlis Beinahe-Diss-Track „Girl, So Confusing“ mit einer eigenen Strophe. Der gemeinsame Remix wurde zur Single des Jahres.
Die Zerstörung von Drake
Unversöhnlicher verlief der Streit zwischen den beiden Rap-Superstars Drake und Kendrick Lamar. Einst trat Lamar im Vorprogramm von Drake auf, man nahm gemeinsame Songs auf. Dabei könnten der melancholisch-megalomanische Kanadier Drake und das introspektive Gettokind Lamar – der erste Rapper, der mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde – kaum unterschiedlicher sein.
Ihr Streit begann harmlos, mit einem Lob des Kollegen J. Cole: Er selbst, Drake und Lamar seien die „großen Drei“ des Hip-Hops. Woraufhin Lamar zurückschoss: „Big three?“, es gäbe nur „big me“. Schließlich eskalierte die Fehde mit justiziablen Behauptungen: Drake warf Lamar häusliche Gewalt vor, Lamar unterstellte Drake pädophile Neigungen. Und behielt das letzte Wort: Sein giftig-tanzbarer Diss-Track „Not Like Us“ wurde zum Welthit, stellte Streaming-Rekorde ein, die zuvor Drake gehalten hatte. Der schwieg und verklagte Lamars Plattenfirma, als klares Eingeständnis seiner Niederlage.
Von der Bahre zum Eiffelturm
Niemand, der die im Juni auf Amazon Prime veröffentlichte Dokumentation „I Am: Céline Dion“ gesehen hatte, konnte ernsthaft an ein Live-Comeback der Sängerin glauben. Wie sich die an der seltenen Autoimmunkrankheit Stiff-Person-Syndrom leidende Diva dort auf dem Massagetisch zusammenkrampft, bis sie als wimmerndes Häufchen Elend von Sanitätern weggetragen werden muss, das war schwer zu ertragen.
Aber hier steht sie, nur einen Monat später, zum Höhepunkt der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele auf der ersten Etage des Eiffelturms und schmettert Édith Piafs „L‘Hymne à l’Amour“ in den regennassen Himmel über Paris. Die alles verschlingende Liebe, von der Céline Dion hier singt, ist die zur künstlerischen Darbietung. Hatte sie Enthüllungsdoku und Überraschungsauftritt derart perfekt getimt? Wenn ja, sollte unsere Bewunderung umso größer ausfallen.
Die zwei Seiten von Joni Mitchell
Ein anderer, noch unwahrscheinlicherer Auftritt: Im Februar trat Joni Mitchell zum ersten Mal im Rahmen einer Grammy-Verleihung auf. Die Singer-Songwriterin hatte sich seit den 1990er Jahre nach und nach aus dem Musikgeschäft zurückgezogen, ein Schlaganfall im Jahr 2015 schien diesen Abschied zu besiegeln.
Jetzt kann man Performances von „Both Sides Now“ aus den späten 1960ern und frühen 70ern mit der 2024er-Version vergleichen – und staunen, wie ein Lied über die ersten Risse im jugendlichen Verblendungszusammenhang plötzlich von der späten Euphorie handelt, die die Akzeptanz des eigenen Todes mit sich bringt.
Wenn Pop die Pferde sattelt
Drei Akkorde und die Wahrheit: Da denkt man an Punk, doch das Zitat stammt vom Songschreiber Harlan Howard und beschreibt sein favorisiertes Genre - Country-Music. Seitdem sind ein paar Akkorde dazu gekommen und auch mit der Wahrheit verhält es sich nicht mehr so einfach, aber Country unternahm 2024 einen großen Schritt in den Mainstream. Im März toppte Beyoncé mit „Texas Hold ‘Em“ die Billboard-Charts, als erste schwarze Künstlerin, der das mit einem Countrysong gelang.
Das erzkonservative Establishment in Nashville war nicht überzeugt und brachte es auch nicht über sich, Shaboozeys „A Bar Song (Tipsy)“ bei den Country Music Awards auszuzeichnen. Dabei war der Song des schwarzen Newcomers trotz aller Hip-Hop-Anleihen definitiv Country – und hielt sich sagenhafte 19 Wochen lang an der Spitze der US-Charts. Der weiße Rapper Post Malone erfand sich ebenfalls neu als Cowboy-Crooner. Für 2025 haben unter anderem Lana Del Rey und, Trommelwirbel, Ringo Starr ein Country-Album angekündigt.