David Lynch beschwor das Unheimliche in der Idylle: Dem Publikum gab er mit seinen Filmen unlösbare Rätsel auf. Nun ist der US-Kultregisseur an einer unheilbaren Lungenkrankheit gestorben.
Zum Tod von David LynchEr war der Mystery Man des US-Kinos
In seinem Filmen fühlte man sich wie ein verzweifelter Puzzle-Fan: Am Ende fehlten immer noch ein paar Teilchen, die erst das Gesamtbild vollendet hätten. Man suchte und kramte und probierte herum, und doch wollte sich einfach kein schlüssiges Ganzes ergaben.
David Lynch liebte solche Film-Puzzles. Der Regisseur der TV-Kultserie „Twin Peaks“ (1990–1991, 2017), von Kinofilmen wie „Eraserhead“ (1977), „Der Elefantenmensch“ (1980), „Wild at Heart“ (1990), „Lost Highway“ (1997) oder „Mulholland Drive“ (2001) gefiel sich darin, seinem Publikum unlösbare Rätsel aufzugeben. Mit Logik allein ließen sie sich nicht entschlüsseln, schon weil für seine Figuren Raum und Zeit keine Rolle spielten. Und gerade das machte Lynchs Werke so faszinierend. Man wurde nie fertig damit.
Lynch war der Mystery-Man des US-Kinos. Tief tauchte er in Gewalt, Sex und Perversionen ein. Stilbildend war seine Fernsehserie „Twin Peaks“: In die vermeintliche Geborgenheit der Holzfäller-Siedlung sickerten das Unbewusste und Irrationale ein. Das Unheimliche verhüllte das bis eben vermeintlich noch leichthin Überschaubare.
Erst 2019 gab es den Oscar – fürs Lebenswerk
Lynch wuchs behütet in einem kleinen Städtchen im US-Staat Montana auf. Er habe aber das Gefühl gehabt, so sagte er mal, dass hinter manchen Häusern Trauer und Furcht lauerten.
So wie im Film „Blue Velvet“ (1986), einer Geschichte mit Isabella Rossellini als missbrauchter Nachtclub-Sängerin. Nach der gruseligen Entdeckung auf grüner Wiese misstraute man zutiefst leuchtend weißen Gartenzäunen, strahlend blauem Himmel und prachtvollen roten Vorgarten-Rosen. Lynch hatte uns nachhaltig aus dem vermeintlichen Idyll vertrieben.
Manche seiner frühen Filme irritierten so sehr, dass sie Kontroversen bis hin zu Demonstrationen auslösten. Und doch oder vielleicht auch gerade deswegen waren sie Kassenerfolge: „Der Elefantenmensch“ erzählte von einem fürchterlich verunstalteten Mann, der im viktorianischen England als Jahrmarkts-Attraktion vermarktet wird. Dafür sicherte er sich gleich acht Oscar-Nominierungen. Letztlich gönnte Hollywood einem seiner prägenden Regisseure aber erst 2019 den Ehren-Oscar fürs Lebenswerk.
Dafür gab’s für das Roadmovie „Wild at Heart“ die Goldene Palme in Cannes. Die Liebesgeschichte strotzte von Brutalität, aber auch von Kitsch, wie ihn Lynch wie selbstverständlich in seine Werke implantierte. Er war ein bekennender Fan der Seifenoper und hielt sich nicht groß mit der Unterscheidung zwischen Kunst und Kommerz auf. Am Ende sang Nicolas Cage alias Sailor in seiner Schlangenlederjacke mit wildem Herzen für Laura Dern alias Lula „Love Me Tender“ von Elvis Presley, so wie sie es sich immer gewünscht hatte.
Lynch konnte auch anders
Nach dem Thriller „Lost Highway“ über einen schizophrenen Killer konnte man durchaus auf den Gedanken kommen, dass man sich die ganze Zeit durch die Gehirnwindungen eines einzigen Menschen gealbträumt hatte. Als einen „Noir Horrorfilm des 21. Jahrhunderts“, einen „Anschauungsfall über parallele Identitätskrisen“ bezeichnete Lynch den mit Songs von Rammstein unterlegten Film. Aber das war wohl mehr ein freundliches Angebot ans Publikum: Lynchs Werke entzogen sich jedem Schubladendenken.
Und was war mit dem von roten Vorhängen umwehten Zimmer, in dem der FBI-Agent Dale Cooper in „Twin Peaks“ dem Mordopfer Laura Palmer begegnet? Es existierte nur in dessen Kopf und brannte sich doch in die Köpfe des Publikums ein. Bei Lynch machten es sich auch schon mal bügelnde Hasenmenschen gemütlich wie in „Inland Empire“ (2006), seinem letzten Langfilm.
Lynch konnte aber auch anders: Seine Fans verwunderte er mit dem Film „The Straight Story“ (1999), der eine einfache Geschichte erzählt: Ein alter Mann tuckert 350 Meilen durch die USA zu seinem Bruder, mit dem er sich einst zerstritten hatte - auf einem Rasenmäher. Der weise Greis zieht am Ende seines Lebens unter einer wärmenden Herbstsonne eine klare Linie mit dem seltsamen Gefährt: Kain besucht Abel und will sich versöhnen. Und ein Traktor wird wie ein lahmer Gaul mit dem Gewehr erschossen.
Lynch wirkte weit über das Kino hinaus
Mit seinem Werk wirkte Lynch weit über das Kino hinaus, auch auf die Kunst, die er studiert hatte. Lynch bezog sich in seinem Filmen auf Maler wie Edward Hopper oder Francis Bacon. Er war auch als bildender Künstler tätig, als Bildhauer, Fotokünstler, Möbeldesigner. 2010 bekam er den Goslarer Kaiserring zugesprochen. In dem heimeligen Harzstädtchen, das gewiss auch als Schauplatz für einen Lynch-Thriller getaugt hätte, tauchte er wie stets mit bis oben zugeknöpftem Hemd auf: ein Priester der Kunst.
Lynch war ein Anhänger der Transzendentale Meditation nach dem indischen Guru Maharishi Mahesh Yogi, dem auch schon die Beatles vertraut hatten. Für Lynch war die Lehre des Guru ein probates Mittel, um Ängste und Depression zu überwinden. Gewissermaßen verfügte er damit über ein Abwehrmittel gegen das in seinen eigenen Filmen heraufbeschworene Grauen. Auf die Frage, was das tägliche Meditieren für ihn bedeute, antwortete er in seiner Autobiografie „Catching the big Fish“ (Alexander Verlag): „Es ist, als ob man eine kugelsichere Weste hätte.“
Wenige Tage vor seinem 79. Geburtstag ist Lynch gestorben, wie seine Familie mitteilte. Im vergangenen Jahr hatte er öffentlich gemacht, dass er an einer unheilbaren Lungenkrankheit leidet.