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DDR-Trilogie: „Leander Haußmanns Stasikomödie”

Lesezeit 5 Minuten

Berlin – Ein junger Mann steht am Leninplatz bei Rot an einer Fußgängerampel. Die Straßen ausgestorben, aber rot ist rot, und der Mann steht. Steht sehr lange. Liest zum Zeitvertreib ein Buch. Der Wind fegt, wie im Western, einen Ballen Tumbleweed über die leere Fahrbahn.

Dann Drama: Ein Laster droht ein Kätzchen zu überfahren. Der Fußgänger fürchtet um das Leben des niedlichen Tierchens, aber bei Rot darf man nicht gehen. In letzter Sekunde springt die Ampel um, der Mann rennt und rettet das schutzlose Wesen.

Es ist die Einstiegsszene in „Leander Haußmanns Stasikomödie”, dem dritten Film des Regisseurs in seiner 1999 mit „Sonnenallee” begonnenen DDR-Trilogie. Und wie der Titel schon sagt: Natürlich hat hier die Stasi die Finger im Spiel. Ein sinistrer Offizier namens Siemens (Henry Hübchen) kontrolliert die Ampel per Knopfdruck als eine Art Gesinnungstest. Der Staatsbürger Ludger Fuchs (David Kross) hat mit Bravour bestanden und darf deshalb dienen in einer neuen Einheit gegen die NEG-DEK - die „negativ-dekadente Szene” im Prenzlauer Berg.

„Das Lachen der Menschen hebelt jeden Diktator aus”

Darf man sich über die DDR-Staatssicherheit lustig machen - eine Institution, die Hunderttausende überwacht und schikaniert hat, viele verfolgt und gequält? Klar darf man, findet Haußmann, sonst hätte ja auch Charlie Chaplin nie „Der große Diktator” über Adolf Hitler drehen dürfen. „Das Lachen der Menschen hebelt jeden Diktator aus, ganz einfach”, sagt Haußmann im Interview der Deutschen Presse-Agentur. „Vor nichts haben Diktatoren mehr Angst als davor, lächerlich gemacht zu werden.”

Auch Henry Hübchen, schon in der DDR ein sehr bekannter Schauspieler, erinnert sich an das Groteske der Stasi. Seine später eingesehene Stasiakte sei dünn und voller Allgemeinplätze gewesen. „In meinem Freundeskreis damals haben wir die Stasi eher verlacht”, sagt Hübchen. „Sie war eben nicht nur ein angstmachendes Organ, zumindest für mich nicht. Für andere war es anders.”

Sowohl Hübchen als auch Haußmann kommen im Gespräch ganz von selbst auf Florian Henckel von Donnersmarck, der für das Stasi-Drama „Das Leben der Anderen” 2007 den Oscar gewann. Ausgerechnet dem gebürtigen Kölner die Erzählung über den Prenzlauer Berg der 80er Jahre überlassen?

Verspielt, schräg, klamaukig

Haußmann - damals Student an der Ostberliner Schauspielschule Ernst Busch - will einen Gegenentwurf, den eigenen Rückblick auf die Künstler und Lebenskünstler rund um die Dunckerstraße: biografisch gefärbt, verspielt, schräg, klamaukig. Wobei er wohl gerne noch einen draufgesetzt hätte: „Es wurde ein anderer Film, als der, den ich geplant hatte. Er war ursprünglich 'krachiger' angelegt, wie etwa 'Police Academy' oder 'Nackte Kanone'.”

Es geht also um Ludger Fuchs, einen braven jungen Mann mit Seitenscheitel und Oberlippenbart, der sich nach dem überstandenen Abenteuer an der roten Fußgängerampel von der Stasi anwerben lässt. Bevor er sich in die Künstlerszene einschmuggelt, verwuschelt er sich noch kurz die Haare und bekommt vom „Genossen Doll vom Zoll” eine aus einem Westpaket beschlagnahmte Levi's Jeans.

Dann bezieht er Posten in einer Altbauwohnung, schreibt und spielt E-Gitarre, alles zur Tarnung, versteht sich. Doch da ist eine sehr schöne Frau, genau genommen nicht nur eine, da sind Feste mit halluzinogenen Getränken und Allen-Ginsberg-Gedichten und verkleideten Fabelwesen. Und es kommt, wie es muss: zu Verwicklungen.

Haußmann, der mit „Sonnenallee” Millionen ins Kino zog und den Deutschen Filmpreis gewann, und dann 2004 etwas weniger spektakulär „NVA” nachlegte, nennt die „Stasikomödie” seinen persönlichsten Film. „Unser Film feiert nicht die Stasi oder die DDR”, sagt der 62-Jährige. „Er feiert die Jugend und die Freude am Leben. Die Lebensfreude schafft sich, egal unter welchen Umständen, immer einen kleinen Spalt.” Und dann noch dies: „Wir waren Helden, aber auf andere Weise. Wir hatten das, was die meisten Menschen haben, nämlich Angst. Und deshalb feiert dieser Film auch die Feigheit.”

Mit Knalleffekt

Haußmann sieht in seinem Film Tiefe und Poesie. Aber das Ensemble drückt auch ganz schön auf die Tube. Die schnauzbärtigen Stasi-Offiziere kommen nicht gut weg. Hübchen nuschelt sich mit schlecht sitzenden Kunstzähnen - „aus einem Billiglabor irgendwo in Tschechien”, wie er sagt - durch seine Rolle des alternden Führungsoffiziers, bis zum finalen Knalleffekt. „Das ist natürlich überzeichnet, aber ich habe kein Problem damit”, sagt der 75-Jährige. „Bei meiner Figur habe ich mich nicht bemüht, zurückhaltend mit den spielerischen Mitteln zu sein. Wir machen eine Komödie!”

Wie in „Sonnenallee” sind wieder Detlev Buck und Alexander Scheer dabei, daneben Jörg Schüttauf und Tom Schilling, Antonia Bill, Margarita Broich und Deleila Piasko. Und der wirklich fabelhafte David Kross, der nach monatelangem Casting als junger Antiheld Ludger Fuchs besetzt wurde. Der fand übrigens gerade die Anfangsszene mit der roten Ampel „eine sehr lustige Prämisse”, wie es in einer Pressemitteilung heißt.

Auch Haußmann kommt auf diese Szene zurück: „Wenn die Straße leer ist und man bis zum Horizont gucken kann, dann geht man eben bei Rot über die Straße. Das war einfach Usus für einen jungen Menschen im Prenzlauer Berg. Heute bleiben alle selbst bei leerer Straße an der roten Ampel stehen. Ich finde, ein ganz klein wenig ziviler Ungehorsam bringt uns weiter.”

, Deutschland 2022, 116 Minuten, FSK ab 12, von Leander Haußmann, mit David Kross, Jörg Schüttauf, Antonia Bill, Deleila Piasko, Henry Hübchen

© dpa-infocom, dpa:220512-99-255875/4 (dpa)