„Dem Rad in die Speichen fallen“
Bischof Huber, Dietrich Bonhoeffer wurde noch kurz vor dem Ende des Kriegs auf persönlichen Befehl Hitlers hingerichtet. Wieso war er Hitler dermaßen verhasst?
Bonhoeffer saß schon seit April 1943 in Haft. Man warf ihm vor, sich dem Wehrdienst entzogen und Devisenvergehen begangen zu haben. Seine enge Verbindung zum Widerstand kam erst Anfang 1945 durch den Fund geheimer Papiere heraus. Hitler war empört, dass immer noch Verschwörer aus dem Umkreis des 20. Juli am Leben waren. Und er verfügte deren sofortige Liquidierung. Es war eine der letzten Wahnsinnstaten des Diktators.
Welchen Anteil hatte Bonhoeffer am Widerstand?
Zur Person
Wolfgang Huber, geboren 1942, war Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er gehört zu den Herausgebern des Gesamtwerks Dietrich Bonhoeffers.
Dietrich Bonhoeffer, 1906 in Breslau geboren, wurde 1931 als evangelischer Pfarrer ordiniert. Am 9. April 1945 wurde er zusammen mit weiteren Mitgliedern des Widerstands gehenkt. (jf)
Er gehörte über seinen Schwager Hans von Dohnanyi dem Widerstandskreis um den Chef der militärischen Abwehr, Wilhelm Canaris, an. Beide wurden am
9. April 1945 hingerichtet. Diese Gruppe hatte eine wichtige Scharnierfunktion zwischen dem militärischen und dem zivilen Widerstand. Dohnanyi war an mehreren versuchten Attentaten auf Hitler beteiligt, zum Teil schon geraume Zeit vor dem 20. Juli 1944. Er hatte seinen Schwager absichtlich nicht in die Attentatspläne einbezogen. Zu Bonhoeffers Aufgaben gehörte es, seine durch die ökumenische Friedensbewegung gewonnenen internationalen Kontakte zu nutzen, um im Ausland die Existenz des Widerstands bekanntzumachen und sich bei den Regierungen der Alliierten um politische Handlungsspielräume zu bemühen.
Wie weit kam er damit?
Zu seiner großen Enttäuschung blieb seine Geheimdiplomatie erfolglos. Insbesondere die britische Regierung verweigerte jegliche Kooperation mit dem Widerstand und bestand auf einer bedingungslosen Kapitulation Deutschlands auch nach einer Beseitigung Hitlers. Das hinderte Bonhoeffer jedoch nicht, sich an Überlegungen zu einer politischen Nachkriegsordnung zu beteiligen.
Gehörte zu Bonhoeffers Beratung auch die Rechtfertigung des Tyrannenmords?
Das Aufregende ist, dass Bonhoeffer schon im April 1933, nach den ersten Aktionen des NS-Regimes gegen Juden, davon überzeugt war, dass Widerstand gegen Hitler notwendig sei. Als Konsequenz formulierte er ein dreiteiliges Konzept kirchlichen Widerstands: Erstens müsse die Kirche den Staat an seine Verpflichtung auf Recht und Ordnung erinnern. Zweitens müsse sie „die Opfer unter dem Rad verbinden“, das heißt, Opfern staatlicher Willkür beistehen. Und drittens müsse sie der staatlichen Macht bei systematischem Verstoß gegen deren eigentliche Aufgabe auch aktiv entgegentreten, also „dem Rad in die Speichen fallen“. 1933 hatte Bonhoeffer noch die Hoffnung, dies sei durch gewaltloses Handeln möglich. Er wollte dafür sogar nach Indien zu Mahatma Gandhi fahren, um Genaueres von dessen Spiritualität und Inspiration zu lernen. Mit dem Fortschreiten der Diktatur in Deutschland gelangte Bonhoeffer dann aber zu der Überzeugung, dass Gewaltfreiheit nichts mehr bewirken würde.
Die evangelische Kirche tat sich selbst nach dem Krieg damit schwer.
Es gab im Protestantismus sehr verbreitet die Position, christlicher Widerstand könne – wenn überhaupt – nur vollkommen gewaltlos sein und müsse sich auf ein Einstehen für das Evangelium beschränken, dürfe also nicht im eigentlichen Sinn politisch handeln. Diese Maxime war für viele Christen der einzige Weg, ihre Loyalität zum Staat mit ihrem Unbehagen und häufig erst nachträglicher Kritik am NS-Regime irgendwie in Einklang zu bringen. Natürlich wird das all denen überhaupt nicht gerecht, die sich aus christlicher Überzeugung und auf Grund einer klaren Gewissensentscheidung zum Widerstand entschlossen. Und mir liegt sehr daran, das Handeln von Juristen wie Hans von Dohnanyi oder Helmut James Graf von Moltke, von Militärs wie Henning von Tresckow, von Politikern wie Carl Friedrich Goerdeler, von Frauen wie Elisabeth Schmitz und vielen anderen als christlichen Widerstand genauso ernst zu nehmen wie das Agieren des Theologen Bonhoeffer.
Was ist Bonhoeffers wichtigstes Vermächtnis?
Neben dem Gedanken einer der Welt verpflichteten „Diesseitigkeit“ des Christentums würde ich Bonhoeffers in der Zeit der Konspiration entworfene Ethik nennen. Sie lässt sich unter dem Leitbegriff „verantwortete Freiheit“ zusammenfassen und ist von erstaunlicher Aktualität – bis hin zu der aktuellen Krise. Mit ihr können wir dann am ehesten umgehen, wenn wir von unserer Freiheit in verantwortlicher Weise Gebrauch machen.
Sie meinen, die momentanen Beschränkungen der Freiheit zu akzeptieren?
Ja. Abstand halten, Kontakte zu anderen meiden. All das wird uns sehr viel besser gelingen, wenn wir uns nicht einfach nur an Verbote halten, sondern aus Überzeugung das Nötige tun. Und wir werden sehr viel wacher verfolgen, ob einzelne dieser Auflagen womöglich bestehen bleiben, auch wenn sie gar nicht mehr angemessen sind.