Der Tag, an dem die Hölle frorEagles-Gitarrist Glenn Frey gestorben
Halle (Saale) – Himmelhoch die Bühnen, Boxentürme bis zu den Sternen und zwischen ihnen ein paar Mittzwanziger in Karohemden, mit wallendem Haar und Schnauzbärten. Als Glenn Frey seine Band The Eagles vor 40 Jahren auf den Gipfel des Rock-Olymp führt, liegt die Hippiezeit im Koma. In Großbritannien rüsten die ersten Punkbands zum Sturm auf die Bastillen der traditionellen Rockmusik. Die Eagles, fünf Jahre zuvor von Frey und dem Schlagzeuger Don Henley gegründet, nachdem die beiden sich bei einem Job als Begleitband für die Sängerin Linda Ronstadt kennengelernt hatten, waren altes Eisen, Rentnerrock.
Und schaffen es ausgerechnet jetzt, unsterblich zu werden: „Hotel California“, ein von Gitarrist Don Felder erdachtes und von Henley gesungenes Sechseinhalb-Minuten-Epos, katapultiert die fünf Musiker auf Platz 1. Das gleichnamige Album voll sanfter West-Coast-Klänge mit untergründig dunklen Motiven schafft es weltweit auf Spitzenplätze in den Charts.
Mit einem Bein in der Rockgeschichte
Und mehr noch. Die Eagles, schon seit ihrem ersten Hit „Take it easy“ fünf Jahre zuvor zu einem Multimillionenunternehmen geworden, stehen jetzt mit einem Bein in der Rockgeschichte. „Hotel California“ verkauft sich mehr als 40 Millionen Mal, mit nur sechs Studioalben insgesamt kommt Glenn Freys Band auf 150 Millionen verkaufte Tonträger.
Nicht schlecht für den Sohn eines Maschinisten aus Michigan, der mit fünf Jahren Klavierunterricht nahm, seine erste Band mit 17 nach einer Novelle von Jack Kerouac benannte und sich mit 19 auf dem Gipfel des Erfolges wähnte, als er im Studio für Bob Segers Aufnahme von „Ramblin' Gamblin' Man“ Gitarre spielen durfte.
Große Ambitionen
Diese Bescheidenheit legt Glenn Frey ab, als er Don Henley in Los Angeles trifft. Beide haben große Ambitionen, beide helfen sich gegenseitig dabei, immer höhere Ziele ins Auge zu fassen. Zusammen mit dem Songwriter Jackson Browne lebt Frey in einem Apartment, sie teilen dasselbe Plattenlabel, mit David Geffen denselben Manager, dieselbe Vorliebe für Satzgesang und den Wohlklang akustischer Gitarren. Und bald auch einen Lebensstil: Die Eagles, mit dem Rauswurf der Mitgründer Bernie Leadon und Randy Meisner und dem Einstieg von Joe Walsh und Don Felder professionalisiert, sind permanent auf Tournee. Sie spielen ihre Hits Abend für Abend Note für Note exakt nach, eine Musikmaschine, die jenseits der Konzerte allmählich in ihre Einzelteile zerfiel. Drogen, Alkohol, Frauen, Neid auf die Mitmusiker und Streit um Tantiemen machten aus den nach dem Einstieg von Timothy B. Schmit fünf Adlern ein Schlangennest. Was nach Außen immer noch als Aushängeschild des locker zurückgelehnten California-Feeling funktionierte, ähnelte im Inneren einem Schlachtfeld von Egos, die von Kokain und Fanverehrung ins Übergroße aufgeblasen worden waren.
Jahre im Rausch waren eine "reisende Party"
Glenn Frey hat die Jahre im Rausch des Ruhm inklusive Badewannen voller Marihuana, Berge aus Koks und endloser Legionen liebeswilliger Mädchen in luxuriösen Villen später eine „reisende Party“ genannt. Ein grandioser Kater ist der Preis: Als sie mit „The Long Run“ fast nach drei Jahren endlich ein neues Album zusammengepuzzelt haben, brechen sich Eifersucht und Paranoia auf offener Bühne Bahn. Bei einem Konzert im kalifornischen Long Beach gehen sich Frey und Gitarrist Felder an die Gurgel. Mehrfach drohen beide sich während des Auftritts an, nach der Show handgreiflich werden zu wollen. „Nur noch drei Songs und dann versohle ich dir den Arsch, mein Freund“, soll Frey zu Felder gesagt haben. Der Gitarrist ist schließlich so sauer, dass er die Bühne verlässt. Frey folgt ihm, Felder greift sich eine Gitarre und droht, sie seinem Bandchef über den Schädel zu ziehen. Dann stürzt er zu seiner Limousine und rauscht empört davon.
Ehemalige Kollegen kommunizieren über Anwälte
Glenn Frey ist wenig später bei den Eagles ausgestiegen. Die ehemaligen Kollegen kommunizierten nun nur noch über Anwälte, dementierten aber, die Band sei aufgelöst. Zusammen spielen aber, auftreten gar? „Erst wenn die Hölle gefriert“, lässt Glenn Frey wissen, der mit Hits wie „The heat is on“ und „You belong to the city“auch solo überaus erfolgreich ist. Es hat dann wirklich anderthalb Jahrzehnte gedauert, bis die Hölle fror und Frey, die Diva unter den Diven, nach einer spontanen Session mit seinen Bandkollegen zustimmte, noch einmal auf Tour zu gehen. Mit Mitte 40 ist Frey zum zweiten Mal verheiratet, er hat drei Kinder und er weiß, dass er alles erreicht hat. Noch mehr geht nur mit dieser Band, die er zugleich liebt und hasst und mit der er nun eine Art zweite Karriere startet.
Erst noch in der Originalbesetzung, nach einem erneuten harschen Streit aber später ohne Don Felder, triumphieren die Eagles über die Zeit, der sie angeblich schon Mitte der 70er hinterherhinkten. Ihre klassische Songkunst, der Harmoniegesang und die vielstimmigen Gitarren erobern die Stadien, begeistern eine neue Generation und kitzeln aus den alten Herren sogar ein neues Album heraus. „Long Road Out of Eden“ ist die Fortsetzung des Abschiedsalbums von 1979, eine Vorwegnahme von Abschied, Schmerz und Dankbarkeit. Glenn Frey starb am Montag an den Folgen einer Arthritis, einer Dickdarm- und einer gleichzeitigen Lungenentzündung. Er wurde 67 Jahre alt. (mz)